Wagner-Bücherwahn
18. Februar 2013Man kann es als "Overkill" bezeichnen: Ein Bücherversand im Internet listet mehrere Tausend lieferbare Titel über Richard Wagner. Ein mittelgroßes deutsches Buchgeschäft hat 773 aktuelle deutschsprachige Wagner-Bücher und rund 200 weitere englischsprachige. Ungefähr die Hälfte davon ist 2012/2013 erschienen oder neuaufgelegt. Damit ist jeder Blütenlese-Versuch zur Subjektivität verdammt, wozu sich die Autorin dieser Zeilen offenherzig bekennt.
"Mal eine ordentliche Wagner-Biografie"
Der Wunsch, in diesem Jahr ein informatives Buch zu lesen, das Wahrheiten und Unwahrheiten über das Leben des umtriebigen Komponisten einmal ordnet, wird mehrfach bedient: vom 120-seitigen "Richard Wagner"-Buch von Egon Voss bis zum 400-Seiten starken "Wagner" von Martin Geck, einem der führenden deutschen Musikwissenschaftler.Geck, von dem schon Mozart-, Bach- und Beethoven-Biografien stammen, ist der Überzeugung, es sei unmöglich, Wagner auf die Schliche zu kommen. Und es sei falsch, seine Magie mit banalen Fakten zu entzaubern. Daher muss der Leser lieber bei sich anfangen und die Frage beantworten, "welche Werte und Unwerte" wir durch Wagners Musikdramen in uns aufnehmen. Dabei liefert das Buch ein großartig strukturiertes und umfangreiches Wagnerwissen. Für die mitgeteilten Fakten bürgt der Autor "mit der Seriosität des Wagner-Forschers".Nicht weniger seriös, dennoch wesentlich kürzer, ist das Wagner-Handbuch von Egon Voss. Einer der renommiertesten Wagner-Forscher Deutschlands und langjähriger Editionsleiter der Wagner-Gesamtausgabe beherrscht sein Material so gut, dass er es nicht nur schafft, auf knapp über 100 Seiten nicht nur die Entwicklung des Künstlers von seiner Frühoper "Die Feen" bis zum letzten Werk "Parsifal" darzustellen, sondern auch mit dem einen oder anderen Klischee aufzuräumen. Super für Einsteiger!
Eher abzuraten ist dagegen von zahlreichen Schriften für Wagner-Neulinge, etwa Axel Brüggemanns "Genie und Wahn. Die Lebensgeschichte von Richard Wagner". Der Journalist hat zwar Kinoübertragungen aus Bayreuth zusammen mit Katharina Wagner erfolgreich moderiert und sich im Bereich "Klassik für Kinder" verdient gemacht, ein Wagner-Kenner ist er jedoch nicht. Das Buch strotzt vor Banalitäten. Muss man wirklich 17 Euro bezahlen, um zu lesen: "Einer von Wagners glühenden Anhängern war Adolf Hitler. Er liebte Opern wie Lohengrin und ließ Wagners Musik auf Parteitagen der NSDAP spielen"?
Um es mit Martin Geck zu sagen, muss man nicht "komplexe Vorgänge so lange filtern, bis sie ins schwarze Loch der Abstraktion verschwinden". Dies entspreche "weder Wagners Kunstvorstellungen, noch unserer eigenen Kunsterfahrung". Lieber investiert man eine geringe Summe in die neu aufgelegten Wagner-Klassiker im Taschenbuchformat wie die Wagner-Biographie von Martin Gregor-Dellin oder Jonathan Carrs Familiensaga "Der Wagnerclan".
Wagner im Doppelportrait
Einen Annäherungsversuch an Wagner kann man auch über eine Wagner-Verdi-Vergleichsbiographie versuchen, von denen gleich mehrere erschienen sind. Hatten die beiden Komponisten doch das Pech, im gleichen Jahr geboren zu sein.Die Autorin hat sich ein Buch davon gekauft, nämlich das von Eberhard Straub: "Wagner und Verdi. Zwei Europäer im 19. Jahrhundert". Das Werk enttäuscht nicht. Man erfährt viel über die "Hoffnungen und Brüche" der Epoche, in der beide Jahrhundertgenies agierten. Daher ist im Titel vor allem das Wort "Europäer" zu unterstreichen. Ansonsten kann man nur gemeinsam mit dem Autor darüber staunen, wie die beiden Altersgenossen - bei so vielen Gemeinsamkeiten in ideologischen Ansichten und im Geschmack - dermaßen unterschiedliche, ja gegensätzliche Künstler sind.
Wenn man aber mehr über Wagner - auch als Mensch - erfahren möchte, liest man lieber "Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe" von Kerstin Decker. Es ist die Geschichte einer gegenseitigen Faszination, die im Verrat und Bruch endet. Besonders die eingefleischten Wagner-Fans müssten sich mit dem Thema "Wagner'sche Dekadenz und Wagner'sches Schauspielertum" und Nietzsches Diagnose, "Er hat die Musik krank gemacht", auseinandersetzen. Der große Philosoph war nicht der Einzige, der etwas Krankhaftes an Wagners Werk fand.
Die mit dem Wagner leben
Ein spezielles Genre der Wagnerlektüre bilden die "Mein Wagner"-Bücher. Besonders hier ist das Niveau sehr unterschiedlich, und entscheidend für den Leser ist die Frage, ob speziell der Autor und sein Wagner-Blick ihn persönlich interessieren. Zur Auswahl stehen etwa "Mein Leben mit Wagner" des großen Bayreuth-Dirigenten Christian Thielemann, "Leben mit Wagner" von Joachim Kaiser, dem Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung, oder aber "Mein Wagner: Auf Richards Spuren" von Alexander Busche, den Bayreuth-Insider als ehemaligen privaten Assistenten der Festspielleiterin Katharina Wagner kennen. Letzteres Werk kann man getrost als überflüssig betrachten.
Thielemanns Buch wartet mit launigen und leidenschaftlichen Bekenntnissen zu Wagner auf; Kaisers Buch ist dagegen auch dadurch interessant, dass es von einem bekennenden Nichtwagnerianer stammt: "Unsere Wagner-Liebe leidet an einer Amfortas-Wunde".
Nach so viel ernster Lektüre ist schließlich "Der lachende Wagner" von Joachim Köhler zu empfehlen. Von ihm stammt auch die Wagnerbiografie "Der letzte Titan", die 2001 erschienen ist und seitdem keinesfalls an Aktualität eingebüßt hat. Hier betritt Köhler das heikle Terrain des Wagner-Humors, das "die Forschung wie ein Minenfeld meidet". Warum das so ist, erfährt man beim Lesen des höchst unterhaltsamen Buches. Aber wie es so schön heißt: "Sag mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist!"