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Wahlkampf-Endspurt - Kopf an Kopf

Johanna Schmeller22. Januar 2013

Schachzug bei der FDP, Scheinerfolg der SPD und neue Rivalität der deutschen Parlamentskammern: Die niedersächsische Landtagswahl hat den Bundestagswahlkampf spannender gemacht.

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Angela Merkel und Per Steinbrück (Foto: AFP/ Johannes Eisele)
Bild: Getty Images

"Der Bundesrat ist das Langweiligste gewesen, was man hat erfinden können", meinte Klaus Schütz, der regierende Bürgermeister im Berlin der Siebzigerjahre - und lange traf das zu: Politische Entscheidungen fielen im Bundestag durch die gewählten Volksvertreter und jene zweite Parlamentskammer, in der Vertreter der 16 deutschen Landesregierungen sitzen, übte eine weitgehend nominelle Kontrollfunktion aus.

Der Bundesrat als "Veto-Kammer"

In den vergangenen zehn Jahren wurde der Bundesrat jedoch immer wieder zur Veto-Kammer, die den Gesetzesprozess verlangsamt oder sogar blockiert - dann nämlich, wenn die Mehrzahl der Landesregierungen und die Bundesregierung nicht derselben politischen Couleur angehörten. Seit dem Wahlsieg der rot-grünen Koalition vom vergangenen Sonntag (20.01.2013) gibt es zum ersten Mal seit 1999 wieder eine linke Mehrheit im Bundesrat: Neun der 16 deutschen Bundesländer werden nun von SPD-Ministerpräsidenten regiert. 44 von 81 Millionen Bundesbürgern leben damit in sozialdemokratisch geführten Ländern, und unter einer christdemokratischen Kanzlerin.

Prof. Werner Weidenfeld (Foto: Presse CAP)
Prof. Werner Weidenfeld: "Bundespolitisch gefärbte Dramatik"Bild: CAP LMU München

"Es ist zu erwarten, dass die Machtposition der Opposition in den nächsten Monaten über den Bundesrat ausgespielt wird", erklärt Werner Weidenfeld, Leiter des Münchner Centrums für angewandte Politikforschung. "Die beiden politischen Lager treten damit in eine gleichberechtigte Verhandlungsposition auf Augenhöhe."

Keine Freifahrt für die SPD

Den partieinternen Zustand der Sozialdemokraten bewertet der Experte dagegen kritisch: "In Niedersachsen hat die SPD das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte erzielt", so Weidenfeld. "In der Wahlnacht hat sich die SPD zwar als Wahlsieger feiern lassen, doch wenn sie die Fakten sehen: Das war ein reiner Scheinerfolg."

Ganz anders steht es um den grünen Koalitionspartner. In den letzten Monaten haben die Grünen konstant gute oder zumindest konstante Wahlergebnisse erzielt. Über ihre Großthemen - Energie, Klima, Umwelt - hätten sich die Grünen seit dem Unglück von Fukushima Kontinuität verschafft, erklärt Weidenfeld: "Das ist nicht das schnelle Auf und Ab, das sie etwa bei den Piraten sehen."

Stephan Weil (Foto: Carsten Koall/Getty Images)
Jubelnder "Schein-Sieger": SPD-Mann Stephan Weil nach Verkündung des niedersächsichen WahlergebnissesBild: Getty Images

Philipp Röslers Gesellenstück

Ein weiterer klarer Gewinner der Wahlnacht ist Philipp Rösler: "Gute Politiker und gute Schauspieler haben eines gemeinsam, sie müssen gehen, solange das Publikum noch klatscht", zitiert die größte deutsche Nachrichtenagentur den FDP-Bundesvorsitzenden - und das bereits im Jahr 2009. Drei Jahre später hat Rösler sein damaliges Credo am vergangenen Sonntag eindrucksvoll in die Tat umgesetzt: Auf den Wahlerfolg in Niedersachsen reagierte er mit der Andeutung seines Rücktritts - und wird im Amt bestätigt. Der Nachweis politischen Talents meint Experte Weidenfeld: Philipp Röslers Karriere sei "faktisch schon beendet" gewesen, bis er zurückgefunden habe, dank taktischer Wähler und einer "Riesen-Rochade, Brüderle ein Amt anzubieten, dass der so aus dem Stegreif natürlich auch nicht übernehmen kann".

Mehr Drama? Mehr Wahlbeteiligung!

Zumindest in Hinblick auf die Wahlbeteiligung im September könnten sich Röslers One-Man-Show und die neue Rivalität der Parlamentskammern nun als Vorteil erweisen: Während der öffentliche Diskurs in Italien, Frankreich, Polen oder auch Lateinamerika durch schillernde Kandidaten meist Monate im Vorfeld angeheizt wird, entscheiden sich Studien zufolge rund 15 Prozent der Deutschen überhaupt erst auf dem Weg zur Wahlurne. Über 70 Prozent der stimmberechtigten Bürger geben an, dass sie keinen großen Unterschied zwischen Parteien mehr feststellen könnten. "Isoliert betrachtet war der Landtagswahlkampf in Niedersachsen langweilig. Die Wahlbeteiligung wäre deutlich niedriger gewesen, wenn nicht das bundespolitische Spannungselement hinzugekommen wäre", so Weidenfeld. "Doch es gab diese bundespolitisch gefärbte Dramatik, und genau so wird man auch bei den Bundestagswahlen eine einigermaßen hohe Wahlbeteiligung erzielen: Über Wochen wird man sich fragen, wer die Mehrheit hat. Und Kopf-an-Kopf-Rennen sind immer spannend."