Vatikan warnt vor "Auslöschung" der Geschlechter
11. Juni 2019Der Vatikan hat für katholische Schulen einen Leitfaden zum Umgang mit der sogenannten Gendertheorie erstellt. In Schulen mache sich beim Thema Sexualität ein "Bildungsnotstand" breit, heißt es in einem Dokument der Bildungskongregation für die katholische Lehre. Die Gender-Theorie sei eine "Ideologie, die den Unterschied (...) in der Natur eines Mannes und einer Frau leugnet und eine Gesellschaft ohne geschlechtliche Unterschiede vorsieht und somit die anthropologische Grundlage der Familie eliminiert". Das Schreiben namens "Als Mann und Frau schuf er sie" wendet sich gegen eine Tendenz, "die Unterschiede zwischen Mann und Frau auszulöschen, indem man sie als bloße historisch-kulturelle Konditionierung versteht".
Zugleich wolle das Dokument zum Dialog anregen, heißt es in dem Text. So sei stets Respekt gegenüber allen Menschen zu lehren: Niemand dürfe etwa wegen seines Glaubens oder seiner sexuellen Neigungen verfolgt oder diskriminiert werden. Der Vatikan setzt im Umgang mit der Gendertheorie an katholischen Schulen nach eigenen Angaben auf "Zuhören, Reflexion und Vorschläge".
Es gelte, zwischen Gender-Forschung und Gender-Ideologien zu unterscheiden, heißt es in der Einleitung des 57 Punkte umfassenden Dokuments. Gender-Forschung, so das Dokument, versuche, die Art und Weise besser zu verstehen, wie die Unterschiede von Frauen und Männern in jeweiligen Kulturen gelebt werden.
"Entfernung von der Natur"
In vielen Fällen würden aber "angeblich neutrale" Konzepte vermittelt, die ein Menschenbild wiedergäben, das "dem Glauben und der lauteren Vernunft", aber auch der Natur widerspreche. So führe eine "Entfernung von der Natur" dazu, dass Gefühlsentscheidungen des Einzelnen alleiniges Kriterium würden. "In einer solchen Sichtweise werden das Verständnis von sexueller Identität wie das von Familie 'verflüssigt' oder 'verwässert', wie dies auch für andere Aspekte postmoderner Kultur gilt", heißt es in dem Text.
Das Dokument führt solche Theorien "auf eine dualistische Anthropologie zurück, die den Körper (reduziert auf lebloses Material) und den menschlichen Willen trennt, der selbst eine absolute Macht bekommt, den Körper nach Belieben manipulieren zu können". Dem liege ein "konfuses Freiheitskonzept" zugrunde, das von - teils nur zeitweiligen - Gefühlen und Wünschen beherrscht werde.
Der Verband New Ways Ministry, der für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) in der katholischen Kirche einsteht, kritisierte das Papier als "schädliches Werkzeug". Die "Fehlinformation in dem Dokument wird dazu führen, dass Familien ihre Kinder ablehnen" und Homosexuelle sowie Transgender weiter diskriminiert würden.
Das Geschlecht werde "nicht nur durch sichtbare Genitalien bestimmt", heißt es in einer Mitteilung, "sondern auch durch Genetik, Hormone und Chemie - Dinge, die bei der Geburt nicht sichtbar sind". "Der Vatikan bleibt im Mittelalter, fördert die falsche Lehre und stützt sich auf Mythen, Gerüchte und Unwahrheiten."
"Hinterlistige Indoktrinierung"
Die katholische Kirche und auch Papst Franziskus sprechen sich immer wieder offen gegen die Gender-Theorie aus, weil dies der traditionellen Vorstellung von Mann und Frau als Eheleuten und Eltern widerspreche. So warf Papst Franziskus 2016 dem französischen Staat vor, die Gendertheorie an Schulen zu verbreiten. Französische Schulbücher würden eine "hinterlistige Indoktrinierung mit der Gendertheorie" betreiben. Homosexuell zu sein oder sein Geschlecht zu ändern sei "eine Sache", "ein Unterricht auf dieser Linie" sei jedoch etwas anderes.
Ähnliche Äußerungen zur Gender-Theorie gab es auch in Papst Franziskus' Schreiben zu Ehe und Familie "Amoris laetitia". "Die menschliche Identität wird einer individualistischen Wahlfreiheit ausgeliefert, die sich im Laufe der Zeit auch ändern kann", heißt es in dem Lehrschreiben von 2016.
stu/fab (dpa, kna, afp)