Vom Selbstporträt zum Selfie
Sie sind überall: schlecht ausgeleuchtete Fotos, auf denen sich Menschen mit Schmollmündern in Pose werfen. Wie unterscheidet sich das Selfie von einem Selbstporträt? Ein Blick in die Kunstgeschichte.
Ikone aller Selbstporträts
Albrecht Dürer malte sich um 1500 als Sohn Gottes. Starr blickt er aus dem Bild heraus auf den Betrachter. Der Künstler stellt sich selbst ganz schnörkellos und bescheiden dar. Der Künstler als Schöpfer - das war ein ganz neues Selbstbildnis, das sich zu dieser Zeit entwickelte.
Nichts dem Zufall überlassen
20 Jahre alt war Anton van Dyck (1599-1641), als er sich selbst malte. Er gibt sich große Mühe, würdevoll zu wirken, wie seine elegante Erscheinung beweist. Für Kunsthistoriker sind Selbstbildnisse auch Beschreibungen ihrer Zeit: Van Dyck, der ab 1632 Hofmaler von Karl I. in England war, gleicht mehr einem Adligen als einem Bürger. Er war ein herausragender Porträtist - auch seiner selbst.
Realistischer Blick
Rembrandt (1606-1669) porträtierte sich so oft wie kein anderer Künstler vor ihm. Er malte sich in jedem Alter und wechselte ständig die Rollen: Er präsentierte sich malend vor der Staffelei oder als Apostel. Mit den Selbstporträts studierte er auch den Alterungsprozess an sich selbst. Die Selbstporträts entstanden - wie alle seine Werke - als Auftragsarbeit und waren bei Käufern sehr beliebt.
Romantiker im Bild
Caspar David Friedrich (1774-1840) war kein Porträtmaler. Er ist berühmt geworden für seine romantischen Landschaften im Wandel der Jahreszeiten. Entsprechend war ihm bei seinen wenigen Selbstporträts auch daran gelegen, Eigenheiten besonders detailgetreu darzustellen. Sein ausdrucksstarker Blick, sein mächtiger Backenbart, seine Haltung - Friedrich zeigt sich als selbstbewusstes Individuum.
Gesicht als Markenzeichen
Von Andy Warhol (1928-1987) gibt es viele Selbstporträts. Anders als bei Rembrandt ging es dem Pop-Art-Künstler nicht darum, ein authentisches Bild von sich abzugeben. Warhol schlüpft in Rollen, die er dem Betrachter vorgaukelt. Trotzdem gibt es auch eine Parallele zu Rembrandt: Wie der barocke Künstler aus Amsterdam sind Warhols Selbstporträts so etwas wie sein Branding.
Ich ist ein anderer
Schmerzhaft verzerrt sehen die Selbstporträts des britischen Künstlers Francis Bacon (1909-1992) aus. 1956 malte sich Bacon zum ersten Mal selbst. Inspiriert war er vom niederländischen Künstler Vincent van Gogh. Fröhlich sieht er nicht aus. Seine Selbstporträts haben kaum noch etwas Menschliches - sie sind monströse Fratzen.
Feministischer Blick
Cindy Sherman kennt eigentlich nur ein einziges Motiv in ihrer Kunst: sich selbst. Sie posiert in unterschiedlichen Rollen und Posen. Mal tritt sie als Filmstar, mal als Marilyn Monroe, Clown, Hermaphrodit oder Opfer von Gewalt auf. Dabei geht es in ihren Selbstinszenierungen immer um die Frage: Wie stereotyp ist eigentlich das Bild der Frauen in unserer Gesellschaft?
Ironie als Konzept
Martin Kippenberger (1953-1997) wird als Künstlergenie der 1980er Jahre gefeiert. In seinen Selbstporträts, die er zum Teil von einem Plakatmaler fertigen ließ, zeigt er sich mal als verprügelter Jugendlicher, mal als dicklicher Klumpen Fleisch. Kippenberger wusste immer genau, was er tat: Ein Selbstporträt, bei dem das Gesicht nicht zu sehen ist, zeigt auch die Grenzen der Malerei auf.
Politisiertes Ich
Ai Weiwei hat Selfie-Ikonen geschaffen, die dank sozialer Netzwerke um die Welt gingen. Der chinesische Dissident, der derzeit in Berlin lebt, dokumentiert entscheidende Momente seines Lebens mit dem Smartphone. Er setzt das Selfie gezielt und sehr wirksam als politische Botschaft ein: zum Beispiel, um zu zeigen, dass ihm die chinesische Regierung seinen Reisepass wieder ausgehändigt hat.