Verfassungsschützer geht
4. Juli 2012Nach der beispiellosen Pannenserie bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorzelle NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) hat Bundesverfassungsschutzpräsident Heinz Fromm am Montag (02.07.2012) seinen Posten geräumt. Der 63-Jährige geht auf eigenen Wunsch zum Monatsende in Rente, teilte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit. Fromm gilt als einer der erfahrensten Sicherheitsexperten Deutschlands und stand zwölf Jahre an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes.
Wichtige Akten wurden geschreddert
Die im November vergangenen Jahres aufgeflogene Neonazi-Terrorgruppe lebte mehr als ein Jahrzehnt unentdeckt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund und ermordete bundesweit zehn Menschen. Am vergangenen Mittwoch war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz noch nach dem Auffliegen der Terrorgruppe Aktenordner vernichtete. Sie hätten möglicherweise darüber Aufschluss geben können, wie mit Verfassungsschutz-Leuten aus dem NSU-nahen Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde. Einen ersten Bericht des Verfassungsschutzes zu dem Vorfall will das Bundesinnenministerium bis Donnerstag auswerten. Ressortchef Friedrich will dann den Bundestag informieren.
Früher Hinweis aus Italien
Außer der Vernichtung mutmaßlich wichtiger Akten wurde jetzt bekannt, dass der Bundesverfassungschutz bereits im Jahr 2003 Hinweise auf ein Netz rechter Terrorzellen in Deutschland erhalten haben soll. Das geht aus einem Schreiben des italienischen Staatsschutzes AISI an den Verfassungsschutz im Dezember 2011 hervor, wie die "Berliner Zeitung" berichtet. Der italienische Staatsschutz hatte dem Kölner Bundesamt Informationen zu einem Treffen europäischer Neonazis im belgischen Waasmunster im November 2002 übermittelt. Bei diesem Treffen soll von der Existenz eines Netzwerks militanter europäischer Neonazis gesprochen worden sein. Außerdem beratschlagten deutsche und italienische Neonazis mögliche Anschläge auf Geschäfte nichteuropäischer Staatsangehöriger.
Verfassungsschutz braucht Kontrolleure
Mit dem Ausscheiden von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm ist die Opposition im Bundestag nicht zufrieden. Sie spricht von einem "Bauernopfer", das nichts zur Aufklärung der skandalösen Pannenserie beitrage. SPD, Grüne und Linke fordern eine grundlegende Reform der Geheimdienste und des Verfassungsschutzes. Eine restlose Aufklärung hält im Gespräch mit der Deutschen Welle auch der Rechtsextremismus-Experte Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin für notwendig. Andernfalls würde der Bundesverfassungsschutz vollständig seine Glaubwürdigkeit verlieren. Der Rücktritt von Präsident Heinz Fromm sei ein richtiger Schritt, reiche aber nicht aus, meint Schröder. Es müssten darüber hinaus Kontrollinstanzen geschaffen werden, die die Arbeit der Verfassungsschützer für Politiker und Bürger transparent machten. Unter Umständen müsse sogar eine vertraulich arbeitende Evaluierungskommission eingerichtet werden.
Aufmerksam, aber nicht vorschnell
Als eine notwendige Konsequenz aus dem "Fall NSU" sieht Schröder eine bessere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz: "Diese Zusammenarbeit war im Fall NSU nicht gegeben. Wir haben aus historischen Gründen in Deutschland diese Zweiteilung von Polizei und Verfassungsschutz, das ist historisch geboten. Aber das darf nicht zu Reibungsverlusten führen." Gleichzeitig warnt Schröder vor allzu schnellem Urteilen: "Das ist eine ganz komplizierte Sache. Wer zu schnell sagt, hier sind Links- oder Rechtsterroristen, ohne, dass man Belege hat, skandalisiert etwas, was keine Grundlage hat. Drückt man zu lange die Augen zu und es entsteht etwas im Verborgenen, dann sagen alle, warum habt ihr es nicht gesehen. Hier gibt es keine Patentantworten. Die Verfassungsschützer und die, die mit ihnen zusammenarbeiten, müssen so geschult sein, dass sie mit allem rechnen müssen."
Die Täter können nicht allein gehandelt haben
Man dürfe sich im Fall NSU nichts vormachen, betont Rechtsextremismusexperte Schröder, mit den Taten einer solchen Gruppe habe niemand gerechnet. Weder Polizisten, noch Wissenschaftler oder Journalisten, ja nicht einmal die besonders wachsamen antifaschistischen Gruppen. Gerade deshalb aber sei ein weiteres Hinschauen geboten: "Es ist kaum vorstellbar , dass das die Tat Einzelner war, dass zwei Männer und eine Frau ohne Unterstützer und Hintermänner jahrelang solche Straftaten begehen können und unbemerkt wieder verschwinden." Dieses Umfeld, so Schröder, müsse noch genau untersucht werden.