Wahlen in Usbekistan: Grenzenlose Macht für Mirsijojew?
8. Juli 2023Staatschef Schawkat Mirsijojew hat eine klare Begründung parat, wenn es darum geht, warum in dem zentralasiatischen Staat Usbekistan am 9. Juli erneut gewählt werden muss: Es ginge um nichts weniger als dringende politische, soziale und wirtschaftliche Reformen angesichts komplexer globaler und regionaler Herausforderungen. Die Wahl folgt auf ein Referendum, mit dem am 30. April wesentliche Änderungen an der Verfassung des Landes vorgenommen wurden. Sie sehen eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre vor und erlauben es Mirsijojew, seine beiden bisherigen Amtszeiten nicht mitzurechnen. Dies ermöglicht ihm, im Falle einer Wiederwahl mindestens bis 2037, also zwei weitere Amtszeiten, zu regieren.
Laut Temur Umarov vom Carnegie Center for Russian and Eurasian Studies in Berlin, will Mirsijojew mit den Wahlen seine Macht festigen. "Die Regierung des Präsidenten war alarmiert über die Proteste in Karakalpakstan, die es während der zweiten Amtszeit von Mirsijojew gab. Man will, solange er in der Gesellschaft eine gewisse Popularität genießt, diese Unterstützung auch rechtlich festmachen", so der Experte im Gespräch mit der DW.
Im Juli 2022 kam es in Nukus, der Hauptstadt der usbekischen Autonomen Republik Karakalpakstan, zu Massenprotesten. Sie richteten sich gegen den Versuch der Staatsmacht, mit einer Verfassungsänderung die Autonomie der Region abzuschaffen. Bei den Unruhen starben 18 Menschen und 243 wurden verletzt. Als Reaktion auf die Proteste versicherte Präsident Mirsijojew, dass er die Verfassungsartikel bezüglich der Autonomie nicht ändern werde, mit Ausnahme von Artikel 73 über die Grenzen Karakalpakstans.
Wer sind die Kandidaten für das Präsidentenamt in Usbekistan?
Für die Wahlen am 9. Juli wurden von den Parlamentsparteien des Landes vier Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes nominiert. Die Liberaldemokratische Partei stellte Schawkat Mirsijojew erneut als Kandidaten auf. Der 65-Jährige wurde bei der vorgezogenen Wahl im Jahr 2016 zum ersten Mal Präsident. Damals erhielt er nach Angaben der Behörden 88,6 Prozent der Stimmen und bei der folgenden Wahl im Oktober 2021 dann 80,1 Prozent.
Kandidat der Demokratischen Volkspartei ist Ulugbek Inojatow, stellvertretender Vorsitzender des gesetzgebenden Unterhauses des usbekischen Parlaments. Die Sozialdemokratische Partei "Adolat" (deutsch: Gerechtigkeit) hat Robachon Machmudow, den ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs Usbekistans, aufgestellt. Die Ökologische Partei unterstützt die Kandidatur von Abduschukur Chamsajew, des Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Zentralrats der Partei.
Überraschungen werde es bei der Wahl nicht geben, betont der unabhängige Politologe Rafael Sattarow mit Gespräch mit der DW. "Das ist die tristeste Wahl in der Geschichte des Landes. Die Menschen wissen außer Mirsijojew nicht einmal von den anderen Kandidaten. Man wird ihre Namen sofort wieder vergessen. Von einer Opposition kann keine Rede sein", so Sattarow.
Temur Umarov fügt noch hinzu, dass Mirsijojew gegenüber anderen Kandidaten einen erheblichen Vorteil hat: "Er genießt die Unterstützung des Volkes und der Parteien. Alle Parlamentsparteien erklären offen, dass ihre Ansichten voll und ganz mit Mirsijojews Politik übereinstimmen", so der Experte.
Usbekistan vor und nach Mirsijojew
Im September 2016, unmittelbar nach seinem Amtsantritt, begann Mirsijojew mit der Umsetzung sozialer und wirtschaftlicher Reformen und bemühte sich, nicht mit dem Hardliner-Regime seines verstorbenen Vorgängers Islam Karimow in Verbindung gebracht zu werden, mit dem er 13 Jahre lang als dessen Kabinettschef zusammengearbeitet hatte.
Eine der wichtigsten Reformen von Mirsijojew als Präsident war die Liberalisierung der Währungspolitik, die erhebliche Hindernisse für ausländische Investitionen und den Außenhandel beseitigte. Gemäß einem Dekret vom September 2017 begann die Zentralbank, den Wechselkurs des usbekischen Som auf der Grundlage der Ergebnisse des Devisenhandels festzulegen. Dadurch entstand ein Markt mit offenem Wettbewerb und mehr Möglichkeiten für Handel und Währungsumtausch sowie für den freien Geldverkehr mit dem Ausland. Zuvor waren Exporteure verpflichtet, Devisenerlöse an den Staat zu verkaufen, und Unternehmen mit ausländischer Beteiligung konnten ihre Gelder teilweise über Monate hinweg nicht ins Ausland transferieren.
Als Präsident gelang es Mirsijojew auch, die außenpolitische Isolation Usbekistans, die sich in den Jahren der Herrschaft Islam Karimows entwickelte, zumindest teilweise zu überwinden. Mirsijojew schaffte es insbesondere, die Beziehungen zu den Nachbarländern Kirgisistan und Tadschikistan zu verbessern. Darüber hinaus hält Mirsijojew im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kontakt zur Bevölkerung. "Das Format, den Präsidenten über persönliche Seiten in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Telegram anzusprechen, ist sehr beliebt", sagt Temur Umarov.
Die usbekische Gesellschaft wünscht sich Veränderung
Allerdings weisen die von der DW befragten Experten auch auf Herausforderungen hin, vor denen das Land noch steht. Korruption und Machtmissbrauch gehörten zu den größten Problemen, betont Rafael Sattarow. Dies sei aber in Usbekistan nichts Neues, schreibt er in einem im Mai veröffentlichten Beitrag für die US-Denkfabrik Carnegie Politika. "Neu ist vielmehr eine Atmosphäre größerer Offenheit, mit der Mirsijojew in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft die Sympathie der Gesellschaft für sich zu gewinnen versuchte", so Sattarow.
Unter Karimow hätten die Menschen schlechter gelebt und sie hätten sich nicht beschweren können. Mirsijojew habe, um seine Popularität zu steigern, mit einer Reform-Rhetorik in der Gesellschaft hohe Erwartungen geweckt. "Jetzt muss er auch liefern", meint Sattarow. In der Gesellschaft bestehe nämlich die Erwartung, dass die Staatsmacht die Reformen gemäß den zuvor angekündigten Zielen fortsetzen wird, betont der Experte.
Er stellt fest, dass der Wunsch der Öffentlichkeit nach Veränderung nun im Widerspruch zu den Absichten von Mirsijojew selbst steht, "dessen Flirts mit mehr Demokratie und Offenheit ihn nun daran hindern, seine Macht zu festigen".
"Die usbekische Staatsmacht ist sich dessen bewusst, dass diese Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und dem Präsidenten weiter zunehmen wird. Deshalb beeilt man sich, Mirsijojews Amtszeiten neu festzulegen und ihn so schnell wie möglich wiederzuwählen, jetzt aber für sieben statt für fünf Jahre", erläutert Sattarow.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk