Chemie aus Pflanzen
8. Januar 2014Erdöl wird immer teurer. Für die Chemieindustrie ist dies doppelt ärgerlich, denn Erdöl ist für Chemieunternehmen bislang der wichtigste Rohstoff. Doch das muss in Zukunft nicht so bleiben, sagt Hermann Fischer: "Biomasse, also Pflanzenmaterial, kann Erdöl vollständig ersetzen", meint der 60-jährige Chemiker. Fischer hat 1983 den Braunschweiger Naturfarbenhersteller Auro mitgegründet. Das Unternehmen produziert Farben aus Pflanzen und Mineralien und erzielt damit einen Umsatz von rund sieben Millionen Euro pro Jahr.
Für seine Farben, versichert Fischer, verwende er keine chemischen Substanzen, die aus Erdöl, Erdgas oder Kohle hergestellt werden. So enthalte seine gelbe Farbe das Farbpigment der Pflanze Reseda, die auf Wiesen im ostdeutschen Thüringen wächst und Tonerde. Sonst nichts.
Biomasse - ein unerschöpfliches Reservoir
"Jedes Jahr stellt die Natur sehr viel mehr Biomasse zur Verfügung, als notwendig wäre, damit alle Chemiewerke weltweit auf Erdöl, Erdgas und Kohle als Rohstoffquelle verzichten könnten", ist sich Fischer sicher. Einige tun das bei bestimmten Produkten jetzt schon. So werden Pflanzenchemikalien seit geraumer Zeit für die Produktion von Klebstoffen oder Waschmitteln verwendet. Auch Plastiktüten und Verpackungen bestehen immer öfter aus biologisch abbaubarer Polymilchsäure.
Gehäuse von Laptops oder Handys bestehen zum Teil schon aus Verbundwerkstoffen mit pflanzlichen Materialien. Mit Hanf-, Lein- oder Holzfasern lassen sich Häuser ebenso gut dämmenwie mit Schäumen aus erdölbasiertem Styropor oder Polyurethan.
Und sogar Schmieröle ließen sich auf pflanzlicher Basis herstellen, sagt Fischer. Sie seien sogar hitze- und kälteresistenter als konventionelle Öle, versichert er.
Chemie aus Biomasse hat die Zukunft noch vor sich
Trotzdem sind Chemieprodukte aus Biomasse bislang Nischenprodukte. Es müsse noch viel geforscht werden, so Fischer, um Fein- und Massenchemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.
Doch die Zukunft der Pflanzenchemie habe begonnen. So suchen bereits Forscher an Universitäten und in Firmen nach Wegen, um aus Weizen oder dem Lignin in Holzfasern wertvolle Substanzen für die Chemieindustrie zu gewinnen.
Potential der Pflanzen intelligent nutzen
Der Chemiker fürchtet sich nicht vor der Debatte, dass die Nutzung der Pflanzen Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika in den Hunger treiben könnte. "Diese Diskussion wird vordergründig geführt", so Fischer. Denn Menschen essen nur einen kleinen Teil der Nahrungspflanzen. Beim Getreide interessieren Körner, bei Raps das Öl. Und wer aus Leinsamen Leinöl gewinnt, verwertet nur rund zwei Prozent der Flachspflanze. Der Rest - also Fasern, Farbstoffe und Harze bleibt ungenutzt. Aus Flachs lassen sich aber dämmende Fasern, Öl für Linoleumböden und eiweißreiche Nahrung gewinnen. Es sei wichtig, diese Vielfalt gezielt zu nutzen, so Fischer.
Kritisch sieht der Chemiker hingegen einen zweiten Weg, Biomasse chemisch zu nutzen: Viele Chemiefirmen wollen etwa Holzreste in Bioraffinerien in kleine Bruchstücke spalten und daraus wieder neue Chemikalien herstellen. Das sei rückwärtsgewandt, bemängelt er, denn zersetzten Unternehmen Fasern, Öle, Wachse oder Harze in kleine Bruchstücke, entstehe eine fossile Petrochemie auf pflanzlicher Grundlage. "Es ist unsinnig, erst Pflanzen komplexe Strukturen dank Sonnenenergie herstellen zu lassen, diese dann zu zerstören und erneut mit hohem Energieaufwand komplexe Strukturen zu bauen."
Weniger Masse - mehr Effizienz
Hermann Fischer weiß, dass sich seine Visionen nicht sofort eins-zu-eins auf Chemiefirmen übertragen lassen. Doch ihm mache es Spaß, mit Vertretern der Chemieindustrie über sein Konzept und um den besten Weg in die Zukunft zu ringen. Und er geht noch einen Schritt weiter: "Wir werden jedes Massenprodukt auf den Prüfstein stellen müssen." Für ihn ist klar: Künftig muss mit weniger Rohstoff der gleiche Effekt erzielt werden. Und er ergänzt: Viele Wegwerfartikel aus Plastik könnten haltbarer sein, wenn sie mit Naturfasern verstärkt würden.