Vorsicht bei "Flüchtlingen" aus Nordkorea
11. April 2016Während die Anzahl der nordkoreanischen Flüchtlinge in Südkorea so niedrig ist wie seit 13 Jahren nicht mehr, sorgen dennoch zwei aktuelle Fälle für weltweite Schlagzeilen: Am Montagmorgen verkündete die regierungsnahe Nachrichtenagentur Yonhap, dass bereits im Vorjahr ein hochrangiger Offizier der nordkoreanischen Spionageabteilung geflohen sei. Dieser solle unter anderem damit beauftragt worden sein, Spionageaufträge gegen den Süden auszuführen. Unter der über vierjährigen Diktatur Kim Jong Uns wäre es der Flüchtling mit dem bisher zweithöchsten militärischen Rang – wenn die Meldung denn stimmt. Genau daran gibt es jedoch starke Zweifel, denn als Grundlage für die Meldung nennt die Agentur Yonhap eine "anonyme Qelle, die namentlich nicht genannt werden möchte."
Bereits im Juli 2015 hatte ebenjene Nachrichtenagentur gemeldet, dass ein nordkoreanischer Chemiker nach Finnland geflüchtet sein soll, wo er sich für ein Zeugenbericht beim Europäischen Parlament vorbereite. Dort würde er über geheime Menschenversuche der Nordkoreaner aussagen. Als die "Helsinki Times" den Bericht wenige Wochen später überprüfen wollte, kam heraus, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. Der Yonhap-Reporter sei nach eigener Aussage einer NGO aufgesessen, die das nordkoreanische Regime diskreditieren wolle.
"Südkoreanische Medien häufig unkritisch"
"Südkoreanische Medien haben sehr niedrige Qualitätsstandards", sagt Jean Lee, die für ihren ehemaligen Arbeitgeber Associated Press im Jahr 2012 das erste westliche Nachrichtenbüro in Pjöngjang eröffnet hatte. Viele Berichte basierten einzig auf anonymen Aussagen, ohne jedoch überprüft zu werden. "Ich habe meinen Mitarbeitern nur selten erlaubt, südkoreanische Medienberichte über Nordkorea aufzugreifen", sagt Lee gegenüber der DW.
Erst am vergangenen Freitag hatte eine weitere Schlagzeile für Aufregung gesorgt: 13 Mitarbeiter eines nordkoreanischen Restaurants im chinesischen Ningbo südlich von Shanghai seien über ein südostasiatisches Land nach Seoul geflohen. Das wäre die größte Gruppe von nordkoreanischen Flüchtlingen seit langem. Doch auch in diesem Fall sind die Begleitumstände der Nachricht interessanter als die Meldung selbst.
Am Freitag Nachmittag koreanischer Zeit bekam die Journalistin Ha-Young Choi eine Kurznachricht des Wiedervereinigungsministeriums. "Normalerweise werden die Pressekonferenzen am Montagmorgen veranstaltet. Wegen des ungewöhnlichen Zeitpunkts dachte ich, dass es sich um einen Notfall handeln muss, etwa einen weiteren Atomtest", sagt Choi, die für das unabhängige Fachmedium NK News arbeitet.
Südkoreas Wahlkampf und der "Nordwind"
Als bei der Pressekonferenz lediglich die nordkoreanischen Flüchtlinge angekündigt wurden, wurden die anwesenden Journalisten misstrauisch: Normalerweise hält sich das Wiedervereinigungsministerium bei nordkoreanischen Flüchtlingen äußerst bedeckt. Mehrere Monate werden die Neuankömmlinge vom Geheimdienst daraufhin untersucht, ob es sich bei ihnen um verdeckte Spione handelt oder um chinesische Staatsbürger der koreanischen Minderheit. "Meist bekommen wir vom Ministerium nicht mal einen Kommentar, eben deshalb, um die verbliebenen Familienmitglieder in Nordkorea zu schützen", sagt Choi. Diese haben oft drakonische Strafen für die Fahnenflucht ihrer Verwandten zu befürchten.
Wieso also veranstaltete das Wiedervereinigungsministerium nun in aller Eile eine Pressekonferenz, noch bevor die offiziellen Untersuchungen des Geheimdienstes überhaupt begonnen haben? "Die einfache Antwort ist: Weil Südkorea in zwei Tagen seine Abgeordneten wählt", sagt Steven Borowiec, der seit sieben Jahren als Korrespondent der "Los Angeles Times" von der koreanischen Halbinsel berichtet. "Nordwind" wird diese Wahlkampftaktik in Südkorea allgemeinhin genannt. Sie bezeichnet das Vorgehen der konservativen Regierungspartei, ihre ältere Stammwählerschaft zu mobilisieren. Sicherheitsfragen und Nordkorea-Politik gelten als Kernthemen der regierenden Saenuri-Partei. "Es ist ziemlich normal, dass so etwas kurz vor der Wahl passiert", sagt Journalistin Choi.