Otto Preminger: Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs
31. Januar 2013Wo genau Otto Preminger geboren wurde, ist bis heute nicht bekannt. Als die Berliner Filmfestspiele dem Regisseur 1999 ihre große Retrospektive widmeten, brauchten die Verfasser des Katalogs eine ganze Spalte für die Beschreibung von Premingers geografischen Wurzeln. Österreich-Ungarn, Galizien, Rumänien, Polen - all das spielte dabei eine Rolle. Auch über das Geburtsjahr herrscht Unklarheit, die meisten Quellen geben 1905 an, andere aber auch 1906. Fest steht zumindest eines: Preminger wurde im Herzen Europas geboren, lernte beim großen Theatermann Max Reinhard in Wien sein Handwerk, dreht in Österreich 1931 seinen ersten Film und ging dann vier Jahre später nach Amerika.
Berühmt wie Hitchcock
Dort machte er zunächst als Schauspieler (der Jude Preminger spielte mit Lust und Laune fiese Nazis), später dann als Regisseur Weltkarriere. "Er wurde in den Vierzigern bekannt, war in den Fünfzigern berühmt und in den frühen Sechzigern ein Superstar, ein Mann, der zumindest in den Vereinigten Staaten so sicher erkannt wurde wie damals Alfred Hitchcock", schrieb die Filmpublizistin Verena Lueken im vergangenen Jahr, als Premingers Oeuvre bei den Filmfestspielen in Locarno gezeigt wurde. Einen kleinen Ausschnitt dieses Werks kann man sich jetzt zu Hause auf DVD anschauen.
Derzeit ist viel zu lesen über das engagiert-politische Kino Hollywoods. Über "heiße Eisen", die die US-Studios und Regisseure wie Quentin Tarantino ("Django unchained") oder Steven Spielberg ("Lincoln") anpacken. In ihren neuen Filmen beschäftigen diese sich mit Themen wie Sklaverei und Gewalt, analysieren den Gründungsmythos der USA. Deshalb ist es gerade jetzt gut, an Otto Preminger zu erinnern. Der war schon in den 50er und 60er Jahren ein sehr mutiger Regisseur, der sich mit den amerikanischen Institutionen anlegte. Mit diesen (realen wie moralischen) Institutionen beschäftigte sich Preminger bevorzugt. Zugute kam ihm dabei, dass er sich irgendwann in seiner Karriere unabhängig von den großen Hollywood-Studios machte. Preminger war es, der als erster Regisseur überhaupt das fest verankerte Studiosystem ins Wanken brachte, weil er den Mut besaß, außerhalb dieses Systems zu produzieren.
Preminger nannte die Dinge beim Namen
Preminger hatte keine Scheu vor provozierenden Themen. Er legte sich mit der katholischen Kirche an, mit dem Politikbetrieb in Washington, mit den Moralaposteln Amerikas, die heilige Institutionen wie die Ehe nicht "beschmutzt" sehen wollten. Preminger scheute sich nicht die Dinge beim Namen zu nennen. Weil er ganz direkt Sachen ansprach, bekam er es häufig mit der Zensur zu tun. In den USA bestimmte der sogenannte "Production Code" jahrzehntelang die moralische Wertigkeit der Filme. Preminger war zwar ein anerkannter Regisseur in Hollywood, aber ebenso ein gefürchteter.
Schaut man sich heute einen Film wie "Advise and Consent" (dt. Titel: "Sturm über Washington", 1961) an, so ist man immer noch verblüfft über dessen Vielschichtigkeit. Es ist die Geschichte eines US-Präsidenten, der sich einen im Senat höchst umstrittenen Außenministerkandidaten ausgeguckt hat. Der muss nun vor dem dafür zuständigen Ausschuss durchgepaukt werden. Preminger nimmt das zum Anlass hinter die Kulissen des Politikbetriebs zu blicken. Man darf davon ausgehen, dass - bei allen Eigenarten amerikanischer Politik - die Mechanismen in Deutschland (noch heute) nicht großartig anders aussehen dürften. Das macht die Allgemeingültigkeit des Films aus.
Differenzierter Blick auf den Politikbetrieb
Der Zuschauer verfolgt mit atemloser Spannung, wie Intrigen eingefädelt und gesponnen werden. Wie einzelne Politiker im Hintergrund ihr sinistres Spiel treiben. Wie das Privatleben der Betroffenen ge- und benutzt wird, um Interessen durchzusetzen. Und welche Rolle die Moral dabei spielt. Faszinierend und vor allem verblüffend im Vergleich mit ganz aktuellen Politfilmen unserer Tage ist die Differenziertheit der filmischen Charaktere. Bei Preminger begegnen uns keine Schwarz-Weiß-Figuren. Von einer eindeutigen Zeichnung der Protagonisten (auf die zum Beispiel ein Tarantino oder auch ein Spielberg in ihren aktuellen Filmen setzen) ist Otto Preminger weit entfernt.
Der amerikanische Regisseur Peter Bogdanovich, einer der herausragenden Kenner des US-Kinos, hielt "Advise und Consent" für einen der besten Filme über Politik der Kinogeschichte. In seinem Interviewbuch "Wer hat denn den gedreht?" äußert sich Preminger über seinen Film: "Für mich bestand der Reiz darin, aufzuzeigen, wie das amerikanische Regierungssystem funktioniert. Der Film enthält eine sehr bissige Kritik an unserer Regierungsform, und es war wunderbar, dass ich die Freiheit hatte, sie auch zu äußern." Preminger vergaß also nie auch die andere Seite der US-Filmindustrie anzusprechen: "Es ist schon erstaunlich, dass die amerikanische Regierung es zulässt, dass ein solcher Film überhaupt gedreht wird." "Advise and Consent" ist ein Lehrbeispiel für engagiertes (dabei sehr unterhaltsames) Politkino. Und ein Beweis dafür, dass, bei aller Kritik an Hollywood und seinen Spielregeln, es immer wieder möglich ist, Filme mit kritischen Sujets zu drehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Die Otto Preminger DVD-Edition ist beim Anbieter "Cine qua non“ erschienen. Außer "Advise and Consent" sind noch die Filme "Saint Joan/Die heilige Johanna" (1957) und "The moon is blue/Wolken sind überall" (1953) in der Box enthalten sowie eine sehr sehenswerte Dokumentation über den Regisseur ("Anatomy of a filmmaker").