Von Waffen, Milizen und Gaddafi-Anhängern
27. Januar 2012Der Alltag ist zurückgekehrt nach Bani Walid. Die Bewohner der kleinen Stadt südöstlich der Hauptstadt Tripolis wagen sich wieder auf die Straße. Auf dem Markt versorgen sie sich mit Obst und Gemüse. Doch die scheinbar friedliche Atmosphäre ist trügerisch: "Ich glaube, das ist nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm", sagt Abdelhamid Rahim, ein Bewohner der Stadt.
Vor einigen Tagen gab es in Bani Walid stundenlange Gefechte. Mehrere Kämpfer einer Miliz des Übergangsrates wurden getötet, Dutzende verletzt. Zunächst hieß es, Gaddafi-Anhänger hätten die Stadt zurückerobert, ihre grüne Flagge über der Stadt gehisst.
Die libysche Regierung hat das inzwischen dementiert, es habe lediglich Kämpfe zwischen konkurrierenden lokalen Milizen gegeben. "Die Stadt ist unter Kontrolle der libyschen Regierung", erklärte Verteidigungsminister Oussama Jouili.
Alte Gaddafi-Hochburg
Bani Walid war während des Bürgerkriegs eine der letzten Gaddafi-Hochburgen. Einnehmen konnten die Gaddafi-Gegner die Ortschaft nie, Bani Walid wurde erst nach Verhandlungen an den Nationalen Übergangsrat übergeben.
Die meisten Bewohner von Bani Walid gehören zum Stamm der Warfala. Unter Muammar al-Gaddafi waren sie privilegiert. Jetzt fühlen sie sich benachteiligt. Anlass der jüngsten Gefechte war offenbar die Verhaftung eines prominenten Warfala durch eine regierungstreue Miliz.
In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in Libyen immer wieder Kämpfe zwischen rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Anfang des Monats wurden bei Zusammenstößen zwischen Milizen in den Städten Assabia und Gharyan zwölf Menschen getötet und rund 100 verletzt. Der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, hat bereits vor der Gefahr eines Bürgerkriegs gewarnt, sollten die vielen Milizen nicht entwaffnet werden.
Mühsame Entwaffnung
"Die Rivalitäten zwischen den Milizen sind zur Zeit das größte Problem im Land", sagt Günter Meyer, Libyen-Experte und Leiter des Zentrums für Forschungen zur Arabischen Welt. Die Milizen gehorchen nur den Anordnungen ihrer jeweiligen Führer, nicht dem Nationalen Übergangsrat oder der Übergangsregierung. "Allein in der Hauptstadt Tripolis", erklärt Meyer, "gibt es vier unterschiedliche Milizen, die unterschiedliche Stadtteile übernommen haben und jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen." Es geht um Zehntausende Kämpfer im ganzen Land.
Die Entwaffnung der Milizen, so Libyen-Experte Meyer, läuft "ganz schlecht". Bisher hätten sich nur die Mitglieder einer 600-köpfigen Gruppe bereiterklärt, die Waffen abzugeben und sich den nationalen Sicherheitskräften anzuschließen: "Die meisten Milizionäre weigern sich bisher, denn die Waffen sind die Garantie dafür, dass sie ihre Interessen auch künftig durchsetzen können."
Die Unsicherheit im Land sei so groß, ergänzt Andreas Dittmann, Libyen-Experte der Universität Gießen, dass sich die Milizionäre scheuten, ihre Waffen abzugeben. "Jeder fürchtet, dass die Waffen noch gebraucht werden könnten", sagt Dittmann. Bisher habe die Übergangsregierung in der Entwaffnungsfrage relativ zurückhaltend agiert. Schließlich sei die Entwaffnung selbst ein potentieller Konfliktfaktor.
Geringe Gefahr durch Gaddafi-Anhänger
Die Gefahr, dass frustrierte Anhänger des gestürzten Diktators Gaddafi eine massive Offensive gegen den Nationalen Übergangsrat beginnen, schätzen beide Experten aber als gering ein. "Eigentlich rechnet niemand damit, dass sich das alte Regime wieder rekonstruieren könnte," sagt Dittmann, "dafür fehlt eine Leitfigur".
"Es gibt keine einheitliche Bewegung", so Günter Meyer, "aus der etwa eine Seite eines Bürgerkrieges hervorgehen könnte." Es existierten nur unterschiedliche lokale, und regionale Interessen. "Das ganze ist sehr zersplittert, hier gibt es keine einheitliche Front." Auch die Kämpfe in Bani Walid seien ein lokal begrenztes Phänomen gewesen.
Doch auch unter den Anhängern der Revolution wächst die Unzufriedenheit. "Die Revolutionäre wollen dafür belohnt werden, dass sie gegen Gaddafi gekämpft haben", erklärt Libyen-Experte Meyer. "Die Umstrukturierung dauert ihnen einfach zu lange, deswegen kommt es immer wieder zu Protesten." Die Libyer erwarteten schnelle Erfolge, auch bei der Normalisierung des Alltags.
Die beiden deutschen Experten plädieren trotzdem für Geduld: "Es ist eine der schwierigsten Aufgaben, die man sich überhaupt vorstellen kann", sagt Andreas Dittmann, "nach vier Jahrzehnten Militärdiktatur eine Demokratie oder ein demokratieähnliches System aufzubauen".
"Man sollte der Übergangsregierung mehr Zeit einräumen", findet auch Günter Meyer. "Die Probleme sind einfach zu groß, als dass sie in wenigen Wochen zu lösen wären."
Autor: Nils Naumann
Redaktion: Thomas Kohlmann