Volle Kraft voraus: Italien öffnet Grenzen
3. Juni 2020Fast drei Monate lang waren die Ausflugsschiffe der Reederei Stefanato in Casale sul Sile bei Venedig fest am Kai vertäut: Zwangspause wegen der Ausgangssperre für die Kapitäne Glauco Stefanato und Nicolas Cortese. "Jetzt sind wir froh, dass es endlich wieder losgeht", sagen die beiden. Die erste Fahrt ausschließlich für italienische Gäste steuert die Inseln Burano und Murano in der Lagune von Venedig an. Bis die ersten ausländischen Touristen wieder in der Region Venedig auftauchen, wird es wohl noch dauern, schätzt die Reederei aus Casale sul Sile, auch wenn Italien von diesem Mittwoch an wieder EU-Bürger ins Land lässt.
"Wir haben Hoffnung, weil wir für den Sommer schon eine ganze Reihe von Reservierungen vorliegen haben", meint Aljoska Stefanato, ein Mitarbeiter in dem kleinen Familienunternehmen. Die Firma hat überlebt, auch wenn im zweiten Quartal rund 70.000 Euro Umsatz einfach weggefallen sind. Andere Unternehmen, die vor allem Deutsche, Österreicher und US-Amerikaner nach Venedig geschippert haben, hatten nicht so große Reserven und mussten komplett schließen.
Erst ein Viertel der Hotels in der Region ist wieder offen. Viele Restaurants und Bars sind weiter zu. Denn die neuen Hygieneregeln erfordern mehr Personal und Aufwand. Das rechnet sich für einige Unternehmen nicht. Das Ausflugsschiff der Reederei Stefanato muss nach der Tagestour von einer Spezialfirma für rund 500 Euro desinfiziert werden. Das drückt den Erlös.
"Wenn wir die Gäste bedienen, müssen wir Masken tragen. Das ist nicht so einfach. Daran muss man sich erst noch gewöhnen", erzählt Aljoska Stefanato. Venedig und die Inseln in der Lagune werden an den Wochenenden wieder gut besucht sein. Die Italiener selbst nutzen die Gelegenheit, einen Ausflug zu machen. Auch sie durften innerhalb des eigenen Landes fast drei Monate nicht verreisen.
Bis sich die Strände in Rimini oder die Campingplätze am Gardasee wieder mit Touristen aus Deutschland oder Österreich füllen, dürfte es noch etwas dauern. Die Urlauber müssen sich sicher fühlen. "Den Tourismus wieder in Gang zu bringen, ist jetzt eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung", sagt Teresa Coratella von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations in Rom der DW. "Dabei geht es nicht nur um den Reiseverkehr innerhalb Italiens, sondern auch um die EU. Die Reiseländer sollten sich jetzt keine Konkurrenz machen", meint Teresa Coratella.
Langsame Erholung der Tourismusbranche erwartet
Die langfristigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen der Corona-Krise würden erst nach der Sommerpause im September richtig sichtbar. Viele Italiener fühlten sich von der Europäischen Union im Stich gelassen. Das könne man mit einem ehrgeizigen Aufbauprogramm, zu dem auch der Tourismus gehöre, vielleicht wieder ändern.
Italiens Außenminister Luigi Di Maio verlangt von den anderen EU-Staaten, dass sie ihre Reisebeschränkungen ebenfalls streichen. Deutschland will erst am 15. Juni die Reisewarnung für Italien fallen lassen. Di Maio bemängelte, man dürfe sein "wunderschönes Land" nicht wie ein "Lazarett" behandeln. Italien war mit 33.000 Corona-Toten besonders schwer von der Pandemie betroffen. Inzwischen liegen die Infektionsraten für viele Regionen aber unter denen in Bayern.
Auch der Reiseverkehr mit außereuropäischen Märkten müsse wieder in Schwung gebracht werden, meint Teresa Coratella von der Denkfabrik in Rom. Schließlich hatten Besucher aus den USA oder Asien einen Anteil von knapp über 40 Prozent am Tourismusmarkt. Auf dem Flughafen Leonardo da Vinci in Rom starten und landen an diesem Mittwoch rund 100 Maschinen, erheblich mehr als noch vergangene Woche. Vor Corona waren es täglich rund zehn mal so viel.
Für die Tourismusregionen in Norditalien besonders wichtig ist das Verhalten Österreichs, das ein zentrales Transitland für die deutschen Urlauber ist. Noch ist die Grenze am wichtigen Brennerpass für Reisende, die aus Italien nach Österreich wollen, strikt reglementiert. Für Touristen, die in umgekehrter Richtung aus Österreich nach Italien kommen, ist sie aber - wie in der EU vor Corona üblich - wieder komplett offen.
Grenzöffnung nach Österreich und Deutschland nötig
"Das, was Italien macht, ist ja eine einseitige Maßnahme. Jetzt kommt es darauf an, wie sich Deutschland und Österreich verhalten. Der rein touristische Reiseverkehr ist aus Österreich und bis zum 15. Juni wohl auch aus Deutschland schwierig. Aber danach sollte es eigentlich klappen und es sollte möglich sein, normal über die Grenzen zu fahren", beschreibt Herbert Dorfmann im Gespräch mit der DW die Lage. Dorfmann ist Abgeordneter der Südtiroler Volkspartei im Europäischen Parlament. Für das italienische Südtirol als Grenzregion zum Bundesland Tirol in Österreich ist eine offene Grenze besonders wichtig, betont Herbert Dorfmann. Man müsse da "regional und freundlich" zusammenarbeiten, zumal das Infektionsgeschehen auf beiden Seiten des Brennerpasses niedrig sei.
"Im zweiten Quartal ist der Tourismus auf Null gegangen. Für uns ist das natürlich eine Katastrophe", sagt der Vertreter Südtirols im EU-Parlament. "Wir leben auch vom Tourismus und werden uns natürlich freuen, wenn jetzt Grenzöffnungen passieren und Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wieder kommen können."
Kommt Merkel nach Südtirol?
Die Chancen, dass sich der Tourismus in Südtirol wieder erholt, sieht Dorfmann gar nicht so schlecht. "Tourismus auf Kreuzfahrtschiffen und an überfüllten Stränden wird schwierig sein, insofern glaube ich, dass Tourismus in den Bergen von den Menschen als angenehmer empfunden wird. Abstand halten ist leichter. Das Angebot wird als sicherer empfunden, und das dürfte sich in diesem Sommer auch auszahlen."
Auf einen besonders symbolischen Gast hoffen sie in den italienischen Alpen natürlich ganz stark: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat schon seit mehreren Jahren im Sommer in Südtirol ausgespannt. Kommt sie in diesem Corona-Jahr auch? "Uns würde das sehr freuen, aber das hängt natürlich von der Bundeskanzlerin selber ab", sagt Herbert Dorfmann. "Wir hoffen, dass wir sie, wie auch in den vergangenen Jahren, in Sulden begrüßen können."