Verdi-Chef Werneke warnt vor Rüstungswettlauf
1. Mai 2022Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch soziale, wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Folgen in Deutschland. Die Gewerkschaften gaben dem Thema deshalb in ihren Kundgebungen zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, breiten Raum. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, unterstützte in Mainz die harte Sanktionspolitik des Westens gegen Russland. Zugleich gab er zu bedenken: "Die Diskussion um mehr Sicherheit in Europa darf nicht allein aus einer militärischen Perspektive geführt werden."
Mit Blick auf das angekündigte milliardenschwere Aufrüstungsprogramm für Deutschland warnte der Verdi-Chef vor einem Rüstungswettlauf, "der auf Kosten der dringlichen Investitionen in Soziales, in Bildung und den Schutz des Klimas geht". Deutschland müsse in der Lage sein, sich zu verteidigen, einschließlich seiner Bündnisverpflichtungen, erklärte Werneke, Hauptredner auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Mainz. Ziel bleibe aber eine Welt mit weniger Waffen.
Er rief die Bundesregierung zudem auf, gegen die wachsende soziale Spaltung in Deutschland vorzugehen. Für Normal- und Geringverdiener müsse der Gaspreis gedeckelt werden, außerdem müsse die Bundesregierung ein "Mobilitätsgeld" einführen. "Einige werden trotz Corona und Krieg immer reicher - und gleichzeitig leidet die Breite der Bevölkerung unter stark steigenden Preisen", betonte Werneke.
"Nein zu massiver Aufrüstung"
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann warnte mit Blick auf den Ukraine-Krieg vor einer dauerhaften Aufstockung des Militärhaushaltes. Das Geld werde viel mehr für Zukunftsinvestitionen in die Transformation der Gesellschaft und für die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates benötigt, sagte Hoffmann in Berlin. Militärische Friedenssicherung dürfe niemals zulasten des sozialen Friedens erkauft werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte die deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. In seiner Rede auf der DGB-Kundgebung in Düsseldorf betonte Scholz, Deutschland werde die Ukraine gegen den "imperialistischen Angriff" Russlands weiter unterstützen. "Wir werden nicht zulassen, dass Grenzen mit Gewalt verschoben werden", sagte der SPD-Politiker. Dazu seien auch Waffenlieferungen notwendig. Scholz bekräftigte, dass die Bundesregierung ihre vor Beginn des Ukraine-Krieges gesteckten sozialen und klimapolitischen Zielen beibehalte. Deutschland werde beweisen, dass ein Industrieland CO2-neutral arbeiten könne.
GEW will "100-Milliarden-Sondervermögen" für Bildung
Trotz der außen- und sicherheitspolitischen Überlagerung des 1. Mai legte der DGB den Fokus auch auf den Wandel der Arbeitswelt. "In diesen Zeiten tiefgreifender Veränderungen stehen die Gewerkschaften für ein solidarisches Miteinander", hieß es im Gewerkschaftsaufruf unter Hinweis auf die enormen Herausforderungen von Klimaschutz, Digitalisierung und Globalisierung.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, forderte ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bildung. Damit sollten Maßnahmen finanziert werden, um die Chancengleichheit in Deutschland zu verbessern, sagte Finnern auf der DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Essen. "Gleiche Bildungschancen sind entscheidend für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Sie ermöglichen den Menschen Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben."
Finnern bezog sich mit ihrer Forderung auf das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, das Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine angekündigt hatte.
Personalkürzungen und ausbleibende Investitionen
Die Gewerkschaft dbb Beamtenbund sieht in Personalkürzungen und ausbleibenden Investitionen im öffentlichen Dienst eine Gefahr für das Funktionieren der freien Gesellschaft. "Nur ein für alle gleich und verlässlich funktionierender, leistungsfähiger öffentlicher Dienst ist in der Lage, dauerhaft Demokratie, Freiheit, Frieden und Wohlstand zu sichern, weil er das Band des sozialen Zusammenhalts ist", sagte dbb-Chef Ulrich Silberbach den Zeitungen der Funke-Mediengruppe anlässlich des 1. Mai.
Papst Franziskus hatte zum Internationalen Tag der Arbeit an Menschen in der "zweiten Reihe" erinnert und ihnen gedankt. Er verwies dabei auf den heiligen Josef. Dieser erinnere daran, dass all jene, "die scheinbar im Verborgenen oder in der 'zweiten Reihe' stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen", schrieb das Kirchenoberhaupt der Katholiken auf Twitter.
In Deutschland fanden neben den DBG-Kundgebungen vor allem in Berlin und Hamburg zahlreiche weitere Veranstaltungen statt - von Motorrad- oder Fahrrad-Korsos über Corona-Proteste bis hin zu Aktionen der linken und linksradikalen Szene an. In Berlin galt die besondere Aufmerksamkeit der Polizei der Demonstration "Revolutionärer Erster Mai" im Bezirk Neukölln mit etwa 14.000 Teilnehmern. In den vergangenen Jahrzehnten war es dabei immer wieder zu Gewaltausbrüchen von Linksautonomen gekommen. Diesmal blieben größere Ausschreitungen aus.
sti/se/kle/rb (dpa, epd, kna)