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Politik

Vor 75 Jahren: Warschauer Ghetto-Aufstand

19. April 2018

Beim Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 wehrten sich die eingepferchten Menschen gegen den Nazi-Terror. Heute warnen die Überlebenden vor neuem Antisemitismus. Eine Reportage aus Warschau von Frank Hofmann.

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Warschauer Polin Museum
Bild: DW/P. Kajszczak
Warschauer Polin Museum
Bild: DW/P. Kajszczak

Sie ist ein "polnischer Schatz", sagt Museumsmitarbeiterin Joanna Krol über Krystyna Budnicka, während die 85-jährige Holocaust-Überlebende vor 400 Jugendlichen im Warschauer POLIN-Museum zur Geschichte der polnischen Juden spricht. Einige der Schüler sehen die Überlebende des jüdischen Ghettos schon zum dritten Mal. Für die Holocaust-Zeugin sind die Treffen Therapie: "Ich habe angefangen, über meine Geschichte zu reden, als ich dem Verein der Holocaust-Kinder beigetreten war und mich damit auseinandersetzen musste, wer ich bin und warum ich lebe." Das war Anfang der 90er Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa. Damals begannen viele Holocaust-Überlebende in Polen und ihre Angehörigen, sich ihrer jüdischen Herkunft  zu erinnern. Budnicka war im Ghetto in einem eigens gebauten Bunker versteckt.

Sie spürte die Hitze

Während an der Oberfläche die deutschen Besatzer den jüdischen Aufstand mit Flammenwerfern, Bomben und Gas brutal niederschlugen, bemerkte Budnicka vor allem, dass es viel heißer wurde. Nach Monaten der Qualen war sie schließlich von Helfern des Widerstands aus der Kanalisation gerettet und bis nach Kriegsende im Warschauer Umland versteckt worden. Heute sagt sie: "Wenn ich nicht erzählen könnte, dann müsste ich irgendwo in einer psychiatrischen Anstalt enden, denn das wäre zu hart. Dass ich es zähme, dass ich meine Erfahrungen erzähle, dass ich es näherbringe, das macht, dass es mir leichterfällt, damit zu leben." Museumsmitarbeiterin Joanna Krol leitet die Abteilung für audiovisuelle Medien im POLIN-Museum, sie führt die Interviews mit den Zeitzeugen - wie Krystyna Budnicka.

Warschauer Polin Museum
Ghetto-Überlebende Krystyna Budnicka im Warschauer POLIN-Museum.Bild: DW/P. Kajszczak

Jüdisches Leben seit den Anfängen

Das Museum zählt zu den erfolgreichsten in Polen. Es beschreibt jüdische Geschichte seit ihren Anfängen im Land: Ein großer Teil beleuchtet das Mittelalter. Es ist ständig gut besucht. Auch jetzt, wo viele glauben, dass der Antisemitismus in Polen zurück ist. Anfang April war Großrabbiner Michael Schudrich nach einem Interview mit der Deutschen Welle scharf von polnisch-nationalistischen Internet-Portalen kritisiert worden, die der rechtsnationalen PiS-Regierung ("Partei für Recht und Gerechtigkeit") nahestehen. Schudrich hatte vor wachsendem Antisemitismus im Land gewarnt. Auf Twitter war er daraufhin zum Vaterlandsverräter gestempelt worden, weil er Polen international kritisiere.

Joanna Krol
Interviewt die verbliebenen Zeitzeugen: Joanna KrolBild: DW/P. Kajszczak

Furcht vor neuem Antisemitismus

Draußen vor dem Museum steht das Denkmal zur Erinnerung an den Ghetto-Aufstand, aufgestellt vom sozialistischen Polen, darauf eine Blumen und eine Israel-Flagge. Krystyna Budnicka steht davor und wirkt nachdenklich. "Diese 30 Jahre waren erfrischend", sagt die 85-jährige und meint den Umgang mit der Geschichte seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, seitdem auch sie angefangen hat, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch sie glaubt, dass der Antisemitismus zurückkehrt. "Heute macht man alles kaputt, wir hatten schon Ruhe. Doch vielleicht war es an der Oberfläche ruhig, ich weiß es nicht, ich bin keine Expertin, um einzuschätzen, inwieweit es so war. Doch es war wirklich ruhig. Man hat von keinen antisemitischen Vorfällen gehört, und jetzt ist es doch wieder hässlich. Aber vielleicht ändert sich das auch wieder zum Guten."

Warschauer Polin Museum
Jeden Tag kommen hunderte Besuchergruppen in das MuseumBild: DW/P. Kajszczak

Zynische Erfolgsmeldung nach Berlin

Krystyna Budnicka denkt da an die vielen jungen Leute, die bei ihren Vorträgen an ihren Lippen hängen. Drinnen im Museum wird es am Nachmittag noch einmal eng - so viele Besucher kommen heute, an einem gewöhnlichen Wochentag. Das gebe ihr Hoffnung, sagt Budnicka und schaut sich die Fotos aus dem Warschauer Ghetto der deutschen Wehrmacht an. Sie stammen aus dem Bericht von SS-Gruppenführer Jörgen Stroop, der die Niederschlagung des Ghetto-Aufstandes geleitet hatte. Seinen Bericht nach Berlin überschrieb er mit den Worten, das jüdische Ghetto von Warschau sei nicht mehr. "Er hat die Depesche geschickt, dass die jüdische Frage gelöst sei", sagt die Ghetto-Überlebende Krystyna Budnicka. "Er hat die Tlomackie-Synagoge auf dem Bankenplatz gesprengt und das Telegramm geschickt: 'Die jüdische Frage ist gelöst, Warschau ist frei von Juden.' Er lag fehl", so Budnicka, die im April 1943 von ihrem Bunker-Versteck aus noch ein Stück weiter gekrochen war in die Kanalisation: "Ich war da."

75 Jahre nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto