Klimawandel in der Vorzeit
30. September 2013Beim Blick über das Meer wissen nur die wenigsten Strandbesucher, dass sie am Schauplatz einer steinzeitlichen Tragödie stehen. Auf dem Boden der heutigen Ostsee gab es vor rund 8000 Jahren viele Siedlungen, nach und nach wurden die Menschen vom Wasser vertrieben.
Versunkene Kulturen in Mitteleuropa
Im Klimawandel nach der letzten Eiszeit versanken auch die steinzeitlichen Kulturen des heutigen Ostseeraumes. Wissenschaftler des Forschungsprojekts "Sinkende Küsten" (SINCOS) fanden Zeugnisse von Jägern, Sammlern und frühen Bauern auf dem Meeresboden und bargen über 6000 archäologische Fundstücke. Es sind Indizien, dass die steinzeitliche Besiedlungsdichte im Ostseeraum viel höher war als bislang angenommen.Das Ausmaß der Veränderungen lässt sich heute vor der deutschen Ostseeinsel Poel beobachten. Dort fanden Unterwasserarchäologen Siedlungsplätze der Menschen, die eindrucksvoll das schrittweise Zurückweichen vor dem steigenden Meerwasser belegen.
"Dabei nutzen wir insbesondere die frühgeschichtlichen Abfallhaufen", erläutert der Archäologe Sönke Hartz vom Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) im norddeutschen Schleswig. "In ihnen finden sich sowohl Reste der Mahlzeiten, als auch Werkzeuge und Geschirr der ehemaligen Bewohner." Untersuchungen von Tierknochen geben deutliche Hinweise auf die Umweltveränderungen jener Zeit. "In den älteren Schichten finden wir Reste von Süßwasserfischen, in den jüngeren Schichten gibt es immer mehr Reste von Salzwasserfischen, Walen und Robben", so Hartz.
Die Veränderungen geben einen Hinweis auf die massiven Veränderung im damaligen Ostseeraum: So führten geologische Prozesse zu einer Absenkung des heutigen Ostseeraumes und die Klimaerwärmung am Ende der Eiszeiten zum Abschmelzen des über drei Kilometer dicken skandinavischen Eisgletschers. Zwei Effekte, deren Auswirkungen auf die Menschen sich addierten: Einerseits sank die Landoberfläche ab und andererseits stieg der Meeresspiegel global um über 100 Meter an – und überflutete die Jagd- und Ackergründe der steinzeitlichen Bewohner. Ein Szenario, das vor dem Hintergrund des globalen Meeresspiegelanstiegs zukünftig auch rund der Hälfte der heutigen Weltbevölkerung bevorsteht.
Anpassung an den Klimawandel
"Die Entwicklung der Ostsee vollzog sich in mehreren Schritten, die unsere Vorfahren damals miterlebten", erläutert Ulrich Schmölcke vom ZBSA. Der Zoologe arbeitet an den Hinterlassenschaften der Ureinwohner und skizziert ein Bild der frühen Lebensgemeinschaften: "Eine erste Besiedlung des Ostseebereichs fand bereits gegen Ende der Eiszeit statt. In Gruppen von vielleicht zwanzig Personen wanderten die steinzeitlichen Jäger und Sammler in die seinerzeit völlig trocken liegende Tundrenlandschaft am Südrand Skandinaviens ein."
Im Laufe der Zeit entwickelte sich im heutigen Ostseebecken eine ausgedehnte Waldlandschaft mit Süßwasserseen. Jäger durchzogen diese Region. "Vor gut 8500 Jahren zerstörte dann der steigende Meeresspiegel diese Idylle", so Schmölcke. Salzwasser brach in das Ostseebecken ein und überflutete die Jahrtausende alte Tundrenland-schaft. Aus ihr wurde ein Teil des Weltmeeres und mit ihr kamen auch Robben, Wale und Delphine. Die Menschen jener Zeit passten sich den neuen Gegebenheiten an und gaben das Nomadenleben auf. "Sie nutzen die Chancen der neuen Umwelt und wurden zu sesshaften Fischern am Ufer des jungen Meeres", erläutert der Archäologe Hartz.
Eine Milliarde Klimaflüchtlinge in Asien
Im Gegensatz zu heute war die Besiedlungs- und Bevölkerungsdichte der Steinzeit noch so gering, dass die Menschen den steigenden Fluten leicht ausweichen konnten. Dass das heute ganz anders aussieht, zeigt eine Studie der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) aus dem Jahr 2012: Sie sieht in den kommenden zehn Jahren eine unmittelbare Bedrohung für rund 400 Millionen Bewohner in asiatischen Megacities durch den Anstieg des Meeresspiegels und prognostiziert, dass in dreißig Jahren bis zu 1,1 Milliarden Asiaten betroffen sein könnten. Städte, Felder und Arbeitsplätze würden nach und nach im Meer versinken, neue Lebensräumen müssten aufgebaut werden. Die Dimension der klimabedingten Vertreibung wird im Vergleich zur Vorzeit im Osteebecken eine ganz andere sein.