Vietnam verliert an Attraktivität für EU-Investoren
24. September 2024Der italienische Energiekonzern Enel will alle Projekte in Vietnam einzustellen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Enel ist einer der weltweit größten Investoren im Bereich der erneuerbaren Energien und steht mit seinen Entscheidungen nicht allein. Zuvor haben sich auch Norwegens Staatskonzern Equinor und Dänemarks größter Energiekonzern Ørsted aus dem vietnamesischen Offshore-Windsektor zurückgezogen.
Equinor hatte im September seine Investitionspläne für Offshore-Windparks vor Vietnams Küste verworfen. Ørsted hatte seine Projekte bereits im vergangenen Jahr auf Eis gelegt und gab dabei Unsicherheiten bei den Geschäftsrichtlinien in Vietnam als Grund an.
Enel hat keine Angaben gemacht, welche Energiequelle es in Vietnam zu nutzen gedachte. Die meisten Experten vermuten die Offshore-Windenergie. Diese spiele demnach eine entscheidende Rolle bei der Energiewende in Vietnam. Die Küste in Vietnam ist insgesamt 3400 Kilometer lang.
Erneuerbare Energie statt Kohlekraftwerke
Enel hatte dabei ehrgeizige Pläne für den vietnamesischen Energiemarkt gehabt. Vor zwei Jahren kündigte das Unternehmen an, in die Erzeugung von bis zu sechs Gigawatt erneuerbarer Energie investieren zu wollen.
Das passte in die Entwicklungspläne von Vietnam. Die Kapazität der Energieerzeugung mit derzeit etwa 80 GW will die Hanoier Regierung bis 2030 verdoppeln. Dieses ambitionierte Ziel wurde im Mai offiziell gebilligt. Derzeit wird ein erheblicher Teil des Strombedarfs noch aus Kohlekraftwerken gewonnen.
Die Regierung hat jedoch versprochen, die Abhängigkeit von Kohle zu verringern. Bis Ende des Jahrzehnts soll der Anteil der erneuerbaren Energie wie Wind und Sonne mindestens 31 Prozent am Energiemix betragen. Die Nutzung vom Wasserstoff ist noch nicht einkalkuliert. Der Wind soll dann einen Anteil von 18,5 Prozent unter allen Trägern haben, ein deutlicher Anstieg gegenüber dem jetzigen Niveau. Der Anteil der Solarenergie soll sich auf 8,5 Prozent fast verdreifachen.
Die Entscheidung von Enel, seine Pläne vor dem Hintergrund dieser lukrativen Versprechen aufzugeben, spiegelt die wachsende Besorgnis ausländischer Investoren wider. Enel will vermutlich im November die Entscheidung offiziell bekannt geben.
Warum?
Bislang fehlt Vietnam ein solider Rahmen für die Entwicklung von Offshore-Windkraftanlagen. Somit werden die Chancen für die Ausweitung der erneuerbaren Energien in Vietnam ausbremst. Branchenexperten sagen, dass Investoren frustriert seien, weil die Behörden zu langsam seien.
Die mahnenden Hinweise der Investoren hätten die Staats- und Regierungschefs der südostasiatischen Länder nicht verstanden, so Chris Humphrey, Exekutivdirektor des EU-ASEAN Business Council im DW-Interview. Er warne schon seit einiger Zeit davor, dass sich die Investoren aus Europa in anderen Ländern umsehen würden, wenn Vietnam die Energiewende nicht schneller vorantreibe.
"Trotz der reichhaltigen Windressourcen in Vietnam hat die Unsicherheit in Bezug auf die Zulassung der Windenergieanlagen, die Zuweisung von Seegebieten und die Preisgestaltung zu einem Zögern bei den Investoren geführt", sagt Dan Martin der Beratungsfirma Dezan Shira & Associates, gegenüber der DW. "Erschwerend kommen weitere regulatorische Hürden hinzu. Ohne Preisgarantien für Rentabilität oder operative Klarheit sind die Investoren sehr vorsichtig. Dieses Manko hat die Entwicklung der Offshore-Windenergie effektiv zum Stillstand gebracht und Vietnam daran gehindert, dieses enorme Potenzial zu nutzen."
Infrastruktur und Finanzierung
Vietnams steht zudem vor der Herausforderung, wie der Wind- und Solarstrom ins Netz eingespeist wird. Ein Großteil der bestehenden Infrastruktur kann Schwankungen durch die dezentrale Stromerzeugung im Netz nicht ausgleichen. Es müssen neue Trafos und Umspannwerke gebaut werden.
Um bis 2030 nach Regierungsplänen doppelt so viel Strom wie heute zu erzeugen, müssen nach Experteneinschätzungen mindestens 134 Milliarden US-Dollar in die neuen Kraftwerke und Netzverbesserungen investiert werden.
Die Industrienationen der G7-Gruppe hatten im Dezember 2022 15,5 Milliarden US-Dollar Finanzierung zugesagt, damit Vietnam seinen Energiebedarf nicht ausschließlich mit Kohle abdeckt. Die restlichen 118,5 Milliarden müsste das südostasiatische Entwicklungsland selber finden.
Wettbewerb schläft nicht
Zwar ist Vietnam derzeit ein beliebtes Ziel für ausländische Direktinvestitionen in Asien. Viele multinationale Konzerne suchen alternative Standorte in Asien, um ihre Lieferkette zu stärken und nicht nur von China abhängig zu sein. Aber der Standort Vietnam ist nicht so attraktiv wegen fehlender finanzieller Anreize und hoher Steuerlast.
So plante der US-Chiphersteller Intel ein 3,3 Milliarden US-Dollar teures Werk in Vietnam. Allerdings konnte sich die Regierung in Hanoi nicht mit 15 Prozent Startfinanzierung an diesem Projekt beteiligen. Daraufhin verlegte Intel die Produktion nach Polen.
So haben sich der in Österreich ansässige Halbleiterhersteller AT&S und die südkoreanische LG auch für andere Länder entschieden, weil Vietnam keine Investitionszuschüsse gewähren konnte.
Auch die Energiesicherheit bereitet den Investoren Kopfschmerzen. 2023 waren viele Produktionen vom Stromausfall betroffen, unter ihnen ausländische Produktionen wie Samsung. Wie belastbar das Stromnetz dann wäre, wenn der Anteil der volatilen Stromerzeugung durch Wind und Sonne steigen würde, wagt keiner eine Prognose.
Reformdruck
Vietnam habe noch eine Chance für zuverlässige Transformation, sagt Richard Ramsawak, Wirtschaftswissenschaftler am Royal Melbourne Institute of Technology Vietnam. "Dafür muss Vietnam nicht in allen Landesteilen zeitgleich modernisiert werden. In den Industriezonen und Gewerbeparks für ausländische Investoren kann mit Priorität die Versorgung mit grünem Strom durch gezielten Netzausbau sichergestellt werden."
Der weltweite Trend liegt darin, bei der Industrieproduktion so wenig Kohlenstoff wie möglich auszustoßen. Vietnams Konkurrenten Indonesien und Malaysia haben schon die ersten Schritte eingeleitet, um mehr grünen Strom zu erzeugen.
"Vietnam wird kaum eine andere Wahl haben, als seinen Verpflichtungen nachzukommen, wenn es seine Wettbewerbsposition in der globalen Produktion behalten will", sagte Ramsawak. "Die Frage ist nur, ob das Land diesen Prozess anführen oder nur Mitläufer sein wird."
Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand