Vietnam will neue Impulse aus Deutschland
25. November 20158300 Kilometer liegen zwischen Berlin und Hanoi. Doch Deutschland und Vietnam stehen sich aufgrund ihrer Geschichte viel näher. 2015 wird das 40-jährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen gefeiert. Diese seien, so der vietnamesische Gesandte Botschaftsrat Nguyen Huu Trang gegenüber der DW, so gut wie nie zuvor.
Vietnam und Deutschland haben vieles gemeinsam. Beide Länder waren geteilt, und beide Länder standen an vorderster Front im Kalten Krieg. Die gemeinsame Erfahrung von Teilung und Wiedervereinigung bildet bis heute eine Brücke, meint Rabea Brauer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hanoi: "Über diese gemeinsame Erfahrung entsteht viel Vertrauen. Man versteht sich einfach." Überhaupt sei das Bild von Deutschland und den Deutschen in Vietnam durchweg positiv. "Man erahnt die gemeinsamen Werte: Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnungsliebe."
Die Exportnation Deutschland sieht in Vietnam mit 90 Millionen Einwohnern einen nahezu unerschlossenen Markt, glaubt Gerald Will, Asienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Heute sei Deutschland für Vietnam ein wichtiger Partner in der Europäischen Union. Zugleich ist Will überzeugt, "dass es im Interesse Deutschlands ist, einen Partner in der Region zu haben, mit dem man wirtschaftlich und politisch gut zusammenarbeiten kann".
Aufschwung und Sackgasse
In diesem positiven Vorzeichen besucht der vietnamesische Staatspräsident Truong Tan Sang Deutschland. Im Mittelpunkt seines Besuchs steht die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Vietnam hat in den späten 80er Jahren eine rasante wirtschaftliche Entwicklung genommen. Seit der wirtschaftlichen Öffnung unter dem Schlagwort "Doi Moi" (Erneuerung) betrug das jährliche Wirtschaftswachstum zwischen sieben und acht Prozent.
Nun sind weitere Reformpläne notwendig, um das hohe Wirtschaftswachstum beizubehalten. Aufgrund der steigenden Löhne würde Vietnam nämlich gegenüber anderen Entwicklungsländern wie beispielsweise Myanmar oder Kambodscha nicht konkurrenzfähig bleiben. Zugleich hat das Land noch nicht genug Zeit gehabt, um eine moderne Industrie oder einen starken Mittelstand zu bilden. Das Land droht demnach in eine wirtschaftliche Sackgasse zu geraten.
Freihandel als Lösungsansatz
Die Kommunistische Partei Vietnams, die einen großen Teil ihrer Legitimität aus der wirtschaftlichen Entwicklung und einem stetig steigenden Lebensstandard ableitet, versucht, seit längerem gegen den drohenden Trend zu steuern. Eine wichtige Säule sind dabei Freihandelsabkommen.
Vietnam hat im August 2015 ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union abgeschlossen, das voraussichtlich 2017 oder 2018 in Kraft treten wird. Es ist das anspruchsvollste Abkommen, dass die EU jemals mit einem Entwicklungsland geschlossen hat, wie Erwin Schweisshelm von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Hanoi glaubt. 99 Prozent aller Zölle zwischen der EU und Vietnam sollen in den nächsten zehn Jahren wegfallen. Vietnam ist zugleich Mitglied der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), auf die sich zwölf pazifische Nationen, unter anderem die USA und Japan, aber nicht China, im Oktober 2015 verständigten. Am vergangenen Sonntag beschloss Vietnam mit anderen neun Staaten des Verbandes der Südostasiatischen Nationen (ASEAN), eine Wirtschaftsgemeinschaft zu gründen.
In Vietnam überlappen sich demnach drei Freihandelszonen. Sie bauen wirtschaftliche Brücken zwischen Südostasien, dem Pazifik und Europa. Vietnam könnte damit zu einem internationalen Knotenpunkt für den Welthandel werden. Der Gesandte Botschaftsrat Nguyen ist überzeugt, dass die Freihandelsabkommen die Investitionsvoraussetzungen in seinem Land weiter verbessern werden.
Die Freihandelsabkommen könnten das Land aber auch in der Sackgasse einmauern, glaubt Experte Schweisshelm von der FES. "Die Risiken durch fehlende Konkurrenzfähigkeit kleiner und mittlerer vietnamesischer Unternehmen, aber auch der einheimischen Landwirtschaft wurden in der Öffentlichkeit nicht thematisiert." Die Entstehung einer modernen Industrie oder eines Mittelstandes könnte durch die Konkurrenz aus dem Ausland im Keim erstickt werden.
Deutsche Unternehmen strömen nach Vietnam
Für deutsche Unternehmen seien die Freihandelsabkommen allerdings ein absoluter Standortvorteil, sagt Björn Koslowski, Ländermanager der Deutschen Auslandshandelskammer (DIHK) in Vietnam. Überhaupt unternehme die vietnamesische Regierung sehr viel, um die Unternehmen vor Ort glücklich zu machen. "Das Investitionsumfeld in Vietnam gehört zurzeit wahrscheinlich zu den besten in der ASEAN." Und: "Vietnam ist an einem Punkt angelangt, wo sich Investitionen beziehungsweise eine Marktaktivität für eine breite Schicht von Unternehmen rechnen, wo Deutschland profitieren kann. Eine Infrastruktur mit der auch ein Mittelständler arbeiten kann.
Deutsche Unternehmer nutzen die Gelegenheit. Koslowski sagt: "Das Interesse, nach Vietnam zu gehen ist zurzeit gewaltig." Insbesondere erweiterten viele deutsche Firmen aus China ihre Produktion in Vietnam, um den steigenden Lohnkosten in der Volksrepublik zu entgehen. Die Lohnkosten liegen in Vietnam rund zwei Drittel unter denen in China, so eine Studie der FES. Der Gesandte Botschaftsrat Nguyen sagt: "Die deutschen Unternehmen sind aktiv in Vietnam und haben wesentlich zur wirtschaftlich und gesellschaftlichen Entwicklung unseres Landes beigetragen."