Vom Kaufmann zum Kanzler
12. April 2004Es ist eine der bekannteren Anekdoten über Gerhard Schröder: wie der junge, ambitionierte Politiker am Zaun des Bonner Kanzleramtes rüttelt und - vielleicht nach dem einen oder anderen Drink - ruft: "Ich will hier rein!"
Ob Wahrheit oder Dichtung: die Geschichte zeigt den unbändigen Willen, mit dem er nach oben strebt. Und es hat geklappt: 1998 ist Schröder ins Kanzleramt eingezogen. In die Wiege gelegt wurde ihm das nicht, denn der Kanzler stammt aus einfachsten Verhältnissen.
Schwieriger Start
Geboren wurde Schröder am 7. April 1944 in Mossenberg, Niedersachen - während des Kriegs und in bitterer Armut. Seinen Vater, einen ungelernten Arbeiter, hat er nie zu Gesicht bekommen. Er fiel als deutscher Soldat in Rumänien. Seine Mutter arbeitete als Putzfrau und zog unter äußerst bescheidenen Bedingungen sechs Kinder auf.
Der Ausbruch aus dieser Welt war nicht einfach. Nach der Volksschule machte Schröder eine kaufmännische Lehre und arbeitete als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Doch er wollte mehr. Schröder ging zurück zur Schule, machte das Abitur nach und schrieb sich 1966 an der Universität Göttingen ein. Vier Jahre später schloss er sein Jurastudium ab und eröffnete 1976 in Hannover eine Anwaltskanzlei.
Die sozialdemokratischen Ideale seiner Mutter sowie die Kanzlerschaft seines Vorbilds Willy Brandt veranlassten Schröder, sich immer stärker in der SPD zu engagieren. Seine Parteikarriere, die mit dem Eintritt in die SPD 1963 begonnen hatte, führte ihn 1978 zunächst an die Spitze der SPD-Jugendorganisation. Für eine gewisse Zeit gab sich Schröder als Linker. Einen Namen machte er sich als Anwalt des Linksterroristen Horst Mahler sowie als Kämpfer gegen die Atomkraft.
Doch gleichzeitig entwickelte er einen Hang zu edlen Zigarren und teuren Anzügen - Eigenschaften, die sein Image als SPD-Linker langsam untergraben haben. Sie illustrieren Schröders Reise vom linken Parteirand in die politische Mitte. 1980 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt, ab 1986 führte er die SPD-Fraktion im Landtag seiner Heimat Niedersachsen.
Genosse der Bosse
Während der nächsten vier Jahre lernte Schröder, sich geschmeidig in den Vorhöfen der Macht zu bewegen und politische Inhalte in medientaugliche Interviews zu packen. Fähigkeiten, die seinem weiteren Aufstieg zuträglich waren.
1990 drängte Schröder überraschend den langjährigen CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, den durch einen Skandal geschwächten Ernst Albrecht, aus dem Amt. Zwei Legislaturperioden lang war er Ministerpräsident und drückte dem Land so sehr seinen Stempel auf, dass er noch heute bisweilen als "Landesvater" Niedersachsens gesehen wird.
Trotz seiner Koalition mit den Grünen scheute Schröder nicht vor Kontakten mit der Wirtschaft zurück. Der ständig auf Unabhängigkeit bedachte Politiker hatte viele Freunde unter den Bossen der "Deutschland AG": in der Automobilindustrie, im Stahlbau, bei Werften ebenso wie bei den Flugzeug- und Maschinenbauern. Sein lockerer Umgang mit den Medien sowie sein gerissener Charme brachten ihm jedoch zunehmendes Misstrauen von Seiten der Linken sowie des grünen Koalitionspartners ein. Er wurde als Narziss bezeichnet und erhielt den Beinamen "Genosse der Bosse".
Neue Mitte
Der entscheidende Schritt an die Spitze des Staates gelang Schröder 1998. Mit der Ankündigung, "16 Jahre Stillstand" unter Helmut Kohl durch eine Regierung der "neuen Mitte" zu ersetzen, gelang es ihm, den Kampf ums Kanzleramt für sich zu entscheiden. Die Strategie nahm ganz offensichtlich Anleihen bei Tony Blairs "drittem Weg" und der erfolgreichen Politik Bill Clintons in den USA.
Die ersten vier Jahre seiner Kanzlerschaft ergeben allerdings ein zwiespältiges Bild. Für den erfolgsverwöhnten Politiker entwickelten sich die Dinge schlecht. Nach Jahren des Aufschwungs ließ das Wirtschaftswachstum plötzlich nach. Seine Zusage, die Arbeitslosigkeit drastisch zu senken, konnte er nicht halten: zum Ende der Legislaturperiode 2002 hatte die Arbeitslosenrate erneut die 4-Millionen-Grenze überschritten.
Trotzdem gelang ihm die Wiederwahl als Kanzler - wenn auch mit hauchdünner Mehrheit. Vor allem zwei äußere Gegebenheiten haben das möglich gemacht: die verheerenden Fluten im Osten Deutschlands und seine harte Opposition gegen den Irak-Krieg.
Bisweilen macht es den Anschein, als genieße Schröder die internationale Politik mehr als die Mühsal der Innenpolitik mit der schwierigen Reformdebatte in Deutschland. Der erste Kanzler, der den zweiten Weltkrieg nicht aktiv erlebt hat, scheut nicht davor zurück, eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt anzumahnen. Wie keiner seiner Vorgänger hat er sich während des Irak-Kriegs in Opposition zu den USA begeben. Und wie kein anderer setzt er sich für einen deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen ein.
Ende der glücklichen Zeiten?
In diesen Monaten, zur Hälfte seiner zweiten Amtszeit als Kanzler, ist Schröder allerdings auf einem Tiefpunkt angekommen. Noch nie war er so unbeliebt wie heute. Seine Partei verliert im Rekordtempo Mitglieder. Nach Ursachen muss nicht lange gesucht werden: das Wirtschaftswachstum ist schwach und die eingeleiteten Reformen gefallen vor allem eingefleischten SPD-Anhängern nicht. Im März 2004 gab Schröder den SPD-Vorsitz an Franz Müntefering ab, dessen Ansehen bei Parteigremien höher ist.
Deutsche Medien spekulieren derweil darüber, ob Schröder seinen politischen Zenit bereits überschritten habe und ob der bedrängte Kanzler vorzeitig seinen Stuhl räumen könnte. Schröder hat dies zurückgewiesen: für 2006 strebe er eine dritte Amtszeit an.