Von der verbalen zur realen Gewalt
7. Februar 2016Die Bundeskanzlerin dürfte an ihrem Facebook-Auftritt keine rechte Freude mehr haben. Seit Monaten hagelt es dort Kritik an ihrem Flüchtlingskurs, oft in wenig freundlichen Worten. "Mit welcher Frechheit, mit welchem Hochmut, mit welchen Lügen, mit welcher Süffisanz Merkel das Deutschland antut, das ist Herzenskälte hoch drei und keine Menschlichkeit", findet Absender Dieter Naußed. "Die Ausländer lachen schon über uns. Merkel rafft es nicht", versichert ein weiterer Absender.
Der Ton in den sozialen Netzwerken wird rauer, auf Facebook ebenso wie auf anderen Seiten. Das Thema, das die Gemüter am meisten erregt, ist die Flüchtlingskrise. Es verleitet viele User zu einer solch enthemmten Sprache, dass Justizminister Heiko Maas (SPD) Facebook wiederholt zur Löschung von Hetzkommentaren aufgefordert hat.
Das "Munich Digital Institute" hat eine Studie veröffentlicht, für die es 1271 Facebook-Nutzer zu ihren Eindrücken von der dort verwendeten Sprache befragt hat. Knapp 70 Prozent gaben an, die politischen Diskussionen auf Facebook seien aggressiver und/oder emotionaler geworden. Als "sachlich" mochten nur zwei Prozent der Befragten sie beschreiben. Knapp 74 Prozent dagegen sahen auf Facebook zunehmend extreme politische Meinungen. 53 Prozent erklärten, hetzerische Beiträge künftig melden zu wollen.
Unheilvolle Gruppendynamik
Grobe und unhöfliche, aber auch extremistische Kommentare werden in den sozialen Netzwerken schon seit langem gepostet, so der Islamwissenschaftler und Publizist Thorsten Gerald Schneiders. Das Netz sei eine Art Keimzelle, erklärt er in einem Interview im Deutschlandfunk. "Hier finden Menschen leicht zueinander, hier kann man extremistische Ansichten leicht äußern und erhält sofort ein Feedback. Wenn man Zustimmung bekommt, wächst das Selbstbewusstsein."
Schneiders, der insbesondere sogenannte islamkritische, aber auch salafistische Websites beobachtet, kennt die Mechanismen, die zum enthemmten Schreiben führen. "Jedes Mal, wenn jemand 'Gefällt mir' klickt, wird bei manchen das Ego aufpoliert. So finden sich Gruppen von Gleichgesinnten zusammen und werden größer und mutiger."
Fehlen sozialer Kontrolle
Im Netz benehmen sich Menschen generell eher daneben als in direkten Interaktionen im täglichen Leben, beobachtet auch die Sozialpsychologin Catarina Katzer. Im Internet befinde man sich oft in einer Gruppe Gleichgesinnter. "Und das soziale Engagement ist umso höher, je mehr ich zu einer Gruppe dazugehören möchte", erklärt sie in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gesteigert werde die Enthemmung auch dadurch, dass im Netz wirksame Kontrollen sozialer Interaktion wegfielen.
Doch das Netz bietet nicht nur einer groben oder beleidigenden Sprache ein Forum. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger hat kürzlich davor gewarnt, dass die aggressive Sprache im Internet zu physischer Gewalt führe. "Hass in sozialen Netzwerken schürt ein Klima aus Angst und Gewalt", heißt es auf der Website des Innenministeriums. "Er stachelt zu Tätlichkeiten gegenüber Flüchtlingen an und legt Feuer an Flüchtlingsheime."
Angsterfülltes Publikum
Die amerikanische Juristin Susan Benesch, Herausgeberin der Seite "dangerousspeech.org", hat den Zusammenhang zwischen verbaler und realer Gewalt erforscht. Dieser würde durch bestimmte Faktoren begünstigt. Dazu gehören etwa ein in den jeweiligen Kreisen einflussreicher Nutzer, der andere Nutzer ermutige, es ihm mit verbalen Ausfällen gleichzutun. Weiter braucht es ein angsterfülltes und sorgenvolles Publikum, eine als Gewaltaufruf zu verstehende Ansprache, frühere Gewaltausbrüche und eine einflussreiche Plattform. Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, so Benesch, desto leichter könne verbale in physische Gewalt umschlagen.
Derzeit äußern sich zwar immer mehr Menschen unter ihrem realen Namen im Internet. Aber der Schutz der Anonymität ist weiter gegeben. Und der, so Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders, rege besonders zu verbaler Gewalt an. "Anonymität ist im Internet immer noch so eine Art Versuchslabor, wo man eben mal austesten kann, wie die eigenen extremen Äußerungen ankommen, wo man seinen Frust, seine Wut ausleben kann, ohne sich in allzu große Gefahr zu begeben, im echten Leben dafür abgestraft zu werden."
Mangelnde Pluralität
Der Gewalt förderlich ist auch die Einmütigkeit der einzelnen Gruppen. Unterschiedliche politische Sichtweisen treffen in den jeweiligen Foren immer seltener aufeinander. Stattdessen bestätigen sich die Mitglieder politischer Gruppen im Netz gegenseitig. Das Weltbild verengt sich, die Gruppendynamik gewinnt an Fahrt, andere als die in der Gruppe etablierten Anschauungen dringen nicht mehr durch. So ist der Boden für Verschwörungstheorien bereitet. Auch dies trägt zum Umschlagen von verbaler in reale Gewalt bei.
Objektive Berichterstattung und Pluralität sind in zahlreichen Userforen kaum mehr präsent. Dabei wären sie so wichtig, um den Diskurs zu zivilisieren und Gewalt zu unterbinden.