Krieg ohne Ende
20. August 2008Die Entscheidung, einem Waffenstillstand zuzustimmen, sei ihm vorgekommen, wie einen Becher Gift zu trinken. So beschrieb der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini seine Entscheidung, dem ersten Golfkrieg nach fast acht Jahren ein Ende zu setzen. Immer wieder hatte er internationale Appelle zur Waffenruhe ignoriert und abgelehnt. Mit dem 20. August 1988 jedoch schwiegen die Waffen.
Frieden zwischen Iran und Irak gibt es dennoch bis heute nicht. Die Nachwirkungen dieses Krieges sind spürbar und beeinflussen unter anderem das Verhältnis Teherans zum Irak nach Saddam Hussein, aber auch das zum Rest der Welt.
Verheerender Krieg
Niemand ahnte, was für ein verheerender Krieg entfacht werden sollte, als der irakische Staatschef am 22. September 1980 den Befehl zum Angriff auf den Iran gab. Iranische Städte wurden bombardiert. Irakische Truppen marschierten in Khusestan ein, einer auch von Arabern bewohnten iranischen Provinz, die Bagdad sich als "Arabistan" einverleiben wollte.
Die Iraker hatten zunächst leichtes Spiel, denn die Islamische Revolution seit der Rückkehr Imam Khomeinis Anfang 1979 hatte den Iran stark geschwächt: Das unter dem Schah noch als größte regionale Streitkraft betrachtete Militär war dezimiert und führungslos, die alten politischen Führer vertrieben oder getötet und die neuen klerikalen Führer alles andere als ihrer neuen Aufgabe gewachsen. Besonders nicht einer Herausforderung, wie sie der irakische Angriff darstellte.
Gottloser Saddam
Khomeini muss das gespürt und wohl auch deswegen eine Waffenruhe abgelehnt haben. Denn er wusste, dass der Krieg das Volk von den innenpolitischen Schwierigkeiten ablenkte. Er wusste auch, dass es leichter war, die Menschen gegen einen äußeren Feind zu einen, als sie unbeschadet durch die Wirren zu führen, die der Iran in seiner post-revolutionären Phase durchmachte.
Und als äußeren Feind konnte Khomeini mehr als nur den Irak unter dem "gottlosen" Saddam Hussein bezeichnen. Dazu gehörten auch all jene, die den Irak im Krieg gegen den Iran unterstützten. Allen voran die USA, aber auch sehr viele andere Staaten in Europa und weltweit – darunter auch die Bundesrepublik, die meinten, mit Hilfe Saddams das Schreck-Gespenst der Islamischen Revolution im Iran beseitigen zu können.
Unbegrenzte Waffenkäufe
So absurd das heute nach dem Sturz und der Hinrichtung Saddam Husseins klingen mag: Bagdad konnte schier unbegrenzte Waffenkäufe im Westen tätigen, es wurde sogar mit chemischen Waffen beliefert und setzte diese im Krieg gegen den Iran ebenso ein wie auch – gegen Ende dieses Krieges, im März 1988 – gegen irakische Kurden in Halabja.
Der Iran hingegen konnte zwar zunächst auf die gefüllten Arsenale der Schah-Armee zurückgreifen, musste sich später aber Nachschub auf jede nur denkbare Weise besorgen. Unter anderem sogar aus Israel, trotz der erklärten Feindschaft Khomeinis gegenüber dem jüdischen Staat.
Junge Märtyrer
Die wichtigste, aber dennoch ineffektive Waffe des Iran war das Heer - bestehend aus jungen Leuten, die Khomeini blind ergebenen waren und bereit zum Opfertod für ihr Land und für ihren Glauben. Mehr als eine halbe Million Iraner, die meisten von ihnen kaum oder schlecht bewaffnete junge Märtyrer, kamen im Golfkrieg um. (Zum Vergleich: Der Irak verlor mindestens 400.000 Soldaten).
Kaum eine iranische Familie, die nicht Kriegsopfer zu beklagen hatte. Beeindruckendes Zeugnis davon ist "Beheshte Zahra": Abertausende Gräber reihen sich auf diesem mit 400 Hektar größten Friedhof der Region am Südrand von Teheran aneinander. In unmittelbarer Nachbarschaft zum bombastischen Grab Khomeinis sind die Toten hier seitlich beigesetzt, um Platz zu sparen.
Tiefe Feindschaft
Die Waffenruhe beendete zwar den Krieg, nicht aber die tiefe Feindschaft gegenüber dem Regime Saddam Husseins: So, wie einst Schah-kritische Iraner - unter ihnen Khomeini - im Irak Zuflucht fanden, so nahm Teheran jetzt irakische Saddam-Gegner auf, besonders Schiiten und Kurden. Und diese sind es auch, die im neuen Irak wichtige Rollen übernommen haben. Wie etwa Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Ironie des Schicksals aber, dass das Saddam-Regime nicht von diesen und auch nicht vom Iran beseitigt wurde, sondern vom "großen Satan" USA.
Der US-amerikanische Einmarsch im Irak 2003 löste deswegen gemischte Gefühle im Iran aus: Natürlich war man zufrieden, dass Saddam gestürzt wurde und dass besonders die Schiiten im Irak endlich Zugang zur Macht bekamen, gleichzeitig aber mochte man den USA dafür nicht applaudieren. Zumal man von US-Truppen langsam umringt war: In Afghanistan, Pakistan, Zentralasien und nun auch dem Irak.
Irak ist lukrativ
Aber stillschweigend scheint der Iran sich damit abgefunden zu haben, dass es in sehr begrenztem Umfang sogar eine Interessengemeinschaft mit den USA in Fragen zum Irak gibt. Vor allem: Vom Irak soll keine neue Gefahr für seine Nachbarn ausgehen. Darüber hinaus sieht der Iran in den Entwicklungen im Nachbarland ein großes Potential für die eigene Entwicklung: Der Irak ist ein lukrativer Markt für iranische Produkte, langfristig auch ein attraktiver Markt für iranische Investitionen.
Der Krieg mit dem Irak hat aber auch die iranischen Empfindlichkeiten gegenüber dem Ausland verstärkt: Besonders die Waffenlieferungen, besonders die von chemischen Waffen an den Irak, haben dem Ansehen des Westens unter der iranischen Bevölkerung nachhaltig geschadet. Äußerer Druck auf den Iran wird die Iraner heute wie damals interne Meinungsverschiedenheiten vergessen lassen.