Michael Moores Film über den alten Kontinent
25. Februar 2016Michael Moore ist nicht zu übersehen. Seine Berlinale-Stippvisite zur Europapremiere musste er vor kurzem zwar krankheitsbedingt absagen. Doch auf der Leinwand erscheint er in voller Größe. Der schwergewichtige US-Amerikaner hat, so scheint es, noch ein paar Kilo zugelegt seit seinen letzten großen Auftritten vor ein paar Jahren bei den Festspielen in Venedig, wo er "Capitalism - A Love Story" am Lido vorstellte.
Fünf Jahre sind seither vergangen, sein neuester Streich "Where to Invade Next" feierte im Herbst vergangenen Jahres Weltpremiere beim Festival in Toronto. Nun ist der Film in den europäischen Kinos zu sehen. Kaum ein anderer Dokumentarfilmregisseur auf der Welt ist so populär, seine Auftritte so öffentlichkeitswirksam.
Michael Moore: keine konventionellen Dokumentationen
"Where to Invade Next" ging nach der Premiere in Kanada der Ruf voraus, der Regisseur habe seinen bisher vergnüglichsten und humorvollsten Film gedreht. Doch ein witziger Michael Moore-Film ist immer auch ein Film, bei dem den Zuschauern das Lachen im Halse stecken bleibt. Das hatte der Regisseur schon mit seinen großen Erfolgen "Bowling for Columbine" (2002, über die Waffenbegeisterung der Amerikaner) und "Fahrenheit 9/11" (2004, über das Klima in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001) bewiesen.
Moores Dokumentationen sind One-Man-Shows, angriffslustig gegenüber ihrem Sujet, enthüllend, witzig, zynisch, nicht ausgewogen, aber immer unterhaltsam. Sie erinnern in ihrer Ästhetik eher an Fernsehreportagen privater TV-Anbieter als an herkömmliche Dokumentarfilme.
Michael Moore ist diesmal ein staunender Dokumentarist
Auch in "Where to Invade Next" pflegt der Regisseur sein filmisches Prinzip, mit der Kamera auf seine Gesprächspartner direkt zuzugehen, sie mit Fragen und Fakten zu konfrontieren, die eigenen Reaktionen und die seiner Gesprächspartner mit einzubeziehen. Doch diesmal ist etwas anders. "Where to Invade Next" ist kein anklagender Film, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Moore hat sich auf eine Reise begeben in acht europäische Staaten und nach Tunesien und stellt dort jeweils fortschrittliche, zivilisatorische Entwicklungen und Prozesse vor.
In Italien ist es das Verhältnis, welches Arbeitgeber zu Arbeitnehmern pflegen, in Frankreich sind es die Vorzüge gesunder Ernährung, in Deutschland ist es der Umgang mit der eigenen Geschichte. In Norwegen blickt Moore auf den vorbildlichen humanen Strafvollzug, in Slowenien auf das kostenlose Studium, in Tunesien nimmt er die Rechte der Frauen in einer arabischen Gesellschaft in den Fokus.
Der Verlierer im Kosmos des Michael Moore sind immer die USA
Moore entdeckt - das war natürlich die Intention des Films - nur Vorzüge, fortschrittliche und ausschließlich positive gesellschaftliche Zustände. Am Ende der jeweiligen Episoden gibt es aber dann doch einen Verlierer: die USA. Die Entwicklungen in Moores Heimatland, ob in der Bildung oder beim Strafvollzug, ob in Sachen Ernährung oder im Umgang mit der eigenen Historie, wirken im Vergleich mit Europa geradezu erbärmlich.
"Die Vereinigten Staaten von Amerika sind beschämt und verzweifelt. Seit dem 2. Weltkrieg hat die mächtigste Nation der Welt keinen Krieg mehr für sich entschieden", heißt es zum Auftakt von "Where to Invade Next". Moore zählt auf: Vietnam und Libanon, Irak, Afghanistan und Libyen etc. Die Bilanz ist niederschmetternd.
Das müsse nun ein Ende haben - so der Regisseur in seiner ureigenen brachial-humorigen Art: Die einzige Invasion, die vorerst von den USA ausgehen sollte, sei er selbst. So macht sich Michael Moore auf nach Europa - bewaffnet mit einer US-Flagge, die er jeweils am Ende seiner Stippvisiten in den Boden der Länder rammt. Wichtigste Waffe Moores bei seiner "Invasion": sein gnadenlos schnelles Mundwerk.
Der Regisseur preist in Deutschland den Bezug zur Historie
In Deutschland ist Moore angetan vom Umgang der Menschen mit dem Holocaust. Er besucht das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin, blickt auf den Geschichtsunterricht in deutschen Schulen. Das alles vergleicht er mit den USA. Wie geht man dort mit dem Mord an den Indianern um? Wie steht man zu der Frage, dass das Land "auf dem Rücken der schwarzen Sklaven aufgebaut wurde"? All das fragt Moore - und die Antwort ist immer klar: die Vereinigten Staaten schneiden jämmerlich ab.
Das nordamerikanische Bildungssystem sei, im Vergleich zu Finnland, geradezu vorsintflutlich. Die Ernährung an nordamerikanischen Schulen schneidet, im Vergleich zu Frankreich, erbärmlich ab. Die Zustände in den Gefängnissen der USA seien, im Vergleich zu Norwegen, zutiefst inhuman. Und selbst aus dem Finanzcrash und dem Zusammenbruch der Lehmann-Bank hätten die Amerikaner nichts gelernt -im Gegensatz etwa zu den Isländern, die auch vor dem finanziellen Kollaps standen und bei der Aufarbeitung der Finanzkrise nach Moores Ansicht alles richtig gemacht haben.
Moore: Ursprünglich uramerikanische Errungenschaften
Doch einen Lichtblick gibt es am Ende doch in diesem so US-kritischen Rundumschlag des Michael Moore. Viele der zivilisatorischen Errungenschaften seien einst in den USA erfunden und eingeführt worden, so der Regisseur. Allerdings wären sie dann im Laufe der Geschichte verschwunden.
Die Fabrikarbeiter in Chicago hätten einst Arbeitnehmerrechte erst ins Bewusstsein der Nation gehoben. Die amerikanischen Frauen seien es gewesen, die sich für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung eingesetzt haben. Und auch das Recht auf menschenwürdige Behandlung von Straftätern sei durch die Väter der amerikanischen Demokratie vor vielen Jahrzehnten ersonnen worden.
"Where to Invade Next" ist auch ein Appell an uramerikanische Tugenden
"Der amerikanische Traum lebt weiter" heißt es am Ende von "Where to Invade Next", allerdings nur außerhalb der USA. Doch es besteht Hoffnung. Denn die USA fußten doch - so Moore - auf den Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten, von Humanität und Freundschaft. Dass es sich Moore mit seinem journalistisch-filmischen Konzept ein wenig einfach macht - geschenkt.
Hätte er beispielsweise auf den Strafvollzug in Frankreich, auf viele wirtschaftliche Entwicklungen in Italien oder auch um die zunehmende Radikalisierung der deutschen Gesellschaft von Rechts geblickt, das Ergebnis wäre anders ausgefallen. Aber vielleicht wollte Michael Moore den Europäern in Zeiten von EU- und Flüchtlingskrise auch nur Mut machen.