"Der Prinz kann nicht verhaftet werden"
28. November 2018Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Argentinien angezeigt - wegen einer "möglichen Mittäterschaft" bei der Tötung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi und wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Jemen. Der zuständige Richter Ariel Lijo hat die Staatsanwaltschaft angewiesen, den Antrag zu prüfen. Nach dem in Argentinien geltenden Universalitätsprinzip, argumentiert HRW, könnten solche Verbrechen unabhängig von Tatort und Staatsbürgerschaft in Argentinien verfolgt werden. Da bin Salman bereits für den G20-Gipfel am 1. und 2. Dezember in Argentinien eingetroffen ist, hätten die argentinischen Behörden sogar Zugriff auf den Königssohn.
Deutsche Welle: Herr Sommer, wie wahrscheinlich ist es, dass Mohammed bin Salman in Argentinien festgenommen wird?
Christian Sommer: Auch wenn es verständlich ist, dass Menschenrechtsorganisationen fordern, dass Gerichte auch Verfahren gegen ausländische Staatsbürger eröffnen, die brutaler und abscheulicher Verbrechen verdächtig oder schuldig sind - juristisch ist das eigentlich nicht möglich.
Die Anzeige von HRW wird also keinen Erfolg haben?
Human Rights Watch beruft sich darauf, dass die argentinische Verfassung das Universalitätsprinzip anerkennt. Allerdings hat das seine Grenzen, weil zunächst jeweils eine Sondergerichtsbarkeit eingesetzt werden muss.
Ist das schon einmal vorgekommen?
Durchaus. Aber eine dieser Grenzen ist, dass es einen Bezug zu Argentinien geben muss, wie etwa bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zeit der Diktaturen der 1970er Jahre. Spanischen Opfern der Franco-Diktatur etwa war es möglich, Prozesse in Argentinien zu führen. Aber in den Fällen, in denen man Prinz Mohammed bin Salman verdächtigt, dürfte das schwierig werden.
Was steht in der argentinischen Verfassung, das HRW hoffen lässt, mit der Klage Erfolg zu haben?
In der argentinischen Verfassung steht seit ihrer Verabschiedung im 19. Jahrhundert eine Rechtsnorm, die es Richtern erlaubt, ausländische Fälle zu verhandeln, wenn es um Verstöße gegen das Völkerrecht geht. Damit will man verhindern, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungesühnt bleiben.
Warum genügt das nicht, um die Klage von HRW voranzutreiben?
Weil dieselbe Verfassung vorgibt, dass der Kongress extra dafür ein Gesetz verabschieden muss. Und im Fall des saudischen Kronprinzen ist dafür schlicht die Zeit zu knapp.
Welche anderen Möglichkeiten hätte Argentinien, den Prinzen vor Gericht zu stellen?
Wenn der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ein Verfahren wegen der Vorkommnisse im Jemen eröffnen würde, müsste man sehen, wie Argentinien als Mitgliedstaat des IstGH dazu beitragen könnte - zum Beispiel wenn die Anwaltschaft in Den Haag einen Haftbefehl ausstellt. Bisher ist aber nichts dergleichen geschehen.
Gestützt auf das Universalitätsprinzip ließ der spanische Richter Baltasar Garzón 1998 den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet in London verhaften. Warum war das möglich?
Weil unter den Opfern seiner Diktatur spanische Staatsbürger waren.
Wie könnte sich die HRW-Anzeige politisch auf Argentinien auswirken?
Im Grunde gar nicht. Die Regierung ist darauf nicht besonders eingegangen. In Argentinien ist die Justiz unabhängig, alles hängt von der Staatsanwaltschaft ab.
HRW kündigt groß an, Mohammed bin Salman erwarte in Argentinien eine Untersuchung, und dann geschieht nichts? Welche Lehre zieht man daraus?
Gerechtigkeit einzufordern, gehört zu den Aufgaben einer Menschenrechtsorganisation. HRW ist es gelungen, die mutmaßliche Mittäterschaft des saudischen Kronprinzen sichtbar zu machen, der als Verteidigungsminister Verantwortung für die Hungersnot im Jemen, für Folter in Saudi Arabien und für den makabren Mord an einem Journalisten in der Türkei übernehmen sollte.
Christian G. Sommer lehrt Völkerrecht an der Katholischen Universität von Córdoba in Argentinien.
Das Interview führt José Ospina-Valencia