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Vom Umgang mit der Nazi-Kunst

Jochen Kürten13. Juni 2013

In Deutschland ist es nach wie vor ein höchst sensibles Thema: Kunst, die zwischen 1933 und 1945 im Auftrag der Nazis entstand. Jetzt deutet sich ein Wandel an. Immer mehr Museen stellen sich ihrer Vergangenheit.

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Ferdinand Spiegels Gemälde 'Arbeitskameraden' (Ausschnitt) (Foto: CTW/Andreas Bestle)
Bild: CTW/Andreas Bestle

Darf man Nazi-Kunst zeigen? Diese Frage wurde in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit lange mit einem klaren Nein beantwortet. Das hatte verschiedene Gründe. Die einen wollten sich mit der Propaganda-Kunst der braunen Machthaber nicht beschäftigen, weil sie dabei an Verdrängtes erinnert wurden, an eigene Verantwortung. Andere lehnten die öffentliche Zurschaustellung von Kunst aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 ab, weil sie direkt betroffen waren. Opfer, Opferverbände, jüdische Mitbürger: Sie alle wandten sich gegen die Nazi-Kunst in öffentlichen Museen. Auch gab es Stimmen, die das Nicht-Zeigen mit dem Argument begründeten, dass es sich hierbei eben nicht um "Kunst" handele, sondern um reine Propaganda ohne künstlerischen Wert.

Emotional aufgeheizte Debatten

Das hatte zur Folge, dass in den 50er und 60er Jahren die Beschäftigung mit dieser Kunst kaum stattfand. Erst Ende der 60er Jahre mehrten sich die Stimmen, die einen offeneren und vor allem wissenschaftlichen Umgang mit Nazi-Kunst forderten. Erste Ausstellungen in Frankfurt am Main, München, Essen und Berlin sorgten dafür, dass die Deutschen NS-Kunst in Museen kritisch begutachten konnten. In einer weiteren Phase stellten sich dann vor allem Stadtmuseen der Aufgabe, zu untersuchen, wie sich ihre jeweilige Region in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verhalten hat. Häufig entstanden dabei emotionale Debatten. Die Frage, die sich stellte: Soll man diese Kunst überhaupt zeigen oder sie aus besagten Gründen in Depots verschwinden lassen?

Derzeit kann man einen neuen Umgang mit der Kunst der Nazis beobachten. Beispielhaft ist dafür die Stadt Würzburg. Im "Museum im Kulturspeicher" wurden in den vergangenen Wochen unter dem Titel "Tradition und Propaganda - Eine Bestandsaufnahme" rund 90 Werke gezeigt, die die Stadt während der Nazi-Diktatur gekauft hat. Bettina Keß, Kuratorin der Schau, betont im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Jetzt ist eine Generation in einer Verantwortung, die dokumentarischer, nüchterner mit dem ganzen Thema umgeht. Das ist ein Generationenwechsel. Das kann man generell auf das Thema Nationalsozialismus beziehen."

Die Kuratorin Bettina Keß in Räumen der Ausstellung 'Tradition und Propaganda' im Museum im Kulturspeicher in Würzburg (Foto: DW/Jochen Kürten)
Kuratorin Bettina KeßBild: DW/J. Kürten

Es ist kein Zufall, dass sich gerade die nordfränkische Stadt ihrer Vergangenheit stellt. Keine andere deutsche Gemeinde hat in den NS-Jahren mehr Kunst gekauft, gesammelt und ausgestellt. Das jetzt zu zeigen, sei "einerseits ein Stück Regionalgeschichte, sicher aber auch ein Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der weit über die Beschäftigung mit der Kunst hinausweist", sagt Keß.

Weg von der ausschließlichen Opferrolle

Würzburg wurde in einer einzigen Bombennacht, am 16. März 1945, fast vollkommen zerstört. Dieses Ereignis wirkte in den Köpfen der Menschen lange nach. Keß: "Man hat sich sehr lange als Opfer eines alliierten Angriffs begriffen und hat erst in den letzten Jahren begonnen, über die Art des Gedenkens über diesen Tag nachzudenken." Man habe sich dabei auch gefragt: "In welchem Kontext steht das eigentlich?" Man könne sich als Stadt heute nicht mehr allein über diese Opferrolle definieren“, meint die Kuratorin des Museums.

