Zum Tode von Lorin Maazel
14. Juli 2014Er war einer der weltweit bedeutendsten Dirigenten. Aber er war auch ein begnadeter Geiger und Komponist, sprach sieben Sprachen und verfügte sowohl über ein absolutes Gehör als auch über ein fotografisches Gedächtnis, das es ihm erlaubte, die meisten Partituren auswendig zu dirigieren. Als er elf Jahre alt war, lud ihn Maestro Arturo Toscanini ein, das NBC Symphony Orchestra zu leiten. Die Musiker sollen das "Wunderkind" bei der ersten Probe mit Lutschern im Mund begrüßt haben, doch sie lernten schnell, ihn ernst zu nehmen - genau wie der Rest der Welt.
Ausnahmetalent mit Bilderbuchkarriere
Lorin Maazel wurde am 6. März 1930 in Paris als Sohn US-amerikanischer, jüdischer Eltern russischer Abstammung geboren. Zwei Jahre später kehrte die Familie in die USA zurück, und Lorin wuchs in Pittsburgh auf. Sein Talent kam schon ziemlich früh zutage: Mit fünf Jahren nahm er Geigenstunden, mit sieben Unterricht im Dirigieren, und mit acht stand er erstmals auf der Bühne. Maazel gründete ein Streichquartett und spielte bei den zweiten Geigen der Pittsburgher Sinfoniker, bevor er ein Philosophie-, Mathematik- und Sprachenstudium aufnahm.
In den 1960er Jahren füllte Lorin Maazel in Deutschland gleich zwei Rollen aus: als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin und als Chefdirigent des Berliner Radio-Symphonie Orchesters, des heutigen Deutschen Symphonie-Orchesters. Maazel stand als erster Amerikaner und jüngster Dirigent in Bayreuth am Pult und wurde auch von den Salzburger Festspielen berufen. Charismatisch und gelassen verlangte er astronomische Summen für seine Engagements - und er bekam sie auch.
Rückschläge und Anerkennung
Es schien so, als ob nichts Maazels steile Karriere aufhalten könnte. Doch in den frühen 1980er Jahren, als er an der Wiener Staatsoper engagiert war, wurde er offenbar Opfer einer Intrige und verlor seinen Posten nach nur zwei Jahren. Einen weiteren Rückschlag musste er 1989 hinnehmen. Nach dem Tod Herbert von Karajans wurde Maazel als Favorit gehandelt, ihm als künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker zu folgen. Stattdessen wurde der Posten mit Claudio Abbado besetzt. Der erfolgsverwöhnte Maazel sagte daraufhin alle anstehenden Engagements mit den Berlinern ab; Kritiker warfen ihm vor, er sei dünnhäutig und überempfindlich.
Später versöhnte er sich mit den Wiener Philharmonikern. Nicht zuletzt dank der TV-Übertragung der berühmten Neujahrskonzerte des Orchesters kannte ihn ein Millionenpublikum draußen an den Bildschirmen.
Der rastlose Maazel arbeitete auf mehreren Kontinenten; längere Engagements hatte er beim Pittsburgh Symphony Orchestra, dem Orchestre National de France, dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, den New Yorker und zuletzt den Münchner Philharmonikern. Als Gastdirigent hat er im Laufe seiner 72-jährigen Karriere allerdings über 150 Orchester geleitet. Er war überzeugt davon, dass er die Kunst des Dirigierens vor allem deshalb so gut meisterlich beherrschte, weil er als Geiger einst selbst auf den Musikerplätzen gesessen hatte. So wusste er genau, was von ihnen zu erwarten war.
Altmodische Ansichten
Es schien alles so einfach zu sein - zu einfach, meinten einige Stimmen. Maazel wirkte beim Dirigieren immer entspannt, manchmal sogar unnahbar, waren die Kompositionen auch noch so kompliziert. Die Kritik lobte seine Präzision und seine Eleganz, hörte aber auch Routine und stromlinienförmige Glätte statt eines schöpferischen Kampfes heraus.
Doch Maazel kümmerte sich nicht um solche Aussagen. Selbstbewusst verkörperte er die Tugenden einer vergangen Ära und verkündete: "Heute gibt es Dirigenten, die keine Ahnung von der Transposition haben. Man lernt alles mit Schallplatten und versucht, was zu dirigieren. Man kann weder dirigieren noch komponieren - noch spielen. Das ist wirklich sehr traurig und ich hoffe, dass man zurück zu Mendelssohns Zeit geht, in der jeder selbstverständlich alles machen konnte. Diese Spezialisierung heißt eigentlich: ein Mangel an Begabung."
Mehr als einmal hat Maazel angekündigt, sich vom Pult zurückzuziehen um mehr Zeit zum Komponieren zu finden. Umgesetzt hat er diesen Entschluss nie, bis kurz vor seinem Tod stand er als Dirigent auf der Bühne. Er hinterlässt der Nachwelt zahlreiche Aufnahmen und mehrere Kompositionen - darunter die Oper "1984", die 2005 in London uraufgeführt wurde. Außerdem legte er 2009 gemeinsam mit seiner deutschen Frau, der Schauspielerin Dietlinde Turban-Maazel, in der Nähe seines Heims den Grundstein für das Castleton Festival, wo junge vielversprechende Musiker ihr Talent unter Beweis stellen können.
Und dann war da noch Fußball
Maazels Herz schlug nicht nur für die Musik, sondern auch für den Fußball. 2013 vertonte der damalige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker mit seinem Orchester die Vereinshymne des FC Bayern - ein hymnisches Bekenntnis an seinen Lieblingsverein, kurz bevor dieser das Champions-League Finale gegen Borussia Dortmund bestritt. "Die Musik hat einen ihrer größten Stars, der FC Bayern einen Freund verloren", sagte Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des deutschen Fußball-Rekordmeisters, nachdem ihn die Nachricht vom Tode Maazels erreichte.