"Picasso hat sich ständig neu erfunden"
8. März 2019Das Museum Barberini in Potsdam widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung dem Spätwerk des spanischen Malers Pablo Picasso. 136 Werke aus der Privatsammlung seiner letzten Ehefrau Jaqueline, die das Museum von ihrer Tochter Catherine Hutin für diese spektakuläre Schau als Leihgaben zur Verfügung gestellt bekam, sind zum Teil das erste Mal in der Öffentlichkeit zu sehen. Die Kunsthistorikerin Valerie Hortolani hat zusammen mit Gast-Kurator Bernardo Laniado-Romero, lange Jahre Direktor der Picasso-Museen in Barcelona und Malaga, die Ausstellung kuratiert und am Katalog mitgearbeitet. Mit der DW sprach sie über seine gewaltige Bildsprache, seine nie enden wollende schöpferische Kraft und Picassos letzte Muse.
DW: Sie haben als Kuratorin immer wieder mit Millionenwerten zu tun, wenn Sie Leihgaben aus aller Welt für Ausstellungen bekommen. Was ist das für ein Gefühl, einen unschätzbar teuren Picasso, dessen Versicherungswert schon Millionen beträgt, aus einer klimatisierten Transportkiste herauszuheben?
Valerie Hortolani: Wenn man sich von diesen hohen Versicherungswerten beeinflussen lassen würde, dann würde man nur unsicher werden. Es ist ja auch so, dass man einfach mit diesen Gemälden arbeitet, wenn eine Ausstellung aufgebaut wird.
Als Kurator muss man da sehr routiniert vorgehen. Gerade bei einer so hochkarätigen Ausstellung zeichnet das unsere Arbeit aus, dass wir sehr vorsichtig und behutsam mit jedem Werk umgehen, aber auch professionell.
Es gibt 2019 gleich drei große Picasso-Ausstellungen: in der Fondation Beyeler in Basel ist das Frühwerk zu sehen, im Frankfurter Städelmuseum ab April das grafische Druckwerk von Picasso. Worauf haben Sie im Museum Barberini Ihr Augenmerk gelegt?
Den thematischen Fokus haben wir auf seine letzten 19 Lebensjahre gelegt, die er mit seiner zweiten Ehefrau und letzten Partnerin Jacqueline verbracht hat. Wir wollen in dieser Ausstellung auch mit (Vor)-Urteilen über dieses weniger bekannte Spätwerk von Picasso aufräumen.
Zu seinen Lebzeiten hatte Picasso in seinen späten Werken, die eine eher aufgelöste Malweise aufweisen, einen sehr stark männlichen Blickwinkel und hat dafür auch viel Kritik erfahren.
Wir versuchen ihn als zeitgenössischen Maler darzustellen. In den 50er und 60er Jahren hat Picasso seine Werke in einer Zeit geschaffen, als im internationalen Kunstgeschehen ganz viel passiert ist, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Abstrakten Expressionismus oder dem Informel.
Wichtig ist uns, dass man Picasso auch als Zeitgenossen stärker liest und nicht nur als prominenten Vertreter der klassischen Avantgarde sieht. Picasso war als Künstler auch in der Nachkriegszeit auf der Höhe seiner Zeit.
Was machte ihn zu seiner Zeit als Maler so besonders? Woran liegt das, dass man ein Werk von Picasso sofort auf den ersten Blick erkennt?
Das liegt zum einen an der besonderen Bildsprache und an seiner Art zu malen. Als Wegbereiter des abstrakten Kubismus hat er da natürlich auch Stilrichtungen und andere Maler seiner Zeit geprägt. Picasso hat im Grunde das gesamte 20. Jahrhundert mit seiner Kunst beeinflusst.
In seinen letzten 20 Jahres seines Lebens ist es vor allem seine Frau Jacqueline, die er porträtiert und die zu seiner größten und wichtigsten Muse wurde. Er hat sie so häufig wie keine andere Frau gemalt und gezeichnet, über 400 dokumentierte Porträts und Zeichnungen gibt es von ihr. Aber im Grunde trägt jedes Frauenbildnis seiner letzten Jahre Jacquelines Züge.