Berliner Ruinen Ende des 2. Weltkrieges (Foto: Herbert Hensky)
Deutsche Städte nach der Bombardierung durch Allierte (hier Berlin)Bild: bpk/Herbert Hensky

Die Stadtväter, Keß und ihre Mitstreiter berufen sich dabei unter anderem auf den renommierten Historiker Norbert Frei, der vor ein paar Jahren für einen neuen Umgang mit dem Thema plädierte: "Für die allermeisten von uns ist die Hitler-Zeit keine erlebte Vergangenheit, sondern Geschichte: History, not Memory", schrieb Frei in seinem Buch "Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen". Nötig sei aber nicht nur die Bereitschaft zur Erinnerung, sondern Wissen. Der Historiker kritisiert, dass in der Gesellschaft eine von "politischen Identitätsstiftungsversuchen und Nützlichkeitserwägungen" bestimmte "Erinnerungskultur" an die Stelle von Geschichtsbewusstsein getreten sei.

Erst sehen, dann urteilen...

Frei setzte sich für einen "differenzierten, alles Plakative, alle Dämonisierungen - und gerade damit auch alle gesellschaftlichen Entlastungsmöglichkeiten - verweigernden, nach alle Seiten kritisch-subtilen Umgang mit der Geschichte des 'Dritten Reiches'" ein. So ist auch die Ausstellung zu interpretieren: Die Menschen müssen erst einmal sehen, was es gab, in der Kunst und Kultur der NS-Zeit, aber natürlich auch in anderen Bereichen. Erst wer mit eigenen Augen etwas begutachten kann, kann sich ein umfassendes Urteil erlauben. Eine ähnliche Diskussion tobt seit langem um das Zeigen oder Nicht-Zeigen von Propagandafilmen der Nazis.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch der Blick auf Kunst, die nicht direkt als Propaganda zu bewerten ist. Wenn der deutsche Soldat mit Stahlhelm martialisch auf einem Sockel steht, die "deutsche Frau" mit Kind auf dem Arm die Mutterbilder der NS-Ideologie symbolisiert, bäuerliches Leben verherrlicht wird, dann ist die Absicht klar. Doch bei anderen Werken kann der Besucher von heute auch ins Zweifeln geraten. In Würzburg sind zum Beispiel auch viele liebliche Landschaftsmotive zu sehen, Gebirgsidyllen, Waldeinsamkeiten.

Skulptur von Friedrich Roland (Bedrich) Watzka, 'Feuer frei' (Foto: CTW/Andreas Bestle)
Martialische "Kunst": "Feuer Frei"Bild: CTW/Andreas Bestle

Kunst, die Idylle vorgaukelt

Gerade das haben man auch zeigen wollen, sagt Keß. Nämlich, "dass in der Zeit ganz viele Sachen produziert wurden, die auf den ersten Blick vielleicht etwas harmlos daherkommen. Die sind zunächst einmal vollkommen harmlos, zeigen eine industrieferne, fortschrittsferne Idylle, eine menschenleere Idylle. Sie gaukeln eine heile Welt vor, die es zu dem damaligen Zeitpunkt in den 40er Jahren, als der Zweite Weltkrieg tobte, nicht mehr gab." Man muss eben genau hinschauen, sich mit den jeweiligen Werken auseinandersetzen, sie einordnen in den historischen Kontext, um zu bewerten.

Nicht nur Würzburg steht derzeit für einen neuen Umgang mit NS-Kunst und der Rolle, die Museen, öffentliche Sammlungen sowie Städte und Kommunen in den Jahren der braunen Herrschaft gespielt haben. Im Juni (13.-15.06.) nimmt Bettina Keß an einer gesamtdeutschen Tagung in Berlin teil. Die beschäftigt sich intensiv mit der Rolle der deutschen Museen während des Nationalsozialismus. Es könnte der Anfang einer breiten Debatte werden.

Ausschnitt vom Gemälde des Künstlers Hermann Gradl: Tegernsee (Foto: Bestle)
Realitätsferne Idylle: Hermann Gradls TegernseeansichtBild: Bestle