Kunst und Katastrophen
10. September 2011Anlässlich des 10. Jahrestages des 11. September 2001 beschäftigt sich die Ausstellung "unheimlich vertraut" in dem internationalen Ausstellungsforum C/O Berlin mit dem Umgang von Bildern in der heutigen Mediengesellschaft - dazu werden 200 Arbeiten aus dem Bildarchiv des Politmagazins der SPIEGEL, sowie fotografische Beiträge von rund 30 Künstlern gezeigt. Der Kurator, Felix Hoffmann, sprach mit DW-WORLD.DE über die künstlerische Auseinandersetzung mit Katastrophenbildern und deren gewaltige Macht über unsere Wahrnehmung.
DW-World.de: Herr Hoffmann, wie hat der 11. September 2001 die Kunst verändert?
Die Frage ist, ob der 11. September nur die Kunst oder ob er unsere Bilderwelt grundsätzlich verändert hat. Auf jeden Fall hat 9/11 bewirkt, dass sich unser breites Bewusstsein und auch unser Verhalten gegenüber Bildern verändert hat. Nicht nur die Kunst, sondern auch Medienbilder – Abbildungen, die in Printmedien und auch im Fernsehen tagtäglich zu sehen sind - haben zu diesem Wandel geführt. Der 11. September hat somit gezeigt, dass es sich nicht nur um einen Terroranschlag handelt, der über Bilder vermittelt wird, sondern dass der Terroranschlag zum Bilderterror wird. Dabei stürzt eine unglaubliche Flut an Bildern über uns herein, die sich allerdings nur auf einige wenige Stereotype und Ikonen konzentriert.
Sie stellen Künstler aus, die sich fotografisch mit dem Phänomen Terrorismus auseinandersetzen. Kann man einen Unterschied zwischen US-amerikanischen und europäischen Künstlern feststellen?
Ich persönlich kann keinen Unterschied feststellen. Vielmehr glaube ich, dass der 11. September auch ein Zeitpunkt war, zu dem der Übergang von einem analogen Gebrauch des Mediums Fotografie hin zu einem digitalen stattgefunden hat. Diese Veränderung ist darauf zurückzuführen, dass das Medium an sich anders verstanden und anders damit umgegangen wird. Durch die globalisierte Welt ist es heute egal, wo wir uns gerade aufhalten.
Die Ausstellung hat ja einen paradoxen Titel, nämlich "unheimlich vertraut". Warum haben sich gerade die Bilder vom Terror so in unserem Bildergedächtnis verankert?
Dabei handelt es sich um ein wirklich komisches Phänomen. Gerade an Katastrophen und speziell an Terrorereignissen zeigt sich, wie wir mit Bildern umgehen. Vor allem die Medien und die Künstler sind für ein solches Ereignis sensibilisiert. Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, warum man dieses Verhalten nicht an einem positiven Ereignis, beispielsweise an einer Königshochzeit oder einem anderen erfreulichen Geschehnis, zum Ausdruck bringen kann. Aber es scheint wirklich so, dass Katastrophen, speziell Terrorereignisse, dazu aufrufen, mit Bildern anders umzugehen und derartige Vorfälle nachträglich anders zu reflektieren. Deswegen haben wir uns überlegt, eine Ausstellung zum Umgang mit Terrorbildern und speziell zum 11. September zu verwirklichen.
Nach dem Anschlag auf das World Trade Center haben die Äußerungen des Komponisten Karlheinz Stockhausen für große Verwirrung und Aufregung gesorgt (Das Ereignis 9/11 sei "das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat"). Wie reagieren die Künstler der Ausstellung auf den Terrorakt als mediales Ereignis?
Es ist interessant zu beobachten, dass sich derartige Ereignisse mittlerweile beachtlich verschieben und miteinander verzahnen, wie beispielsweise Nachrichtensendungen und Spielfilme, die das Terrorereignis auf unterschiedliche Weise aufgreifen. Als Beispiel wäre die Idee eines Bildredakteurs zu nennen, der vor Monaten die Bilder des Vorfalls im Atomkraftwerk von Fukushima mit Musik unterlegte. Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Wie kommt man auf den Gedanken, ein brennendes Atomkraftwerk mit Musik zu unterlegen? Die Antwort hängt wohl auch damit zusammen, dass die künstlerische Welt, wie zum Bespiel die des Kinos, mehr Einfluss auf die Nachrichtenwelt hat, als bisher angenommen.
Handelt es sich dabei um den sogenannten '"Aufmerksamkeitsterrorismus"?
Ja, dieser "Aufmerksamkeitsterrorismus" ist sicherlich ein Aspekt.
Was genau kann man darunter verstehen?
In erster Linie geht es bei dem "Aufmerksamkeitsterrorismus" darum, wie Bilder als Waffen eingesetzt werden. Es geht nicht mehr allein um das Terrorereignis an sich, bei dem Menschen sterben und zu Schaden kommen, sondern vielmehr um die daraus entstehenden Bilder, die ihre Wirkung erst nachträglich entfalten. Wir haben diese Tatsache beispielsweise gerade bei dem Terroranschlag in Oslo erlebt. Erst vor ein paar Wochen war in der ersten Nachrichtenmeldung die Rede von einem islamistisch orientierten Terroranschlag. Im Nachhinein hat sich allerdings herausgestellt, dass es sich genau um das Gegenteil gehandelt hat - nämlich um einen nationalistisch orientierten Amoklauf. Nach dem 11. September kann man eigentlich sagen, wenn ein Terroranschlag richtig wirken soll, muss es auch richtig gute Bilder geben.
Wie kann die Kunst auf solche starken medialen Ereignisse Bezug nehmen, bzw. wie nehmen die Künstler, in der von Ihnen kuratierten Ausstellung im C/O Berlin Bezug auf den 11. September oder überhaupt auf Terrorbilder?
Wir haben uns vor allem auf Künstler konzentriert, die sich mit der Medienwirklichkeit auseinandersetzen, sich die Bilder von Fotojournalisten aneignen, um sie daraufhin in eine andere Form zu bringen und somit die Funktion der Bilder, die tagtäglich auf uns niederprasseln auf der einen Seite zu hinterfragen und sie auf der anderen Seite zu dekonstruieren, die Ereignisse also auch in der Dekonstruktion in verschiedenen Facetten sichtbar werden zu lassen.
Sie spannen den Bogen von 1972 - dem Terroranschlag in München während der Olympischen Spiele - bis 2001. Also vom analogen Zeitalter zum digitalen Zeitalter. Was hat sich in unserem Umgang mit Bildern vom Terror geändert?
Das Interessante bei dem Terroranschlag 1972 in München war, dass es das erste Terrorereignis war, das sich im Fernsehen abspielte. Die Terroristen, die sich in dem olympischen Dorf in bestimmten Wohnungen der israelischen Mannschaft eingenistet hatten, konnten über Live-Schaltungen des ZDF mitverfolgen, was draußen passiert. Das war zum ersten Mal möglich, so wie es ebenfalls das erste Mal der Fall war, dass bereits so viele Journalisten vor Ort waren.
Sind die beiden Ereignisse insofern auch miteinander verwandt?
Dem würde ich schon zustimmen. Meiner Meinung nach ist es natürlich auch relevant für solch eine Ausstellung, das Ganze mal historisch zu untersuchen. Wie sich der Umgang der Medien oder auch der Künstler mit Bildern in knapp 30 Jahren verändert hat. Das hat uns interessiert an der Verknüpfung dieser beiden Ereignissen.
Das Gespräch führte Sabine Oelze
Redaktion: Gudrun Stegen