Wahlen als Farce
16. September 2003Bonn, 16.9.2003, DW-radio, Miodrag Soric
In Tschetschenien stehen Wahlen bevor (5.10.), und der Sieger steht bereits fest. Dafür hat der Kreml im Vorfeld gesorgt und seinen Kandidaten unschlagbar platziert. Manipulation als wichtigstes Mittel, seine Interessen in Tschetschenien durchzusetzen, koste es, was es wolle: Das Wichtigste ist, Tschetschenien bleibt Teil Russlands. Dazu ein Kommentar von Miodrag Soric:
Wenn Russlands Präsident Putin die Antwort hat, wozu dann noch Fragen stellen, wie zum Beispiel nach dem zukünftigen Präsidenten Tschetscheniens. Drei Wochen vor den Wahlen steht der Sieger bereits fest: Achmed Kadyrow, der bisherige Statthalter Putins in der Kaukasus-Republik. Alle ernst zu nehmenden Konkurrenten haben ihre Kandidatur zurückgezogen. Der eine wurde zu einem ernsten Gespräch in den Kreml eingeladen und redete anschließend vor der versammelten Presse derart wirres Zeug, dass nur eine Botschaft zu verstehen war: Er ziehe seine Bewerbung zurück.
Ein anderer Präsidenten-Anwärter erhielt Morddrohungen und dankte ab. Wieder ein anderer Bewerber tönte unlängst noch großspurig, dass ihn nur eine Kugel von der Kandidatur abhalten könne. Die "Kugel", die ihn dann traf, hieß Wladimir Putin. Der Kreml-Chef hatte vor wenigen Tagen den Kandidaten Aslambek Aslachanow zu einem Treffen gebeten. Anschließend beförderte Putin den Gast zum Berater für Kaukasus-Fragen. Die Liste dieses bemerkenswerten Kandidaten-Schwunds ließe sich fortsetzen. Hier nur soviel: Der einzige ernstzunehmende Politiker, der jetzt in Tschetschenien zur Wahl antritt, ist der besagte Achmed Kadyrow.
Das alles wäre nicht so schlimm, wenn Kadyrow der Mann wäre, der die öffentliche Ordnung in Tschetschenien wiederherstellen und den Menschen zumindest ein wenig Hoffnung auf Frieden und Sicherheit machen könnte. Genau das aber ist nicht der Fall. Die Tschetschenen fürchten inzwischen die Übergriffe der Leibgarde von Kadyrow mehr als die russische Soldateska. Menschenrechtler werfen Kadyrows Privatarmee brutale Übergriffe auf Zivilisten und politische Gegner vor. Tschetschenische Rebellen, die ihre Waffen niedergelegt haben, werden gezwungen, bei Kadyrows Schergen "Dienst zu tun". Wer die Verfolgung der Übergriffe fordert, wird bestenfalls ausgelacht. Und diese Streitkraft wird im Bedarfsfall dafür sorgen, dass die Auszählung der Stimmen bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen keine Überraschungen bringt. Der Sieger kann nur Kadyrow heißen. Wie sagte einst der Kaukasier Stalin: Es kommt nicht darauf an, wer wie wählt. Es kommt vielmehr darauf an, wer wie auszählt.
Was bedeuten unter diesen Vorzeichen die Wahlen in Tschetschenien für die Menschen im Kaukasus? Der Krieg wird weitergehen, vielleicht mit noch größerer Brutalität. Präsident Putin hat schon längst erkannt, wie korrupt und unfähig die russische Armee ist. Sie vermag das Gebiet im Süden Russlands nicht zu befrieden. Also sollen sich, so die zynische Schlussfolgerung, die Tschetschenen untereinander bekriegen: Hauptsache Tschetschenien bleibt ein Teil Russlands.
Was bedeuten die Wahlen in Tschetschenien für Russland? Das größte Land der Erde ist noch lange keine Demokratie. Diese wird allenfalls simuliert. Der Wille des Volkes spielt keine Rolle, weder im Kaukasus noch im übrigen Russland. In wenigen Monaten - im Dezember - sollen die Russen eine neues Parlament wählen. Bereits jetzt steht fest, welche Partei den Sieg davon tragen wird: die Partei Putins. Die elektronischen Medien sind schon längst gleichgeschaltet. Wahlforscher, die Ergebnisse vorlegen, die dem Kreml nicht passen, werden frühzeitig pensioniert.
Bleibt die Frage, weshalb der Westen die Augen vor den Missständen verschließt? Letztlich aus außenpolitischen Gründen. Russland unter Putin ist für die Amerikaner ein zuverlässiger Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Russland unterstützt die Amerikaner bei ihrem Bestreben, Nordkorea das umstrittene Atomprogramm auszureden. Russland drängt den Iran zur Kooperation mit der Internationalen Atomenergie-Behörde und ist auch hier an der Seite Washingtons. Russland versucht im Nahost-Konflikt mäßigend auf die Akteure einzuwirken. All das sind für den amerikanischen Präsidenten George W. Bush gute Gründe, die Russen nicht zu verprellen - etwa indem er sie auf Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aufmerksam macht.
Und Europa? Europa ist zumindest in der Russland-Politik ganz auf der amerikanischen Linie. Leider. (lr)