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Die "Wahhabitische Republik"

Shamil Shams / ml17. Dezember 2013

Viele Menschen in Pakistan verurteilen die Gewalt der Taliban. Die wahhabitische Lehre, auf die sich die Extremisten auch berufen, findet in dem Land dennoch viele Anhänger.

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Anti-amerikanische Proteste in der pakistanischen Stadt Quetta, 2012 (Foto: AP)
Bild: AP

Die Taliban und ihre Selbstmordanschläge lösen auch in Pakistan bei vielen Menschen Wut und Verachtung aus. Gleichzeitig gibt es jedoch nur wenige Pakistanis, die sich gegen Saudi-Arabien und seine wahhabistische Staatsideologie aussprechen.

Die saudische Stadt Mekka ist einer der Orte, den Muslime weltweit am meisten verehren. Hier befindet sich die Kaaba, die zentrale islamische Pilgerstätte. Schon allein deshalb ist Saudi-Arabien für Millionen Pakistanis ein heiliges Land. Kritik an Saudi-Arabien ist für diese Menschen gleichbedeutend mit Kritik am Islam.

Vor der schiitischen Revolution unter Ajatollah Khomeini im Iran im Jahr 1979 unterhielt der pakistanische Staat sowohl zum Iran als auch zu Saudi-Arabien gute Beziehungen. Nach der Revolution hat er vor allem die Kontakte zu Saudi-Arabien gestärkt. Im gleichen Jahr, 1979, marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. Darum festigten Saudi-Arabien und Pakistan ihr Verhältnis in den 1980er Jahren noch weiter.

Pilger an der Kaaba in Mekka, Saudi-Arabien (Foto: DW/A. Almakhlafi)
Die Kaaba: Ziel von Millionen muslimischer PilgerBild: DW/Almakhlafi

In dieser Zeit wurden beide Länder zu engen Verbündeten der USA. Gemeinsam unterstützten sie die Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan. Auch nach dem Abzug der sowjetischen Truppen blieb Pakistan weiterhin Saudi-Arabien und militanten wahhabitischen Organisationen eng verbunden.

Staatliche Unterstützung

Die meisten terroristischen und dschihadistischen Organisationen in Pakistan haben einen wahhabitischen Ursprung, so Justizminister Iqbal Haider in einem Interview mit der DW.

"Ob sie Taliban oder Laschkar e-Taiba heißen, ihre Ideologie ist ohne jeden Zweifel saudisch-wahhabisch", so Haider. "Und all diese Organisationen bekommen Rückendeckung vom pakistanischen Militär und deren Sicherheitsdiensten." Westliche Staaten beschuldigen vor allem Pakistans militärischen Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence), die Taliban zu unterstützen. Die Vorwürfe seien aber widersinnig, kritisiert Haider, solange der Westen Saudi-Arabien als Hauptgeldgeber der militanten Wahhabiten unerwähnt lasse.

Haider, der im November 2012 starb, war Justizminister im Kabinett der ehemaligen pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto. Bhutto wurde 2007 ermordet, mutmaßlich von pakistanischen Taliban. Haider warf dem ehemaligen Diktator General Zia-ul-Haq vor, während dessen Regierungszeit in den 1980er Jahren wahhabitische Gruppen finanziert und bewaffnet zu haben. Diese sollten dann gegen Minderheiten wie die Schiiten kämpfen, die mit dem Iran sympathisierten. Saudi-Arabien unterstützte diese wahhabitischen Gruppen über General Haq, so Haider, um den iranischen Einfluss Iran in Pakistan zu eliminieren.

Koranschule in Kabul, Afghanistan (Foto: picture alliance)
Koranschulen - wie hier in Afghanistan - können den wahhabitischen Nachwuchs heranziehenBild: picture-alliance / Ton Koene

Die Wurzeln des Wahhabismus

Der pakistanische Historiker Mubarak Ali widerspricht. Er betont, dass der wahhabitische Einfluss auf den indischen Subkontinent so alt sei wie der Wahhabismus selbst.

"Abdul Wahhab, der arabische Salafist und Gründer der wahhabitischen Ideologie, starb im späten 18. Jahrhundert. Wahhabitische Prediger kamen erstmals in den 1880er Jahren ins britische Indien. Sie regten viele indische Muslime dazu an, gegen die Herrschaft der Briten zu kämpfen", erklärt Ali.

Wahhabismus sei in die Psyche vieler Pakistanis eingesickert und habe zu einer "Arabisierung" der Traditionen geführt. "Um die Saudis zu imitieren, sagen die Leute jetzt 'Allah Hafiz' ('Möge Allah dich schützen') anstatt 'Khuda Hafiz' ('Möge Gott dich schützen') und das arabische Wort 'Ramadan' anstelle von 'Ramzan'."

Mittlerweile gefährde der Wahhabismus das Gemeinwesen und die pluralistische indo-pakistanische Kultur - davon zeugten Attacken gegen Heiligtümer und als "unislamisch" wahrgenommene Veranstaltungen wie Musikfestivals.

Shiiten in Pakistan geißeln sich am Festtag Ashura (Foto: AP)
Shiiten geißeln sich - in Pakistan eine MinderheitBild: AP

Viele politische Beobachter glauben, die Angriffe auf die Schreine und Anhänger von Heiligen seien nicht religiös, sondern politisch motiviert. Die weit verbreitete Heiligenverehrung und der mystische Islam bildeten ein Gegengewicht zur extremistischen Auslegung der Religion und stellen die größte Gefahr für den rigiden Wahhabismus dar.

Pluralistisches Erbe

Shoaib Ashraf, Jurist und Menschenrechtsaktivist in der pakistanischen Metropole Karatschi, glaubt, Wahhabiten seien entschlossen, die vielschichtige kulturelle Identität des Landes zu zerstören. "Pakistan kann sich diese Art von Extremismus nicht leisten. Der Staat steht vor vielen Herausforderungen, aber das wird ihm einen irreparablen Schaden zufügen. Pakistan wird es nicht überleben, wenn eine Minderheit der Mehrheit eine extremistische Agenda aufzwingt."

Ashraf fordert, die pakistanische Regierung dürfe wahhabitische Fanatiker nicht mehr unterstützen und müsse stattdessen einen pluralistischen Islam propagieren. Davon würde nicht nur die pakistanische Gesellschaft profitieren, sondern es könnte auch das Image des Landes in der Welt verbessern.