Vietnam als Vorbild für Nordkorea
12. Januar 2013Überraschend war die Neujahrsansprache von Kim Jong Un mit der Ankündigung eines "radikalen Wechsel" in der Politik. Nordkorea solle nach seinem Wunsch zu einem "wirtschaftlichen Riesen" werden. Für Werner Pfennig vom Institut für Koreastudien in Berlin kam die Aussage nicht überraschend, denn seit der Machtübernahme von Kim Jung Un 2012 habe sich einiges in Nordkorea getan und die Neujahrsansprache sollte durchaus "ernst genommen" werden.
Dafür spricht auch ein Bericht der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), in welchem nicht namentlich genannte deutsche Wirtschaftsexperten zitiert werden, die Nordkorea bei den Reformen beraten sollen. Nordkorea wolle noch in diesem Jahr mit der Umsetzung beginnen, sagten die Berater in der FAZ. Als Modell für die Modernisierung der Wirtschaft solle Vietnam dienen.
Attraktivität des vietnamesischen Modells
"Wenn Nordkorea überhaupt eine Orientierung hat, dann ist das Vietnam", bestätigt Koreaexperte Pfennig im Gespräch mit der DW. China komme dagegen weniger in Frage. "Sonderwirtschaftszonen nach dem chinesischen Modell haben in Nordkorea - diplomatisch ausgedrückt - nur sehr mäßigen Erfolg." Außerdem misstraue Nordkorea dem Kommunismus des großen mächtigen Nachbarn. "Wenn nordkoreanische Delegationen nach China fahren, dann denken sie, sie sind im Westen."
Vietnam böte dagegen aus Sicht von Nordkorea eine gute Alternative. Von zentraler Bedeutung sei die Verknüpfung von Öffnung und Kontrolle, so Pfennig. "Nordkorea glaubt, dass Vietnam eine Wirtschaftspolitik in Zusammenwirkung mit dem Ausland betreibt, bei der Vietnam die vollständige Kontrolle besitzt. Das macht Vietnam für Nordkorea attraktiv."
Für das Modell Vietnam sprechen außerdem weitere politische Überlegungen. In den 1970er Jahren zum Beispiel hatte Vietnam die USA im Vietnamkrieg bezwungen und die nationale Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam erlangt. Außerdem bestand Vietnam "auf seine Unabhängigkeit, auch gegenüber China, und hatte einen charismatischen Führer". Bis heute verehren die Vietnamesen den 1969 verstorbenen Revolutionär Ho Chi Minh.
Vietnams Aufstieg
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 haben sich viele sozialistische Länder in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Vietnam entschloss sich zu einer umfassenden politischen und wirtschaftlichen Erneuerung. Statt einer zentral gesteuerten Planwirtschaft wurde nach dem Vorbild Chinas eine sozialistische Wirtschaft entworfen, die den Bürgern größere Spielräume ließ.
Das vietnamesische Modell setzte auf zwei Entwicklungsschritte, sagt Gerhard Will, Asienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Privatinitiativen wurden zugelassen, zuerst in der Landwirtschaft, dann in Familienunternehmen und schließlich auch bei größeren Betrieben. Zugleich erfolgte eine Öffnung zum Weltmarkt, wodurch Investitionen aus dem Ausland angelockt wurden. "Die kommunistische Führung in Vietnam hat sehr viel klüger die internationalen Chancen gesehen und stärker in wirtschaftlichen Kategorien gedacht als Nordkorea." Vietnam erzielte in der Folge immense Wachstumsraten von bis zu zehn Prozent und stieg in den 90er Jahren zum zweitgrößten Reisexporteur der Welt auf.
Nordkoreas Radikalisierung
Dagegen hielt Nordkorea nach 1989 an seinem stalinistischen Kurs fest und radikalisiert sich zusehends. Das Land setzte allein auf militärische Aufrüstung und nukleare Drohgebärden. Mit seinem Atomwaffenprogramm erpresst Pjöngjang die Weltgemeinschaft und droht mit dem eigenen Untergang. "Der Zusammenbruch des Regimes hat für die Nachbarländer fast eine noch größere Bedrohung als das Atomprogramm dargestellt", sagt Will. China und Südkorea etwa fürchten Hunderttausende Hungerflüchtlinge aus Nordkorea, das 24 Millionen Einwohner hat.
Aufgrund der Abschottungspolitik kam die nordkoreanische Wirtschaft in den 1990ern fast zum Erliegen. Ohne Hilfsgüter aus China und Russland konnte beispielsweise die Landwirtschaft nicht genügend Nahrungsmittel produzieren, denn es fehlte an Diesel und Ersatzteilen für Landmaschinen. Zwischen 1994 und 1999 verschuldete das nordkoreanische Regime schwere Hungersnöte, denen zwischen 600.000 und einer Million Menschen zum Opfer fielen.
Nordkoreas Erfolgsaussichten
Die Asienexperten Will und Pfennig sind allerdings sehr skeptisch, ob in Nordkorea das vietnamesische oder das chinesische Modell Erfolg haben kann. Dafür seien die Voraussetzungen für die Reformen in Nordkorea "in viel geringerem Maße gegeben als das in China oder Vietnam der Fall war", so Will. Pfennig führt aus: "Es fehlt die landwirtschaftliche Basis, aus der die ersten Reformimpulse in China und Vietnam kamen."
Als weitere Unterschiede benennt Will die extreme Isolation des Landes. Es fehle einfach an internationalen Ansprechpartnern. Er betont, dass Nordkorea im Gegensatz zu China und Vietnam nicht auf eine große Zahl von Auswanderern zurückgreifen kann. "Die Auslandschinesen und Auslandsvietnamesen haben gerade in der ersten Phase der Reform die Verknüpfungen zum Weltmarkt hergestellt."
Aktuell ist nach Ansicht von Pfennig ein innerkoreanisches Modell vielversprechend: die Sonderwirtschaftszone Kaesong im Südwesten Nordkoreas. Bis zu 50.000 Nordkoreaner arbeiten dort unter südkoreanischem Management und das durchaus erfolgreich.