Vom Balkan zum Studium nach Deutschland
31. August 2004Bonn, 31.8.2004, DW-RADIO, Anna Bakovic
Wenn im Oktober die Universitäten in Deutschland wieder ihren Betrieb aufnehmen, werden auch rund 61 000 Studenten aus dem Ausland dabei sein. Wenn es ihnen gefällt, werden sie nach dem Studium vielleicht sogar bleiben. Wie der Kroate Branimir Cuturic und die Serbin Svetlana Ressel. Anna Bakovic hat mit ihnen gesprochen.
Nein, sie waren nicht gezwungen, das ehemalige Jugoslawien zu verlassen. Sie haben nicht gegen das kommunistische Tito-Regime gekämpft. Sie mussten nicht fliehen und kein Asyl beantragen. Sie kamen schon Ende der 60er Jahre nach Deutschland. Als sie den Beschluss fassten, zu neuen Ufern aufzubrechen, war es ihnen schlicht zu eng geworden in der eigenen Heimat. Sie wollten die Welt sehen, was lernen. Die eine geht von Serbien nach Münster, der andere von Bosnien nach Nürnberg.
Für Branimir Cuturic aus der zentralbosnischen Stadt Zenica war Deutschland kein unbekanntes Land. Sein älterer Bruder Dragan arbeitete als Seelsorger für kroatische Migranten in der Nähe von Heidelberg. Branimir Cuturic besucht ihn in den Schulferien. Die Ferienjobs helfen nicht nur sein Taschengeld aufzubessern - ganz nebenbei lernt er ganz gut Deutsch. Nach der Niederschlagung einer Protestbewegung in seiner Heimat - dem sogenannten "Kroatischen Frühling" fasst er 1971 den Entschluss: er folgt seinem Bruder nach Deutschland: "Für mich gab es damals keine Perspektiven, als Kroate, der in einem Bundesland gelebt hatte, in Bosnien-Herzegowina. Die Kroaten sind da einerseits Minderheit, andererseits, wurden sie als Andersdenkende, besonders politisch erklärt als Nationalisten, als Chauvinisten, Staatsfeinde usw. Außerdem in Bezug auf mein Studium usw., ich wollte mich frei fühlen, frei reden, frei bewegen und frei äußern können".
Auch in Deutschland herrscht Aufbruchstimmung - vor allem an den Universitäten. Die gerade zuende gehende Studentenrevolte fand Svetlana Ressel jedoch wenig attraktiv. Sie hat andere Gründe aus der serbischen Hauptstadt Belgrad in das verschlafene Universitätsstädtchen Münster umzusiedeln. Deutschland das war für sie das Land der Mathematiker und Philosophen - hier erhoffte sie sich den Eintritt in die Welt der Wissenschaft. Als sie ihr Studium in Münster beginnt, kommt sie in einer deutschen Familie unter. Die deutsche Sprache zu lernen fällt ihr so leichter, und sie fühlt sich gut aufgehoben. Erfahrungen von Diskriminierung kennt sie nicht: "Ich habe nie das Gefühl gehabt, Anfang der siebziger Jahre, dass mir jemand feindselig gegenüberstand oder mich feindselig behandelt hätte." Nicht nur als Studentin auch später in ihrem Beruf als Slavistik-Dozentin an der Universität Heidelberg empfindet sie viele Vorteile in der einstmals fremden Gesellschaft in Deutschland: "Von vornherein habe ich mich hier sehr wohlgefühlt, weil ich immer das Gefühl hatte, diese Ordnung, ich bin ein ordnungsliebender Mensch, dieses Geregeltsein lässt mir viel Raum für meine eigene Kreativität, für meine eigene Entwicklung. Da verbringt man nicht so viel Zeit mit sinnlosen ‚Amtstubenwartereien‘ oder sonst. Man ist zeitlich sehr stark entlastet und hat Zeit für andere Dinge." Neben der Korrektheit und Verlässlichkeit schätzt sie an Deutschland auch die Gastfreundlichkeit und das gemäßigte Klima. Gleichwohl hat sie während ihres 33jährigen Aufenthalts auch Veränderungen beobachtet: "Es hat sich auch vieles verändert in Bezug auf die alten deutschen Tugenden Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und da vielleicht für meine Begriffe im negativen Sinne," so Svetlana Ressel. Trotzdem bleibt Deutschland , das Land ihrer Wahl, meint die heute 53jährige Slawistikprofessorin mit deutschem Pass.
Auch Branimir Cuturic hat diese Wahl schon während des Studiums getroffen. Er heiratet, bekommt zwei Kinder, baut ein Haus im fränkischen Fürth. Von seinem Lehrergehalt zahlt er die Hypothek ab, in der Garage steht ein VW -Passat. Branimir Cuturic lebt wie Tausende anderer Familien in Deutschland, strebsam und ein beschauliches bürgerliches Leben vor Augen. Auf die regelmäßigen Treffen mit Landsleuten in kroatischen Vereinen möchte er allerdings nicht verzichten: "Ich fühle mich so wie damals, ich lebe jetzt nur größtenteils zwischen Deutschen. Aber, was meine persönliche Identität betrifft, das war eine Entwicklung mit der Zeit, Lebenserfahrungen usw. Ich sehe nicht und fühle nicht, dass etwas von meiner Identität verloren gegangen ist." Die kroatische Sprache und das Lebensgefühl, das alles möchte er auch für seine Kinder erhalten - doch die interessieren sich mehr für coole Klamotten, und Computerspiele, wie viele Jugendliche in ihrem Alter. "Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Kinder perfekt Kroatisch sprechen könnten. Andererseits meine Frau ist eine Deutsche, spricht ein wenig Kroatisch, die Kinder sprechen ein bisschen Kroatisch. Ich will mein Familienleben wegen solcher Diskrepanzen nicht zerstören oder Konflikte aufbauen." Der 54jährige Lehrer ist der einzige in der Familie, der keinen deutschen Pass hat. Er müsste den kroatischen abgeben, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, und darin sieht er keine Vorteile. "Ich fühle mich ganz integriert, ich habe keine Probleme. Von meinem Alter her, habe ich mehr Zeit in Deutschland verbracht als unten. Ich habe auch kein Problem, was den deutschen Arbeitsplatz betrifft."
Rund 7,3 Millionen Ausländer leben insgesamt in Deutschland. Etwa ein siebtel davon stammen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Die meisten von ihnen haben sich mehr oder weniger unauffällig in die deutsche Gesellschaft eingefügt. Auch Svetlana Ressel aus Serbien, oder Branimir Cuturic aus Bosnien-Herzegowina wollen nicht zurückzugehen. Nur eines kann sich Cuturic vorstellen - den Lebensabend in seiner alten Heimat verbringen - denn schließlich sei das Klima da besser. (md)