1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Viele sollen sparen, der Staat lässt sich Zeit

Jannis Papadimitriou, Athen13. August 2015

Das griechische Parlament soll über die Kreditvereinbarung mit den Geldgebern abstimmen. Das Dokument enthält mehr Reformmaßnahmen als eine Regierung in Athen jemals durchsetzen konnte.

https://p.dw.com/p/1GEzr
Griechische Fahne in Athen auf der Akropolis (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/R. Zvulun

Für viele Griechen liest sich das Dokument wie ein Katalog der Grausamkeiten. Vor allem die 38 Sofortmaßnahmen, die als Voraussetzung gelten, damit die Geldgeber auch nur einen Cent nach Athen überweisen (die sogenannten "prior actions"), sorgen für politischen Wirbel. Es handelt sich vor allem um längst zugesagte Reformen, die die Vorgängerregierungen nicht umgesetzt haben: von der Abschaffung der Steuerprivilegien für Landwirte über die Öffnung reglementierter Berufe und die Rentenreform bis hin zur Neugründung des griechischen Privatisierungsfonds. Durch die Verabschiedung der "prior actions" im Parlament soll die Links-Rechts-Koalition von Regierungschef Alexis Tsipras ihre Reformwilligkeit glaubwürdig machen und Vertrauen wiederherstellen.

Die in Aussicht gestellten Sofortmaßnahmen haben keine einheitliche Linie. Das liegt wohl in der Natur der Sache, da es vor allem um Überbleibsel früherer Spar-Zusagen geht, die noch nicht umgesetzt worden sind. "Natürlich wird auch diesmal gespart und gekürzt, aber die Belastungen sind viel breiter gestreut", erläutert Wirtschaftsprofessor Charalambos Gotsis im TV-Sender Skai. Heftigen Protest lösen die neuen Sparauflagen vor allem bei Landwirten aus, die spätestens 2017 von lieb gewordenen Steuerprivilegien Abschied nehmen müssen. Gotsis hat wenig Verständnis für den bevorstehenden Aufstand der Landwirte: "So extrem sind ihre Belastungen doch auch nicht. Wenn ein Kleinunternehmer nach sieben Rezessionsjahren eine Einkommenssteuer von 26 Prozent zahlt, dann sehe ich nicht ein, warum die Großbauern in Griechenland nicht auch ihren Teil zur Krisenbewältigung beitragen sollen", mahnt der Ökonom.

Rentenalter als heilige Kuh

Nur wenige Sparversprechen waren in Hellas stärker umstritten als die Rentenreform und insbesondere die Erschwerung der Frühverrentung. Schon heute lautet die Grundregel, dass alle, die nach 1993 in den Arbeitsmarkt eingetreten sind, erst mit 67 Jahren in Rente gehen. Allerdings gelten immer noch zahlreiche Ausnahmen. Durch die in Aussicht gestellten Sofortmaßnahmen soll eine Frühverrentung ausgeschlossen oder so unattraktiv gemacht werden, dass Interessierte Abstand davon nehmen. Wer beispielsweise mindestens 15 Jahre lang in die größte Versicherungskasse IKA Beiträge zahlt und von einer geltenden Ausnahmeregelung Gebrauch macht, kann normalerweise mit einer gesetzlichen Rente in Höhe von 486 Euro rechnen. Nun wird diese Summe auf 310 Euro gekürzt. Zudem soll die neue Regelung rückwirkend zum 1. Juli 2015 gelten. Damit wird offenbar eine Welle der Frühverrentungen vor dem Inkrafttreten der neuen Sparrunde verhindert.

Finanzminister Euklid Tsakalotos spricht mit Journalisten (Foto: Reuters)
Finanzminister Tsakalotos (Mitte) sieht das Glas eher halbvollBild: Reuters/A. Konstantinidis

Eine politisch umstrittene Verwaltungsreform, die unter anderem Obergrenzen für Beamtengehälter einführen soll, wird auf den Herbst verschoben. Überhaupt wird der Staat bei der aktuellen Sparrunde eher geschont. Dafür kommen auf den Privatsektor der griechischen Wirtschaft neue Belastungen und Steuererhöhungen zu. Das kritisiert der Wirtschaftsanalyst Anestis Dokas im TV-Interview: "Schon heute schuldet der Staat Privatunternehmen über neun Milliarden Euro. Viele Firmen werden ab diesem Herbst dicht machen, denn so viel Geld kann man gar nicht beiseite gelegt haben, um die eigene Firma am Leben zu halten - zumal seit 45 Tagen Kapitalkontrollen im Land gelten." Dabei hätten noch Anfang des Jahres viele Griechen auf bessere Zeiten gehofft. "Die Wirtschaft schien sich damals zu erholen, viele Unternehmen waren dabei, Leute einzustellen", sagt Dokas. Damit sei es erst einmal vorbei.

Verschleppungstaktik der Parlamentspräsidentin

Finanzminister Euklid Tsakalotos sieht das Glas eher halbvoll: Nach der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen steuere Griechenland spätestens 2018 auf einen Primärüberschuss in Höhe von 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zu, erklärte er am Donnerstag im Parlament. Damit wäre das Krisenland erneut in der Lage, deutlich mehr einzunehmen als auszugeben - wie schon einmal im Jahr 2014. Doch zunächst geht es um die Frage, ob und wann die Sparmaßnahmen im Parlament verabschiedet werden. Zurzeit wird das Votum verzögert. Der Grund: Da alle Volksvertreter längst in der Sommerpause waren, als die Einigung mit den Geldgebern zustande kam, musste nach Auffassung von Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou erst einmal die Konferenz der Präsidenten zusammenkommen und nach eingehender Diskussion eine formelle Entscheidung über die Wiedereröffnung des Parlaments treffen. Damit ist eine Debatte im Plenum frühestens nach Donnerstag um Mitternacht möglich.

Trotz anderslautender Anweisungen des Regierungschefs Alexis Tsipras wurde die Präsidentenkonferenz am späten Mittwochabend angesetzt, womit sich die weitere Prozedur deutlich verzögert. Mehr als drei Stunden dauerte die Debatte unter Leitung der Parlamentspräsidentin - und wurde mit gegenseitigen Anschuldigungen über Verletzungen der Geschäftsordnung aufgebraucht. Ungewöhnlich war, dass Konstantopoulou die Beratungen live übertragen ließ und den Sendetermin nutzte, um Seitenhiebe gegen Tsipras auszuteilen: Der Ministerpräsident sei es gewesen, der Ende Juli darum bat, das Parlament in die Sommerpause zu verabschieden, erklärte die Linkspolitikerin.