Von Agenten aus Berlin verschleppt
8. Januar 2018Der Fall Trinh Xuan Thanh löste im Sommer eine diplomatische Krise aus. Von "Menschenraub" und "Rechtsbruch" sprach das Auswärtige Amt, nachdem der 51-jährige Thanh in Berlin am helllichten Tag auf offener Straße in einen Transporter gezerrt und nach Vietnam gebracht worden war. Die vietnamesische Regierung hingegen behauptet, der frühere KP-Funktionär sei freiwillig in sein Geburtsland zurückgekehrt.
Thanh muss sich nun zusammen mit 21 weiteren Angeklagten vor einem Gericht in Hanoi verantworten. Dem langjährigen Chef von PetroVietnam Construction, einem staatlichen Unternehmen für Erdölförderanlagen, wird Missmanagement vorgeworfen. Außerdem soll er einen Betrag in Millionenhöhe unterschlagen und sich anschließend ins Ausland abgesetzt haben. Trinh Xuan Thanh hatte in Deutschland Asyl beantragt.
Dass Menschen in Deutschland entführt und ins Ausland verschleppt werden, ist in der Vergangenheit mehrfach vorgekommen - vor allem im Umfeld des Kalten Krieges. Wir dokumentieren drei besonders prominente Fälle:
Jeffrey M. Carney
Als der 27-jährige Jens Karney am 22. April 1991 seine Wohnung in Berlin-Friedrichshain verlässt, nähern sich ihm sechs Männer. Sie zerren Karney in ein heranrasendes Auto und fahren mit quietschenden Reifen davon. Ein lautstarker Protest der Bundesregierung blieb damals aus. Der Grund: Jens Karney heißt eigentlich Jeffrey M. Carney.
Carney war als US-Soldat in Westberlin stationiert gewesen und hatte sich während seines Dienstes in einer Abhöranlage vom ostdeutschen Staatssicherheitsdienst anwerben lassen, der ihn fortan unter dem Decknamen "Kid" führte. Nach seiner Rückkehr in die USA war Carney 1985 nach Mexiko gereist, um dort in die DDR-Botschaft zu flüchten und auf konspirativen Wegen in die DDR geschmuggelt zu werden. Fortan lebte er unter dem falschen Namen im Osten Deutschlands. Dann fiel die Mauer.
Die Entführung Carneys war nach Einschätzung von Juristen dennoch ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht - zumal fünf Wochen zuvor das Besatzungsrecht ausgelaufen war und damit die USA keine besonderen Rechte mehr in Deutschland hatten.
Nach elf Jahren Haft wird Carney 2003 aus Fort Leavenworth entlassen und er versucht, nach Deutschland überzusiedeln. Die Behörden in Deutschland lehnen aber ab, Carney als deutschen Staatsbürger anzuerkennen.
Isang Yun
Berlin, und immer wieder Berlin. Auch der koreanische Komponist Isang Yun wurde in der damals geteilten Stadt entführt. Am frühen Morgen des 17. Juni 1967 baten zwei koreanische Anrufer um Rat für eine musikalische Organisation. Das Angebot, in Yuns Wohnung nach Spandau zu kommen, lehnten die Anrufer ab - Yun fuhr daraufhin selbst zu einem Treffpunkt ins Zentrum Berlins. Dort wurde der seit den 1950er Jahren in Deutschland lebende Mann überwältigt und über die koreanische Botschaft in Bonn nach Seoul gebracht.
Auch seine Frau wurde später in die Botschaft gelockt und ebenfalls in die frühere Heimat ausgeflogen - genauso wie 17 weitere Koreaner. Der Vorwurf: Vorbereitung eines Umsturzes und Spionage für Nordkorea. Ein Gericht in Seoul verurteilte den damals 50-Jährigen zu lebenslanger Haft. Das Urteil wurde später auf zehn Jahre Gefängnis reduziert. Nach internationalem Protest, an dem sich auch Musikgrößen wie Karlheinz Stockhausen und Herbert von Karajan beteiligten, wurde Yun Anfang 1969 freigelassen und konnte in die Bundesrepublik zurückkehren. In Berlin erhielt er zwei Jahre später die deutsche Staatsbürgerschaft.
Karl Wilhelm Fricke
Zu den eifrigsten Akteuren in der "Entführungsindustrie" in Deutschland zählten das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR und der KGB. Allein bis Mitte der 1960er Jahre verschleppten sie rund 400 Menschen in die DDR. Häufig handelte es dabei um Gegner des SED-Regimes.
Zu den bekanntesten Fällen zählt der ostdeutsche Journalist Karl Wilhelm Fricke, der 1949 aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen war und kritisch über das SED-Regime berichtete. Als Stasi-Agenten Fricke am 1. April 1955 aus einer Berliner Wohnung entführten, war Fricke bewusstlos. Eine für die Stasi arbeitende Frau eines flüchtigen Bekannten hatte Fricke Betäubungsmittel in ein Glas Scharlachberg-Meisterbrand geträufelt.
Das Agentenpärchen verschleppt den Journalisten in den Abendstunden nach Ostberlin, wo er im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen gefoltert wird. In einem Geheimprozess wird Fricke zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Entlassung siedelt der Journalist zunächst nach Hamburg über, bevor er in Köln beim Deutschlandfunk zum Leiter der Ost-West-Abteilung berufen wird. Im Juni 2017 wird Karl Wilhelm Fricke von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit dem erstmals vergebenen Karl-Wilhelm-Fricke-Preis ausgezeichnet.
Im Gegensatz zu ihren Opfern blieb den Tätern das Gefängnis erspart. Lediglich 13 frühere inoffizielle Mitarbeiter und drei Kontaktpersonen mussten sich vor Gericht für ihre Taten verantworten. Rechtskräftig verurteilt wurden sieben Angeklagte - alle erhielten Bewährungsstrafen.