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Von der Gartenzaun-Idylle in den Dschihad

4. März 2010

Der Sauerland-Prozess macht eins erneut deutlich: Die größten Gefahren gehen nicht von ausländischen Terroristen aus, die nach Deutschland einsickern. Gefährlicher sind die, die hier aufwuchsen und radikal wurden.

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Dschihad-Union in Selbstdarstellung (Foto: dpa)
Hinter den Masken von Islamisten können auch Deutsche steckenBild: dpa - Bildfunk

Sie heißen Fritz, Daniel, Thomas oder Peter und sind gebürtige Deutsche, die zum Islam konvertierten. Sie heißen aber auch Omar, Atilla, Adem oder Bekkay und haben einen Migrationshintergrund. Im dreistelligen Bereich schätzen die deutschen Sicherheitsbehörden die Zahl der radikalen, gewaltbereiten Islamisten, die sich in Deutschland radikalisiert haben. "Homegrown terrorism", nennen das die Fachleute, frei übersetzt also "selbst herangezogene Terroristen".

Die Radikalisierung findet vor allem auf zwei Wegen statt: über das Internet und über radikale Prediger. Sie suchen sich aus der weit größeren Gruppe fundemental-islamischer Interessierter diejenigen heraus, die besonders geeignet erscheinen für den selbst erklärten "Heiligen Krieg".

Die Reichweite der Propaganda im Internet

Symbolbild Islamismus im Internet (Foto: AP/DW)
Im Internet machen Islamisten Jagd auf NachwuchsBild: AP/DW

Im Internet sind es Seiten, die zum Beispiel "Zeit der Märtyrer" heißen und auf denen Videos den Kampf gegen die Ungläubigen verherrlichen oder zur Unterstützung aufrufen. Diese Videos geben den – überwiegend jungen – Männern ein Gefühl der Stärke. Das scheinen sie in ihrem Alltag in Deutschland sonst offenbar nicht zu finden, vermuten Fachleute der deutschen Nachrichtendienste.

El Kaida und andere haben schon lange die Möglichkeiten und die Reichweite dieser Propaganda erkannt, sagt Bundesanwalt Rainer Griesbaum, Leiter der Terrorismusabteilung beim Generalbundesanwalt: "Wir kennen ja die Leitlinien von El Kaida: Eine operative Säule, also die Säule von Anschlägen; eine logistische, also die Säule der Finanzierung oder der Rekrutierung und eben eine propagandistische Säule, die im Zeitalter des Internets propagandistisch dargeboten wird."

Sie leben betont weltlich

Videos im Internet zeigen eine Mischung aus angeblich eindeutigen Koranversen, Filme von Kampfszenen im Irak oder Afghanistan, Bilder aus Abu Ghraib und Guantanamo. Und sie verherrlichen die Gotteskrieger.

Geschickt versuchen El Kaida und andere Gruppen mit diesen Videos, auch bereits gelungene Integration von Familien mit Migrationshintergrund zu hintertreiben: Sie vermitteln jungen Muslimen in der zweiten oder dritten Generation das Gefühl, ihre Eltern hätten mit deren Anpassung an die deutsche Gesellschaft den "wahren" Islam verraten – und bieten eine radikale Alternative. Nicht selten stehen die jungen Männer deshalb im Konflikt mit ihrem Elternhaus. Und auffallend viele Familien von Terrorverdächtigen in Deutschland leben betont weltlich und praktizieren ihren Glauben gar nicht oder kaum.

Und dann die radikalen Konvertiten

Fritz Gelowicz (Foto: AP)
Fritz Gelowicz hat als Heranwachsender den Islam entdecktBild: AP

Hinzu kommt eine kleine Gruppe radikaler deutscher Konvertiten mit ursprünglich bürgerlichem Hintergrund. So wie Fritz Gelowicz und Daniel Schneider, die zu den Angeklagten der Sauerlandgruppe gehören. Beide haben Anfang des Jahrzehnts unabhängig voneinander in persönlichen Lebenskrisen als Heranwachsende den Islam entdeckt. An sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Doch sie gerieten an radikale Prediger – und waren bald fest überzeugt, es sei ihre heilige Pflicht, die Ungläubigen zu bekämpfen.

Ob in Tschetschenien, im Irak oder Afghanistan war ihnen egal – und als ihre Anführer den Anschlag in Deutschland befohlen, wurde auch dieser Plan akzeptiert. Im Prozess gegen sie stellte sich heraus: Eben weil sie keine fundierten Vorkenntnisse über den Islam hatten, war es besonders leicht, sie von der unbedingten Pflicht des "heiligen Krieges" zu überzeugen.

"Sessel-Jihadisten" oder "lonesome wolfs"

Schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe – und sie macht den Ermittlern die größten Sorgen: die so genannten „Sessel-Jihadisten“ oder „lonesome wolfs“; Menschen, die sich selbst im Internet radikalisieren, ohne persönlichen Kontakt zu anderen Islamisten oder zu radikalen Predigern zu haben. Im Internet können sie alles finden, was man für einen Anschlag benötigt, die Anleitung zum Bombenbau genauso, wie die Fatwa - das religiöse Rechtsgutachten - das ihren Anschlag billigt.

Im Juli 2006 haben auf diese Weise zwei junge libanesische Gaststudenten versucht, aus Gasflaschen gebaute Kofferbomben in deutschen Regionalzügen zur Explosion zu bringen. Aufgrund eines handwerklichen Fehlers scheiterte der Anschlag. Doch für die Ermittler war der Fall schon deswegen hoch brisant, weil beide Männer noch nie aufgefallen waren – bis sie die Sprengsätze in die Züge stellten. Das ernüchternde Urteil führender deutscher Ermittler: Gegen solche Täter gibt es keinen Schutz.

Autor: Holger Schmidt

Redaktion: Michael Borgers