Wachstumsbranche Korruption
9. Dezember 2004Die Zahlen sind erschreckend: Dem "Bundeslagebild Korruption des Bundeskriminalamtes" (BKA) zufolge liefen 1994 bundesweit gut 250 Verfahren wegen Korruption. 2003 waren es mehr als vier Mal so viele, nämlich 1100. Im Jahr 2002 hatte es wegen einer Vielzahl aufgedeckter Fälle im Zusammenhang mit einem Banken- und Immobilienskandal in Frankfurt sogar annähernd 1700 Verfahren gegeben. "Damit ist der Trend eines jährlichen Anstieges nicht nur ungebrochen", erklärten die BKA-Ermittler, "sondern er hat sehr deutlich zugenommen".
Es geht um viel Geld: Die Ermittler errechneten für die Verfahren des Jahres 2002 Bestechungsgelder und Sachleistungen in einem Gesamtwert von fast 36 Millionen Euro. Dafür sicherten sich die bestechenden Unternehmen Aufträge für über 430 Millionen Euro. Diese Zahlen sind für den Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner allerdings "nur die Spitze eines Eisberges". Die Antikorruptions-Organisation Transparency International schätzt, dass derzeit 90 bis 95 Prozent aller Korruptionsfälle in Deutschland unentdeckt bleiben.
Korruptionsnetzwerke
Von "gewachsenen Beziehungen" spricht die Bielefelder Kriminologin Britta Bannenberg vor allem für größere und längerfristige Aufträge, zum Beispiel den Bau von Straßen oder kommunalen Krankenhäusern oder auch die Pflege von Parks oder Friedhöfen. Mit der Größe der Aufträge würden die Korruptionsbeziehungen dann enger, so Bannenberg: Es bildeten sich "Korruptions-Netzwerke". Dies liege schlicht daran, dass viele Menschen an der Vergabe eines Auftrages beteiligt seien und auch viele Firmen an der Umsetzung der Großprojekte - wie Flughäfen, Klärwerke, Kasernen oder Müllverbrennungsanlagen - verdienen.
Auch im Kleinen wird geschmiert
In einem gemeinsamen Buch räumen Kriminologin Bannenberg und Oberstaatsanwalt Schaupensteiner mit der lange gehegten Vorstellung auf, Korruption sei "vor allem ein Problem von Ländern mit Bananenplantagen oder mit einer sozialistischen Geschichte". Auch in Deutschland stünden Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung auf der Lohnliste der Wirtschaft und kassierten horrende Summen.
Auch in den unteren Etagen von Verwaltung wird offenbar ungeniert geschmiert. In dem Buch findet sich eine ganze Reihe von Beispielen: Zwei Mitarbeiter eines Hochbauamtes zweigen bei der millionenschweren Restaurierung städtischer Gebäude Geld für großzügige Eigenheime ab. Ein Bürgermeister fordert - und erhält - 16 Jahre lang Geld und Sachleistungen von örtlichen Baufirmen als Gegenleistung für Aufträge. Ein Ordnungsamt verkauft Originalführerscheine an jeden, der das nötige Kleingeld mitbringt.
Beispiel Gesundheitswesen
Der Schaden, der in Deutschland jedes Jahr durch Korruption angerichtet wird, lässt sich naturgemäß nicht beziffern – es ist nun mal eine Branche, die im Verborgenen arbeitet. Transparency International schätzt jedoch, dass allein im Gesundheitssektor jährlich bis zu 20 Milliarden Euro in tiefen Taschen und dunklen Kanälen verschwinden. Die Zahl stützt sich auf eine Untersuchung in den USA, die auf Deutschland übertragen wurde. Das Interessen-Gestrüpp von Krankenkassen, Ärzteverbänden, Ministerien, Pharmakonzernen und Kliniken biete ideale Bedingungen für Korruption, stellt Transparency fest.
Schwarze Listen für schwarze Schafe
Korruption ist nur schwer in den Griff zu bekommen. Immerhin hat sich Deutschland letzten Jahr im weltweiten Antikorruptionsindex von Transparency International wieder leicht verbessert: auf Platz 15. Die Anstrengungen müssten aber weitergehen, fordern die Antikorruptions-Experten Bannenberg und Schaupensteiner: So sollten "schwarze Schafe" von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.
Für Polizei und Justiz fordern sie die Einrichtung von weiteren Zentralstellen zur Korruptionsbekämpfung und die Einführung von Kronzeugenregelungen.
Gleichzeitig befürchtet Britta Dannenberg durch die Ost-Erweiterung der Europäischen Union eher noch eine Zunahme der Korruption. "In den Beitrittsländern sind die Kontrollstrukturen nur unzureichend ausgebaut", kritisiert sie. So sei zu befürchten, dass die in den Beitrittsländern weit verbreitete Bestechung bei öffentlichen Aufträgen durch den gemeinsamen Markt auch in Westeuropa zunehmen werde.