Vom Campus zum Campingplatz: Studierende in Wohnungsnot
22. Oktober 2023Das Wintersemester hat bereits begonnen - und Zehntausende Studierende und Doktoranden sind noch immer auf der Suche nach einer ständigen Bleibe. Viele müssen feststellen, dass sie kaum Chancen haben, ein Zimmer im Studentenwohnheim oder in einer bezahlbaren WG zu finden.
Wie schlimm die Situation tatsächlich ist, lässt sich daran erkennen, dass das Studentenwerk der Stadt Göttingen ein Hotel angemietet hat, in dem Studierende in den ersten Wochen des Semesters preisgünstig wohnen können. Weiter im Süden, in München, wo Studierende im Schnitt 720 Euro Miete im Monat zahlen müssen, bietet ein Campingplatz ermäßigte Preise für dort campierende Studierende an.
Anfang des Jahres stellte das Pestel-Institut in einer Studie fest, dass in Deutschland bis zu 700.000 Wohnungen fehlen, insbesondere erschwingliche Wohnungen. Nicht zuletzt in den großen Universitätsstädten sind die Mieten dramatisch angestiegen.
Schon seit Jahrzehnten ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Studierende in großen Städten ein "eklatanter Missstand", beklagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW) in einer Erklärung vom 16. Oktober. Das DSW verwaltet gegenwärtig 1700 Wohnheime in ganz Deutschland, mit Platz für etwa 196.000 Studierende. Mehr als 32.000 stehen auf Wartelisten.
Couchsurfen und lange Wege
Merlin sitzt mit seinem Laptop auf einem alten Sofa auf dem Campus der Freien Universität Berlin. "Ich kann etwa 500 Euro im Monat für Miete ausgeben, aber oft antworten mir die Vermieter nicht einmal", sagt der 22-Jährige, der im ersten Semester studiert und zurzeit teils bei seinen Eltern in Kleinmachnow bei Berlin wohnt, teils bei einer Tante, deren Wohnung näher an der FU liegt.
Im gemütlichen Sessel direkt daneben sitzt die ein Jahr jüngere Tiermedizinstudentin Talina. Sie erzählt, dass ihr im August nur ein Monat Zeit gegeben wurde, um ihre Wohnung zu verlassen und für eine Familie Platz zu machen. Ihre Kommilitonin Elli, ebenfalls 21, wohnt zur Untermiete und muss bis zum Ende des Jahres eine neue Bleibe finden.
Leicht wird es nicht werden: Die durchschnittlichen Kosten für ein WG-Zimmer haben sich in Berlin während des vergangenen Jahrzehnts auf 650 Euro verdoppelt, 100 Euro mehr als im vergangenen Jahr, wie das Moses-Mendelssohn-Institut und die Wohnungssuchplattform wg-gesucht.de herausfanden. Die Wohnpauschale für Studierende, die eine staatliche Förderung gemäß Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten, beträgt jedoch maximal 360 Euro.
Immer mehr der 200.000 Studierenden bewerben sich daher um einen Platz in den Studentenwohnheimen, sagt Jana Judisch, Pressesprecherin des Studierendenwerks Berlin. Das Werk verfügt über 9000 Betten und eine Warteliste mit 4900 Einträgen. Zurzeit beträgt die Wartezeit drei Semester. "Viele Studierende ziehen eher an den Stadtrand oder sogar hinter den Stadtrand nach Brandenburg und nehmen einen langen Weg in Kauf", sagt Judisch.
Die 30-jährige Carla sitzt in der Herbstsonne und dreht sich eine Zigarette. Sie studiert Sprachen an der FU und zählt sich zu den Glücklichen. Vor einigen Jahren, als die Mieten noch deutlich niedriger waren als heute, fand sie ihre WG. Doch die Dinge haben sich geändert. "Wir hatten WG-Mitglieder, die ihre Zimmer untervermietet haben, und dann mussten diese Untermieter bei uns auf dem Sofa schlafen, weil sie nichts anderes zum Wohnen gefunden haben", erzählt sie.
Internationale Studierende haben es besonders schwer
Die Wohnungssuche ist eines der häufigsten Probleme, mit denen sich Studierende an die AStA wenden, sagt Thomas Schmidt, Referent für Soziales beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). "Manchen Studierenden gelingt es, mit einer Bürgschaft von den Eltern ein Zimmer zu mieten, aber vor allem internationale Studierende haben diese Möglichkeit oft nicht und haben es besonders schwer", erzählt er der DW in seinem Büro an der FU.
Neben der Umsetzung ambitionierter politischer Forderungen, um die Mieten für alle Berliner zu senken, würde er mehr finanzielle Unterstützung durch den Senat von Berlin begrüßen, insbesondere für den Bau und die Sanierung von studentischem Wohnraum.
Über die letzten 12 bis 15 Jahre ist die Zahl der Studierenden in Deutschland um etwa eine Million auf rund 2,9 Millionen angewachsen. Damit gingen jedoch keine Investitionen in die soziale Infrastruktur einher, die notwendig sind, um diese wachsende Zahl zu bewältigen, erklärt Stefan Grob, stellvertretender Generalsekretär des DSW: "Wir befürchten, dass wir uns auf eine Zweiklassengesellschaft zubewegen, in der reichere Menschen es sich erlauben können, dort zu studieren, wo sie wollen, weil sie sich den Wohnraum leisten können, und andere eben nicht. Das wäre eine Katastrophe, denn das Geld würde darüber entscheiden, wo Menschen studieren können, nicht ihre Intelligenz und ihr Können."
Regierung will in Wohnraum investieren
Das DSW wünscht sich eine Erhöhung der monatlichen Wohnpauschale, die als Teil der BAföG-Förderung ausgezahlt wird, räumt aber gleichzeitig ein, dass nur zehn bis elf Prozent der Studierenden BAföG-berechtigt sind. Um die Lage etwas zu entspannen, hat die deutsche Koalitionsregierung als Teil des Förderprogramms "Junges Wohnen" einen Bundeszuschuss in Höhe von 500 Millionen Euro für das Jahr 2023 angekündigt. Damit soll mehr bezahlbarer Wohnraum für Studierende, Auszubildende und Polizeikräfte in Ausbildung geschaffen werden.
Laut Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen soll der Zuschuss auch in den Jahren 2024 und 2025 ausgezahlt werden. Das DSW begrüßt diese Entscheidung, doch für die Tausenden Studierenden, die in diesem Wintersemester verzweifelt nach einem Dach über dem Kopf suchen, kommt sie zu spät.
"Die Studierenden konkurrieren bei der Wohnungssuche mit anderen sozialen Gruppen wie älteren Menschen, jungen Familien, Menschen mit geringfügigem Einkommen, Geflüchteten usw. Hier geht es also nicht nur um ein Problem der Hochschulen, sondern um ein soziales Problem", betont Grob.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.