Spanien: Hat Sánchez sein riskantes Spiel verloren?
22. Juli 2023In Valencia, der drittgrößten Stadt Spaniens, läuft gerade ein politisches Experiment: Im vergangenen Monat, nach Regionalwahlen, in denen die regierende Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) landesweit eine Klatsche einstecken musste, schloss sich die rechts von der Mitte verortete konservative spanische Volkspartei (PP) mit der aufstrebenden rechtspopulistischen Partei Vox zu einer Regierungskoalition zusammen.
Eine Machtbeteiligung der Rechten auf regionaler Ebene ist also nichts Neues in Spanien, doch nachdem der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez die Parlamentswahlen auf den vergangenen Sonntag (23. Juli) vorgezogen hat, gibt die Stadt an der Ostküste Spaniens einen Vorgeschmack darauf, was jetzt auf nationaler Ebene passieren könnte. Denn aktuell beanspruchen die Konservativen die Regierungsmacht für sich. Ob sie wirklich regieren können, ist noch unklar, denn dafür fehlt ihnen die absolute Mehrheit - die Regierungsbildung dürfte sich entsprechend in die Länge ziehen.
Damit kommt es fast so wie in Umfragen vorhergesagt. Die letzten Umfragewerte vor dem Wahltag zeigten eine PP, die komfortabel vor den Sozialisten in Führung lag, für eine absolute Mehrheit jedoch die Unterstützung von anderen Parteien benötigt. Möglich wäre eine Koalition mit der Partei Vox - die benötigte, Mehrheit hätten die Konservativen damit aber auch noch nicht zusammen; PP und Vox kommen gemeinsam auf 169 Parlamentssitze, würden aber 176 benötigen.
Rechtsruck in vielen europäischen Ländern
Noch ist also nicht ganz klar, ob es in Spanien den von vielen befürchteten Rechtsruck oder vielleicht doch eher Neuwahlen geben wird. Falls doch, dann würde das Land einem Trend folgen, der bereits in anderen europäischen Ländern zu beobachten war. So stieg auch in Italien, Finnland, Schweden und Griechenland bei den vergangenen Parlamentswahlen die Unterstützung für rechte Parteien.
Die spanische Partei Vox wurde 2013 gegründet und zog 2019 erstmals in das spanische Parlament ein. Mit ihrer kompromisslosen Haltung zu sozialen Fragen und zur Einwanderung baute die Partei ihre Unterstützung stetig aus.
Manch einem der Spaziergänger auf der Uferpromenade von Valencia machen diese Aussichten große Sorge. "Es ist Irrsinn, das Schlimmste, was diesem Land passieren könnte", meint eine Frau mit klaren Ansichten zu einer PP-Vox-Koalition auf Landesebene im Gespräch mit der DW.
Die Gegner von Vox kritisieren häufig die ultrakonservative Einstellung der Partei in sozialen Fragen. "Sie möchten das Abtreibungsgesetz abschaffen, das Gesetz zur Sterbehilfe. Sie behaupten, es gäbe keine geschlechtsspezifische Gewalt", sagt eine junge Frau aus Madrid gegenüber der DW. "Das alles macht mir wirklich Angst."
Die von Sánchez geführte Regierung hat eine ganze Reihe sozial fortschrittlicher Maßnahmen zum Beispiel zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt durchgesetzt, das Sexualstrafrecht verschärft, die Änderung des Geschlechtseintrags erleichtert und die Abtreibungsbestimmungen gelockert.
Vox hingegen ist das genaue Gegenstück zur Sozialpolitik der Regierung unter Sánchez: Die Partei möchte unter anderem das Transgender-Gesetz rückgängig machen, spricht sich entschieden gegen Einwanderung aus, kritisiert die Europäische Union und stellt die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel in Frage.
Doch nicht jeder auf der Uferpromenade von Valencia fürchtet eine Koalition aus PP und Vox. "Mir macht das Hoffnung" sagt ein Passant. "Das Modell von Valencia wäre sicherlich eine gute Lösung für das ganze Land."
Unterwegs im Wahlkampf
Auch wenn sogenannte "Kulturkampf"-Themen (Geschlechtergerechtigkeit, gleichgeschlechtliche Ehen und der Umgang mit Spaniens faschistischer Vergangenheit) in den Vordergrund rückten, wurde der Wahlkampf doch von wirtschaftlichen Themen dominiert, sagt Omar Encarnacion, Experte für spanische Politik und Professor am Bard College in den Vereinigten Staaten.
Laut einer Umfrage des Centro de Investigaciones Sociologicas (CIS), einem staatlichen Forschungsinstitut, sind den spanischen Wählern insbesondere die Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, politische Probleme im Allgemeinen, die Gesundheitsversorgung und die Qualität der verfügbaren Arbeitsplätze wichtig.
Das Land mit 47 Millionen Einwohnern litt schwer unter der Corona-Pandemie und spürt deren Auswirkungen noch immer. In keinem anderen Land der EU ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie in Spanien. Im Mai lag sie bei 12,7 Prozent.
Um seine Parteibasis zu mobilisieren, hat Sánchez in den Wochen vor der Wahl versucht, die Ängste der gemäßigten Wähler vor den Gefahren einer rechten Koalition zu schüren. Ein Grund für das Vorziehen der Wahlen - die eigentlich für Ende des Jahres angesetzt waren - war der Plan, die Linke schnell zu vereinen, erklärt Encarnacion.
Feijóo hat den Regierungsstil des fotogenen, international beliebten Ministerpräsidenten - die PP spricht von "Sanchismo" - scharf kritisiert. Der Vorsitzende der Konservativen warf Sánchez vor, den Wahlkampf auf seine Person auszurichten und bei wichtigen Themen immer wieder seine Meinung zu ändern. In einer Rede behauptete er, Sánchez habe seine Karriere darauf aufgebaut "mit jedem alles zu vereinbaren, um an die Macht zu kommen und dort zu bleiben, und dabei bei wichtigen Fragen zu lügen".
Führende Politiker des rechten Flügels kritisierten Sánchez zudem für seine Zusammenarbeit mit Vertretern der katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsbewegungen, um bestimmte Vorhaben durch das Parlament zu bekommen. Die Begnadigung von neun inhaftierten Anführern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung im Jahr 2021 brachte ihm ebenfalls heftige Vorwürfe von PP und Vox ein.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.