In seinem Frühwerk, das derzeit in der Fondation Beyeler in Basel zu sehen ist, hat Picasso auch Männer und Kinder gemalt. Taucht dieses Motiv auch in seinen späteren Jahren wieder auf?
Das Thema des männlichen Porträts hat ihn in seinem späteren Schaffen gar nicht mehr begleitet. In seinem Frühwerk hat er zum Beispiel auch seinen Vater einige Male porträtiert und später seinen ersten Sohn. Aber das hatte nicht so einen Stellenwert in seinem Schaffen gehabt.
Erst in den letzten Jahren seines Lebens kehrt dieses Thema plötzlich wieder zurück. Er stellt da sehr monumentale und auch archetypische Männerfiguren dar. In denen glaubt man so was wie van-Gogh-Anleihen zu erkennen: der Zeit enthobene Archetypen und vor allem den alternden Mann. Das ist tatsächlich noch mal etwas, was ganz spezifisch für diese letzten Schaffensjahre von Picasso ist.
Neben diesen zeitlosen Männerbildern gibt es auch Bilder, in denen er Musketiere darstellt oder auch Matadoren und andere Stierkämpfer. Dieses heroische Männer-Bild ist etwas, was wir in der Ausstellung intensiv beleuchten, weil es etwas ist, was für seine späten Jahre spezifisch ist.
In was für einer Lebenssituation hat Picasso in dieser Zeit gearbeitet? Mit seiner zweiten Frau Jacqueline und deren Tochter war er Anfang der 1950er Jahre in die Villa Californie in Südfrankreich gezogen. Hat das Umfeld seine Arbeit noch mal neu geprägt?
Auf jeden Fall. Genau diese Bildnisse, die das widerspiegeln, zeigen wir in der Ausstellung auch. Er setzt sich in dieser Zeit künstlerisch viel mit den Räumen in der Villa Californie auseinander, wo er mit Jacqueline zusammen mit ihrer Tochter Catherine Hutin hingezogen ist.
Nach dem Tod seines Künstlerfreundes Matisse im Jahr 1954 ist eine Serie von Interieurs entstanden, in denen er diese wunderbar ornamental gestalteten Jugendstilräume der Villa in seine Bilder einfließen lässt.
Pablo Picasso hat diese Serien und Bilder "innere Landschaften" genannt. Es gibt zum Beispiel eine abstrakte Form eines Schaukelstuhls, der auch ganz häufig Symbol ist für Jacqueline. Und da merkt man auch diese starke Verschränkung von seinem privaten Leben und seiner Motivwelt am Ende seines Lebens.
Das klingt fast schon idyllisch, als hätte sich der Künstler Picasso, der damals immerhin schon über 80 und weltberühmt war, allmählich zur Ruhe gesetzt – oder täuscht das?
Unsere Ausstellung zeigt sehr deutlich, dass zur Ruhe setzen absolut nicht Picassos Thema war (lacht), sondern eher die ständige Neuerfindung, die Hinterfragung und Variation seiner Kunst. Er liebte das leidenschaftliche Schöpfen aus ganz verschiedenen Stilrichtungen, von der feinmalerischen Zeichnung bis hin zur groben Skulptur oder zur fast unfertigen Malerei.
Da gibt es eine ganze Spannweite, in der man merkt, wie er sich von Tag zu Tag dieser unterschiedlichen Stile bedient und aus einem Pool aus Möglichkeiten geschöpft hat. Deswegen kann man Picasso überhaupt nicht als jemand bezeichnen, der sich in seinem Alterwerk zur Ruhe gesetzt hätte.
Das Interview führte Heike Mund.
Das Museum Barberini wurde von dem Kunstsammler und Gründer des Sofwarekonzerns SAP Hasso Plattner gestiftet und ist eines des erfolgreichsten Privatmuseen in Deutschland. Die Ausstellung "Picasso. Das späte Werk" ist noch bis zum 16. Juni 2019 in Potsdam zu sehen. Es gibt eine zweisprachigen Katalog.