Kunst aus Tel Aviv in Berlin
27. März 2015Das Tel Aviv Museum of Art, das wichtigste Kunstmuseum Israels, ist erstmals mit einer Ausstellung in Deutschland. Im Berliner Martin-Gropius-Bau sind mehr als 70 Schlüsselwerke der Klassischen Moderne und der israelischen Gegenwartskunst zu sehen. Unter dem Motto "Jahrhundertzeichen" gehört die Ausstellung zu den zentralen kulturellen Veranstaltungen anlässlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel vor 50 Jahren. Zahlreiche Werke werden dort zu sehen sein, die bei den Nazis als "entartet" diffamiert wurden, etwa von Max Beckmann, Marc Chagall, Wassily Kandinsky und Max Liebermann.
Die Geschichte der Ausstellung beginnt vor über 80 Jahren und zwar in Berlin: Bereits am 24. Januar 1933 gründete der Kunsthistoriker Karl Schwarz dort das heute weltberühmte Jüdische Museum. Nur wenige Tage später kam Adolf Hitler an die Macht. Schlechtes Timing, möchte man sagen. Zu diesem Zeitpunkt mögen einige Juden noch gehofft haben, dass die neue Regierung ihre Existenz weiter dulden würde, Karl Schwarz allerdings hegte in Bezug auf die Nazis keinerlei Illusionen. Ihm war klar, dass er Deutschland so schnell wie möglich verlassen musste.
Von Berlin nach Tel Aviv
Während den Juden in Deutschland zunehmend die Lebensgrundlage entzogen wurde, erwies sich das Timing für Schwarz letztlich als gar nicht so schlecht. Der Bürgermeister von Tel Aviv Meir Dizengoff, suchte dringend nach einem Fachmann für den Aufbau seines neuen Kunstmuseums und lud den bekannten Kunsthistoriker nach Israel ein.
Karl Schwarz verließ Berlin ohne zu zögern und wurde der erste künstlerische Direktor und Hauptkurator des Tel Aviv Museum of Art, das schon 1932 offiziell in der Privatresidenz des Bürgermeisters eröffnet worden war. Als Schwarz nach Israel übersiedelte, schaffte er es, seine private Sammlung von mehr als 2.500 Werken, meist expressionistische Arbeiten auf Papier mitzunehmen. Davon stiftete er 1.300 dem Tel Aviver Museum. Außerdem überzeugte er den Berliner Sammler Erich Göritz, den Großteil seiner wertvollen Sammlung nach Tel Aviv - darunter Bilder bekannter Künstler wie Edgar Degas, Max Liebermann und Oskar Kokoschka - zu verlagern und bewahrte sie so vor einem ungewissen Schicksal während des Zweiten Weltkriegs.
Ein starkes historisches Symbol
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestags diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel kehrt das Erbe Karl Schwarz' und seiner Nachfolger nun zum ersten Mal nach Berlin zurück: "Die gesamte Ausstellung ist eine Metapher für den Dialog zwischen Israel und Deutschland", sagt Raphael Gamzou, der stellvertretende Generaldirektor des israelischen Außenministeriums während der Pressekonferenz zur Eröffnung.
Für Suzanne Landau, Direktorin und Chefkuratorin des Tel Aviver Museums, war es ein großer Schritt, die Werke aus der Hand zu geben: "Das war wirklich keine leichte Entscheidung. Die Verantwortung ist riesig", erklärt sie ihm DW-Interview. Aber die Ausstellung ermögliche auch völlig neue Möglichkeiten, die Gemälde in einem anderen Kontext zu betrachten, so Ellen Ginton, Kuratorin für israelische Kunst amTel Aviver Museum: "Die Geschichte der Sammlung bekam plötzlich eine noch viel größere Bedeutung." Während man die Werke für den Versand in ein anderes Land vorbereite, könne man sich gut vorstellen, wie Sammler in schwierigen Zeiten wohl ebenso gehandelt hätten.
Einige der wertvollsten Bilder des Tel Aviv Museum of Art sind Schenkungen der Künstler. An erster Stelle der Inventarliste des Museums steht ein Gemälde, das Marc Chagall Bürgermeister Dizengoff schon 1931 für seine Sammlung übergeben hatte. Max Ernst schenkte dem Museum 1955 sein in den USA entstandenes Bild "Der verwirrte Planet". Dieses Werk, das auch Jackson Pollock stark beeinflusste, wird nun zum ersten Mal in Berlin gezeigt.
Moderne trifft auf junge Kunst
Wie im Tel Aviver Museum stellt auch die Berliner Schau der modernen Klassik des 20. Jahrhunderts zeitgenössische israelische Kunstwerke kontrastiv gegenüber. Bei vielen handelt es sich um Videoarbeiten oder Installationen, die die Themen der verschiedenen Ausstellungsräume perspektivisch entwickeln und so einen fruchtbaren Dialog zwischen den jüngeren Arbeiten und den Meistern der Moderne anregen. "Die meisten dieser Werke kombinieren die historische Recherche mit Phantasie. Die Fiktion zieht sich durch die ganze Ausstellung, genau wie die Konfrontation von Vergangenheit und Gegenwart", analysiert Kuratorin Ginton.
Direktorin Suzanne Landau sieht die Ausstellung auch als Gelegenheit, ein anderes Bild von Israel zu zeigen, als eine Alternative zu der allgemeinen Darstellung in den Medien. "Aber trotzdem sind viele Werke politisch. Wir können nicht neutral sein", fügt sie hinzu. So spielt etwa der Mockumentary (Anm. d. Red: "Fiktiver, das Genre parodierender Dokumentarfilm") "Gaza Canal" von Tamir Zadok mit der Idee eines Kanals, der im Jahr 2002 gegraben wurde, um den Gazastreifen vom Festland abzutrennen. Der Künstler nutzt das Stilmittel Groteske, um eine sehr schmerzhafte Situation zu beschreiben", erklärt Landau. Sein Video polarisierte stark und sorgte für hohe Klickzahlen im Netz.. "Manche Kommentare sind herzzerreißend", fügt Zadok hinzu.
Auch Yael Bartanas Video-Trilogie "And Europe Will Be Stunned" spielt mit den Konventionen des dokumentarischen Genres, indem er Fiktionales nach und nach Realität werden lässt. Im ersten Teil der Trilogie etwa hält ein echter polnischer Politaktivist eine imaginäre Rede in einem leeren Stadion in Warschau. Darin bedrängt er drei Millionen Juden, nach Polen zurückzukehren – das entspräche etwa der Zahl der jüdischen Bürger, die dort vor dem Holocaust geflohen waren. Bartanas Film greift zudem den Stil der Propagandafilme von Leni Riefenstahl aus den 1930er Jahren auf.
Wie es der Zufall will, lebt Yael Bartana sowohl in Tel Aviv und als auch in Berlin, wo es derzeit so viele seiner israelischen Künstlerkolleginnen und -kollegen hinzieht. Die Straße, die für Karl Schwarz 1933 nur in eine Richtung, nämlich ins Exil führte, ist jetzt in beide Richtungen wieder geöffnet.