Verändert der Terror Manchester?
24. Mai 2017Seit ich in Manchester lebe, das sind inzwischen elf Jahre, ist die Stadt zunehmend wohlhabender, internationaler und sicherer geworden. Wo früher No-Go-Areas waren, entstehen lebhafte multikulturelle Gemeinschaften.
Gemeinsame Bemühungen von Polizei und lokalen Gemeindesprechern haben die Waffen- und Bandenkriminalität eingedämmt, während die vielen Studenten Manchester zu einem pulsierenden, aufregenden Ort machen.
Die Stadt verzeichnet eine der höchsten Wirtschaftswachstumsraten im gesamten Vereinigten Königreich - eine Tendenz, an der ökonomische Unsicherheiten angesichts des bevorstehenden Brexit bisher nichts geändert haben. Ich habe gesehen, wie die Stadt sich zu einem Zentrum für europäischen Handel und europäische Kultur entwickelt hat.
Der "Manchester Spirit"
Das alles war möglich, weil nahezu alle Menschen, die hier leben, ein tiefsitzendes Gefühl des Zusammenhalts eint. Dieser "Manchester Spirit" war deutlich zu sehen - und zu hören - als am Dienstag Tausende zusammenkamen, um der Opfer des Terroranschlags zu gedenken.
"Manchester war schon immer eine Stadt, die davon gelebt hat, dass die Menschen zusammenhalten und sich nicht spalten lassen", erzählte mir Mark Beatty, während er auf die Worte des Bürgermeisters und anderer Redner wartete: "Wir werden nicht zulassen, dass der Terrorismus uns spaltet. Deshalb haben wir heute unsere drei Kinder mitgebracht."
Mark Beatty hatte seine drei jungen Töchter dabei - alle im Grundschulalter, so wie viele Kinder, die das Konzert von Ariana Grande besucht hatten. Ich ahnte, dass er ihnen zeigen wollte, was die Stadt ausmacht.
Auch Abid Hussein nahm mit einigen Freunden an der Gedenkveranstaltung teil - und äußerte die gleiche Hoffnung wie viele Menschen an diesem Abend: "Ich hoffe, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, dass das hier die Bürger von Manchester zusammenschweißt, ob sie schwarz, weiß, gelb, Juden, Christen, Muslime, Hindus oder Sikh sind."
Zwischen Normalität und Alarmbereitschaft
Als die Menschen im Zentrum von Manchester an diesem Abend im warmen Mai-Sonnenschein aus den Kneipen und Bars herausströmten, schien es, als kehrten sie allmählich wieder zur Normalität zurück.
Trotzdem lag eine gewisse Unbehaglichkeit in der Luft: Bewaffnete Polizisten vermittelten zwar ein Gefühl verstärkter Sicherheit, erinnerten aber auch daran, was passiert war - und was noch passieren könnte.
Einige Stunden zuvor war ich in die hektische Evakuierung des Arndale Centres geraten, eines riesigen Einkaufszentrums in der Innenstadt. Als die Polizei anrückte, um einen Mann festzunehmen, der mit dem Terroranschlag nichts zu tun hatte, rannten die Menschen panisch in Richtung der Ausgänge. Ich selbst rannte mit und fühlte mich plötzlich hilflos, ängstlich und wütend, dass Menschen in dieser Stadt und so vielen anderen europäischen Städten inzwischen so etwas erwarten.
"In höchstem Maße gegen den Islam"
Wegen der Entwicklungen nach dem Anschlag in Oslo 2011, den ein Rechtsterrorist verübt hatte, hatte ich mich den ganzen Morgen bemüht, keine voreiligen Schlüsse hinsichtlich eines möglichen islamistischen Hintergrunds des Anschlags zu ziehen.
Dann reklamierte der "Islamische Staat" (IS) den Angriff für sich. Wenig später wurde die Identität des Attentäters bekannt: ein in Manchester geborener Brite, dessen libysche Eltern in den 1980er Jahren von Muammar al-Gaddafi geflohen waren.
Was würde jetzt aus Manchesters großer muslimischer Bevölkerung werden? Würde es eine feindselige Reaktion geben, wie es in anderen westlichen Städten der Fall war, in denen sich der IS nach einem Terroranschlag zur Attacke bekannt hatte?
"Ich stehe im Namen der Old Trafford Muslim Society hier vor Ihnen", sagte mir Yusuf Chunara vor dem Rathaus von Manchester. Chunara ist Imam an der Old Trafford Jame'ah E Noor Moschee. Er und viele Anhänger anderer Glaubensrichtungen waren gekommen, um gemeinsam ein Zeichen gegen den Terror zu setzen.
Es sei erschreckend und abscheulich, "dass jemand unschuldigen Menschen, die einfach nur Spaß haben, so etwas antun könnte. Diese Taten sind in höchstem Maße gegen den Islam und wir verurteilen sie ausdrücklich", sagte Chunara. "Wir lehren und propagieren Frieden. Es ist eine Frage der Menschlichkeit." Man sei auch gekommen, um Solidarität mit der Polizei und den freiwilligen Helfern zu demonstrieren, betonte der Imam.
Generalverdacht fehl am Platz
Die muslimische Bevölkerung in Manchester ist vielfältig. Eine ganze Menschengruppe aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit zu verurteilen wäre unsinnig - selbst wenn der Attentäter für sich beansprucht, ebendieser Religion anzugehören.
Es wird immer Menschen geben, die den Islam für Terroranschläge verantwortlich machen. Bisher sieht es aber so aus, als hielte die Mehrheit der Einwohner von Manchester das für sinnlos - so sinnlos wie es gewesen wäre, weiße Christen zu verurteilen, nachdem ein selbsternannter Christ kurz vor dem Brexit-Referendum die junge Abgeordnete Jo Cox umbrachte.