1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vorbild für Balkan?

5. Februar 2003

- Minderheiten-Politik in Griechenland

https://p.dw.com/p/3EtD

Köln, 4.2.2003, DW-radio / Griechisch, Panagiotis Kouparanis

Auf dem Balkan spielt die Minderheitenfrage eine zentrale Rolle. Auch in Griechenland. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wie steht es in Griechenland mit der Anerkennung der Minderheitsrechte und welchen Stellenwert genießen die Minderheiten? Eine Tagung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Freien Universität Berlin beschäftigte sich in diesen Tagen in Berlin mit dieser Thematik.

Die einzige anerkannte Minderheit Griechenlands sind auf Grund des Friedensvertrags von Lausanne im Jahre 1923 zwischen Athen und Ankara die Muslime. Das bedeutet, dass sie als einzige Minderheit eigene Schulen, Radios, Zeitungen haben. Von den etwa 150.000 Muslimen wohnen 80.000 in West-Thrazien. Von diesen wiederum sind die Hälfte Pomaken, d.h. islamisierte Bulgaren, etwa 35.000 Türken und die übrigen sind Roma. Die Pomaken orientieren sich an der

einheimischen türkischen Bevölkerung, da sie auf Bestrebungen früherer griechischer Regierungen türkische Schulen besuchen mussten. Die Türken selbst richten sich wiederum nach der Türkei aus, die sich als deren Schutz- und Garantiemacht versteht. Um die Roma, die wohl zahlreichste Gruppe der Muslime des Landes, kümmert sich niemand.

Die Behandlung der Muslime Griechenlands folgte bis noch vor wenigen Jahren der Logik der gegenseitigen Vergeltung: Wenn sich die griechisch-türkischen Beziehungen verschlechterten oder wenn die griechische Minderheit in der Türkei Verfolgungen und Vertreibungen ausgesetzt war, dann spürten das in der einen oder anderen Weise auch die Muslime West-Thraziens. Die Folgen waren ein faktisches Verbot des Kaufs von Immobilien, Traktoren und Autos. Man hatte praktisch keine Möglichkeit, einen Führerschein zu erlangen oder ein Café zu eröffnen. Auch der Bau von Moscheen erwies sich als problematisch.

Darüber hinaus wurde Zehntausenden die Staatsbürgerschaft auf Grund des Paragraphen 19 des Staatsbürgerschaftsrechts aberkannt. Darin hieß es, dass "Personen nicht-griechischer Herkunft" ihre Staatsbürgerschaft verlieren, wenn die Behörden den Eindruck haben, sie hätten nicht die Absicht, aus dem Ausland nach Griechenland zurückzukehren. Das sei eine völlig falsche Politik, sagt der Autor des Buches "Die verbotene Sprache" (gemeint ist die slawomazedonische), Tassos Kostopoulos:

"Wir müssen die Minderheitenfrage weniger als eine Angelegenheit von zwischenstaatlichen Beziehungen und eher als eine Frage der demokratischen Ordnung im Innern betrachten, als eine Frage der demokratischen Kultur in jedem einzelnen Land."

Das Ende des Kalten Krieges und insbesondere die EU-Zugehörigkeit Griechenlands mit all den demokratischen Maßgaben, die damit verbunden sind, führten in den 90er Jahren zur Abschaffung des Paragraphen 19 und der anderen Restriktionen. An den Universitäten ist eine Anzahl von Plätzen muslimischen Studenten vorbehalten, das Bildungsniveau in den Schulen wird durch gezielte Fördermaßnahmen angehoben.

Eine solche Position wie die Muslime haben allerdings die anderen Minderheiten nicht. Sie sind nicht anerkannt und haben folglich keine eigenen Schulen, Zeitungen oder Radios. Allerdings ist die Bestimmung, was eine Minderheit ist, gar nicht so leicht, sagt Giorgos Mavrommatis vom Zentrum für Studien von Minderheitengruppen in Thessaloniki und führt das Beispiel der Wlachen an:

"Man kann sie weder als nationale noch als ethnische Gruppe bezeichnen. Zurzeit sind sie eine sprachliche Minderheit, weil sie eine andere Sprache sprechen. Eine Zeitlang, als es eine Bindung von wlachischen Gruppierungen und rumänischem Nationalismus gab, konnte man von einer nationalen Minderheit sprechen. Wenn sie keine Bindung an den rumänischen Nationalismus hatten, waren die Wlachen eine ethnische Gruppe."

Der Wiener Ethnologe Thede Kahl schätzt ihre Zahl heute auf 300.000, von denen rund ein Drittel noch wlachisch sprechen, die Traditionen pflegen, aber ansonsten völlig assimiliert sind.

Die Zahl der slawomazedonischen Bevölkerung Nordgriechenlands wird auf nur einige Zehntausende geschätzt. Jahrzehnte lang drohten ihnen Repressalien, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Sprache sprachen und es wurde ihnen deswegen Separatismus unterstellt. Genau dem wurde aber in mehreren Studien, die in Berlin vorgestellt wurden, widersprochen. Der Gebrauch des Slawomazedonischen lässt nicht darauf schließen, dass diejenigen, die es sprechen, sich als eine slawomazedonische Minderheit verstehen, die ihr eigentliches Vaterland in der benachbarten Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien sieht. Diese Erfahrung hat auch die Züricher Ethnologin Claudia Rossini gemacht, die sich neun Monate in Meliti aufhielt, einem Dorf in Nordgriechenland, dessen Bevölkerung vor allem aus Mazedoslawen besteht.

"Mazedonisch Gesinnte sind sich darüber einig, dass sie griechische Bürger bleiben wollen. Sie haben nichts gegen den griechischen Staat als solchen. Sie möchten aber ihre kulturelle Eigenheit frei ausleben und nicht als zweitrangige Bürger behandelt werden."

Ein Argument, das oftmals in Griechenland angeführt wurde, um die Praxis der Nicht-Anerkennung von Minderheiten und ihren Rechten zu rechtfertigen, ist ihre tatsächliche oder vermeintliche Instrumentalisierung. Oftmals hätten in der Vergangenheit Staaten die Existenz von Minderheiten gleicher Nationalität in Nachbarstaaten genutzt, um Gebietsansprüche zu erheben, mit dem Vorwand, die Minderheiten würden unterdrückt. Folglich müsse man mit der Anerkennung von Minderheiten sehr vorsichtig sein. Solche Ansichten lässt Professor Holm Sundhausen, der in Berlin südosteuropäische Geschichte lehrt, nicht gelten:

"Dieses Argument fällt immer wieder und alle Nationen berufen sich darauf, wir haben so eine Art fünfter Kolonne hier im Land. Und wir versuchen uns gegen die tatsächliche, potentielle oder eingebildete Gefahr einer solchen fünften Kolonne abzusichern. Aber man kann die Sache umdrehen und kann sagen: Indem man einen Staat attraktiv macht auch für diejenigen, die nicht zur Mehrheitsnation gehören, nimmt diese Gefahr auch ab." (fp)