Warum der polnische Autor Jacek Dehnel Berlin verlässt
8. Dezember 2024Der polnische Schriftsteller Jacek Dehnel kann aufatmen. In seiner Heimat finden wieder Treffen mit der Leserschaft statt, und er wird wieder dazu eingeladen. Unter der Regierung der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die von 2015 bis 2023 in Polen an der Macht war, war das nicht selbstverständlich. "Es wurde allmählich reduziert und verschlimmerte sich im Laufe der Zeit", erzählt Dehnel im DW-Interview.
Der offen schwule Autor zählt zu den bekanntesten polnischen Schriftstellern der Gegenwart. Er schrieb zahlreiche Romane und Gedichtbände und machte sich auch als Übersetzer einen Namen. Seine Werke wurden auch ins Deutsche übertragen.
Vor fünf Jahren kam Dehnel zu dem Schluss, dass Polen "kein sicherer Ort für LGBT-Menschen" sei. Denn die homophobe PiS-Regierung machte andauernd Stimmung gegen queere Menschen und ihre Rechte. LGBT sei "eine Ideologie, keine Menschen", behauptete der polnische Präsident Andrzej Duda, der noch bis Mitte 2025 im Amt ist. Fast ein Drittel der Gemeinden und Städte in Polen wurde zu "LGBT-freien-Zonen" erklärt. "Das war Diskriminierung, Verfolgung unserer Gemeinschaft, staatlich organisierte Hetze", sagt Jacek Dehnel. Und so wurde Berlin für ihn und seinen Ehemann die neue Heimat - fünf Jahre lang.
Rechtlich nichts geändert
Jetzt gehen die "PiS-Flüchtlinge" nach Polen zurück. "In ein etwas besseres Polen", sagt Dehnel schmunzelnd, auch wenn sein Heimatland "kein Paradies auf Erden" sei. "In Polen müssen noch viele Dinge geändert und verbessert werden. Die rechtliche Situation für LGBT-Menschen hat sich nicht geändert", sagt er.
Zwar war Polen Vorreiter bei der Emanzipation homosexueller Bürger und entkriminalisierte gleichgeschlechtliche Beziehungen schon 1932 (die DDR machte das 1957, die Bundesrepublik 1969), aber seitdem ist nicht viel passiert. "Grundlegende Änderungen haben noch nicht stattgefunden, wie etwa Schutz vor Hassreden aufgrund der sexuellen Orientierung und Identität sowie die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften oder Gleichstellung mit der Ehe", sagt Dehnel.
Polen ist eines von fünf EU-Ländern, welches noch keine eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften anbietet, erst recht nicht eine solche Ehe.
Die derzeitige liberale Regierung unter Donald Tusk möchte das ändern. Der erste Gesetzentwurf zu eingetragenen zivilen Partnerschaften ist da und mit ihm ein zähes Ringen in Tusks Koalition, zu der auch das christdemokratisch-konservative Bündnis "Dritter Weg" gehört. Wann das Gesetz in Kraft treten kann, ist noch offen. Selbst wenn es zeitnah verabschiedet werden sollte, kann Präsident Duda, ein Freund der homophoben Vorgänger-Regierung, sein Veto einlegen.
Ein gesellschaftlicher Wandel
Jacek Dehnels Partner ist der Schriftsteller Piotr Tarczynski. Seit 21 Jahren sind die beiden ein Paar, 2018 haben sie in London geheiratet. In Polen wird ihre Ehe nicht anerkannt. Sie haben nur das, was sie beim Notar festgelegt haben. "Wir werden vom polnischen Staat wie Fremde behandelt. Wenn wir die Brücke über die Oder Richtung Polen überqueren, lassen wir uns scheiden bis wir zurückfahren und an der Oder wieder heiraten. Eine Hochzeit aus Wasser", beschreibt Dehnel symbolisch seine Lage.
Und obwohl sich die rechtlichen Bedingungen in Polen noch nicht geändert haben, ist die Lage doch nicht hoffnungslos. Es habe "ein enormer gesellschaftlicher Wandel" stattgefunden, der "in gewisser Weise wichtiger" sei. "Viele denken bereits ganz anders über uns", freut sich der Schriftsteller. Aktuellen Umfragen zufolge, befürwortet die Mehrheit der Polen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. "Es gibt einen großen Unterschied zwischen der polnischen Gesellschaft und der politischen Klasse, die immer noch konservativ ist, und Angst vor der Kirche hat", betont Dehnel.
Immer mehr queere Menschen outen sich, dabei einige Prominente - auch für das katholische Polen gehört Queer-Sein langsam zum Leben. Die Pride-Paraden bezeugen das, meint Dehnel.
Lange Zeit gab es sie nur vereinzelt und in den großen Städten. Inzwischen ziehen Menschen mit Regenbogenfahnen durch mehr als 30 Gemeinden, auch kleine Orte sind dabei. "Die Paraden werden immer sicherer, die Menschen gewöhnen sich daran", so Dehnel. Mit jedem Jahr werde es schwieriger, Hass auf die LGBT-Menschen zu wecken.
Ob jedoch ein so offenes Leben wie in Berlin auch in Warschau möglich sein wird, wird sich zeigen. In der deutschen Hauptstadt habe Dehnel keine homophoben Kommentare erlebt - "bis auf einen von einem Polen". Aber auch in Berlin sei die Situation dynamisch und vom Wohnviertel abhängig. "Die deutschen LGBT-Organisationen weisen darauf hin, dass die Gewalt gegen queere Personen in Deutschland sehr stark zunimmt", fügt Dehnel hinzu.
Berlin in "einer tiefen Krise"
Nicht nur das macht ihm Sorgen. Auch die Lebensbedingungen und "eine tiefe Krise", in der sich die deutsche Hauptstadt befinde, seien Gründe für den Weggang. Die Stadt werde den Erwartungen vieler Expats nicht gerecht. Am schlimmsten sei die Bürokratie, die "ständig Probleme multipliziert".
Als Beispiel nennt Dehnel die Nichtanerkennung polnischer Dokumente, "die böswillige Infragestellung verschiedener Dinge", und das lange Warten auf Entscheidungen der Behörden. "Mein Mann wartete elf Monate auf die Anerkennung als Künstler und musste dann für diese elf Monate die Beiträge für die Versicherung nachzahlen, die er nicht in Anspruch nehmen konnte", sagt der Schriftsteller.
Das sei keineswegs ein Einzelfall, betont Dehnel. Viele der Expats würden mittlerweile desillusioniert die Stadt wieder verlassen. Berlin, früher bekannt für seine kulturelle Offenheit und Toleranz, für bezahlbare Mieten und eine pulsierende Kreativszene, könne diesen Ruf nicht mehr erfüllen.
Dehnels Kritik wurde Ende Oktober in der polnischen "Newsweek" und sozialen Netzwerken publik gemacht - und schlug unter den in Deutschland lebenden Polen hohe Wellen. "Wir sind Bürger der Europäischen Union, wir kommen in Berlin quasi zu uns selbst - in einen anderen Teil der Gemeinschaft, zu der Polen und Deutschland gehören. Wir haben bestimmte Erwartungen", betont er im DW-Gespräch. Dass man bestimmte Behördengänge auf Englisch erledigen kann, mit Kreditkarte bezahlt, über bessere digitale Infrastruktur verfügt. "Ich erwarte eine bestimmte Art von Dienstleistung. Und mehr, ich vergleiche sie mit dem Niveau in Polen", fügt er hinzu. Dieser Vergleich falle oft zugunsten von Polen aus.
Seit dem 1. Dezember wohnt Jacek Dehnel wieder in Warschau. An der Oder musste er sich nochmal symbolisch scheiden lassen. Die Wohnung in Berlin behält er aber noch. Für alle Fälle.