Waffenruhe im Gazastreifen hält vorerst
19. Januar 2009Die von Israel und militanten Palästinensergruppen für den Gazastreifen verkündete Waffenruhe hat am Montag (19.01.2009) zunächst gehalten. Eine israelische Armeesprecherin sagte, es habe seit dem Vorabend keine neuen Angriffe gegeben. In den Straßen von Gaza waren erstmals seit drei Wochen wieder Zivilpolizisten der radikalislamischen Hamas zu sehen. Sie trugen nach Angaben von Bewohnern gelbe Westen mit der Aufschrift "Verkehr".
Zu Beginn der israelischen Militäroffensive waren die Polizisten völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Das israelische Militär hatte gezielt auch zahlreiche Polizeiwachen sowie das Zentralgefängnis von Gaza bombardiert. Am 27. Dezember, dem ersten Tag der Offensive, wurden Raketen auf eine Vereidigungszeremonie der Hamas-Polizeiakademie abgefeuert.
Die zunächst einseitig von Israel ausgerufene Waffenruhe war in der Nacht zum Sonntag in Kraft getreten und hatte am ersten Tag nicht gehalten. Die militanten Palästinensergruppen setzten Israel am Sonntag eine Frist von einer Woche, um den Gazastreifen zu verlassen. Eine israelische Militärsprecherin gab an, der begonnene Truppenabzug werde fortgesetzt.
Ruhe wird genutzt
Die Waffenpause wurde nicht nur von den Bewohnern genutzt, in ihre beschädigten oder zerstörten Häuser zurückzukehren, sondern auch von Rettungskräften. Palästinensische Sanitäter begannen damit, Verschüttete zu bergen. Seit Sonntag wurden fast 100 Menschen tot aus den Trümmern ihrer Häuser gezogen. Damit steigt die Zahl der während der dreiwöchigen Offensive Getöteten nach Angaben palästinensischer Ärzte auf mehr als 1300, unter ihnen 400 Kinder. Weitere 5300 Menschen seien verletzt worden. Auf israelischer Seite kamen 13 Menschen ums Leben.
Nach Inkrafttreten der Waffenruhe steigt die Hoffnung, dass sich die Versorgungslage wieder verbessert. Israel hat am Sonntag 200 Lastwagen mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern die Einfahrt in den Gazastreifen erlaubt. Außerdem wurde die Lieferung von 400.000 Litern Treibstoff zugesagt.
Hamas droht
Die radikalislamische Hamas gibt sich derweil weiter kämpferisch. Man werde den Bemühungen Israels und der internationalen Gemeinschaft trotzen sich wiederzubewaffnen. Ein Sprecher des militärischen Arms, der sich vermummt auf einer Pressekonferenz in Gaza präsentierte, sagte, "die heiligen Waffen herzustellen, ist unsere Mission, und wir wissen, wie wir sie beschaffen können". Falls Israel die Truppen nicht innerhalb der gesetzten einwöchigen Frist abziehe, seien "alle Optionen offen".
Israel hatte mit einer Fortsetzung der Offensive gedroht, falls die Hamas ihre Angriffe auf israelisches Gebiet nicht einstelle. Von Ägypten verlangt die Regierung Ehud Olmert, dass es dem Waffenschmuggel durch Tunnel von Ägypten in den Gazastreifen Einhalt gebietet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei einem Nahostgipfel im ägyptischen Scharm el Scheich am Sonntag angeboten, Deutschland werde, wenn nötig, technische Hilfe dazu leisten.
Ägypten will dauerhafte Waffenruhe
Ägypten, das sich gegen die Präsenz ausländischer Beobachter auf seinem Territorium wehrt, lud für Donnerstag Vertreter der israelischen Regierung und palästinensischer Gruppen aus Gaza nach Kairo ein, um dort über einen dauerhaften Waffenstillstand zu verhandeln.
Zunächst sollten parallel laufende Gespräche mit Vertretern beider Seiten geführt werden, teilte der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, Hossam Zaki, mit. Ziel sei es, eine stabile Waffenruhe zu vereinbaren sowie die Schritte festzulegen, die für ein Ende der Blockade des Gazastreifens und die Wiedereröffnung der Grenzübergänge notwendig seien.
Arabergipfel in Kuwait
Die arabischen Staaten setzen derweil darauf, dass die Waffenruhe hält. In Kuwait-Stadt kamen 17 Staats- und Regierungschefs zu einem zweitägigen Gipfeltreffen zusammen, um unter anderem über den Wiederaufbau des Gazastreifens zu beraten.
Erwartet wird, dass bis zu zwei Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden, um die während der dreiwöchigen Offensive angerichteten Schäden zu beseitigen. Kuwaits Machthaber Scheich Sabah al-Ahmad al-Sabah kündigte an, sein Land werde dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA den gesamten Betrag von 34 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen, den es für seine Arbeit im Gazastreifen brauche.
Der "Gipfel für die Solidarität mit dem palästinensischen Volk in Gaza" ist der dritte Araber-Gipfel in fünf Tagen. Er stellt einen weiteren Versuch dar, eine einheitliche Linie unter den arabischen Staaten hinzubekommen, wie auf die israelische Offensive reagiert werden soll. Einige Staaten sind für eine harte Haltung, andere vertreten eine eher moderate Position.
Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh sagte bei der Ankunft in Kuwait, er schlage vor, "alle Beziehungen der arabischen Länder und jede wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Israel" auf den Prüftstand zu stellen. Es müsse eine Blockadepolitik gefahren werden, die etwa auch ein Verbot auf Waffenexporten beinhalte. Ägypten und Jordanien, die diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten, dürften dem nicht zustimmen.
Rund zwei Milliarden Dollar Schaden
Das palästinensische Statistikbüro teilte inzwischen mit, die Schäden, die in den drei Wochen angerichtet worden seien, würden auf rund zwei Milliarden Dollar geschätzt. Mindestens 22.000 private und öffentliche Gebäude seien entweder beschädigt oder zerstört, ließ der Direktor des Büros, Loai Shabaneh in einer Presseerklärung am Montag verlauten. Außerdem seien in der Landwirtschaft unermessliche Schäden entstanden. Etwa 80 Prozent der Anbauflächen seien zerstört. Es werde etwa ein Jahr dauern, so Shabaneh, bis der Wiederaufbau abgeschlossen sei und die Wirtschaft wieder Tritt gefasst habe.
Die Europäische Union teilte in Brüssel mit, solange die Hamas im Gazastreifen am Ruder sei, werde sie sich nicht am Wiederaufbau beteiligen. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sagte, internationale Hilfe könne erst dann geleistet werden, wenn die Fatah von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas auch den Gazastreifen wieder kontrolliere. Die Hamas hatte im Juni 2007 dort die Macht übernommen. (hy)