Wandert die deutsche Industrie in die USA ab?
18. März 2023Firmen aus Deutschland lieben Amerika: Rund 5600 von ihnen investieren laut Angaben der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in den US-Markt. Das entspricht einem Investitionsvolumen von fast 650 Milliarden US-Dollar (Stand: September 2022). Es sind nicht nur die großen Konzerne wie Siemens, Volkswagen oder Linde, die zurzeit ihr Engagement in den Vereinigten Staaten verstärken - zum Teil sogar mit komplett neuen Produktionsstätten.
"Dafür gibt es unterschiedliche Gründe", sagt Dirk Dohse, Experte für internationalen Wettbewerb am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) gegenüber der DW. "Ein Grund ist die Zunahme geopolitischer Spannungen. Die USA erscheinen vielen deutschen Firmen als 'sicherer Hafen'. Weitere Gründe sind die vergleichsweise niedrigen Energiepreise und die sehr großzügigen Subventionen im Rahmen des Inflation Reduction Act."
Inflation Reduction Act (IRA) lockt Unternehmen
Der Inflation Reduction Act (IRA) ist ein milliardenschweres Subventionsprogramm der US-Rgierung um Präsident Joe Biden und - trotz des Namens - weniger der Inflationsbekämpfung, sondern vor allem dem Klimaschutz gewidmet. Von den rund 430 Milliarden Dollar, die der IRA-Topf insgesamt bereitstellt, sind 370 Milliarden für die Förderung CO2-sparender Technologien und der Energiesicherheit vorgesehen, der Rest soll in die Gesundheitsvorsorge fließen.
Die Subventionen und Steuergutschriften sind allerdings daran geknüpft, dass profitierende Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. So erhält beispielsweise der Käufer eines amerikanischen Elektroautos, dessen Batterie ebenfalls in den USA hergestellt wurde, eine Prämie von rund 7500 Dollar. Windräder oder Solaranlagen mit US-Komponenten werden ebenfalls gefördert, akzeptabel aus amerikanische Sicht sind auch Vorprodukte aus Ländern, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben - etwa Mexiko oder Kanada.
Unternehmen reagieren bereits
Durch die Förderpläne der US-Regierung im Rahmen des IRA gibt es beispielsweise bereits Verzögerungen oder drohende Stopps von Batteriewerken für Elektroautos in Deutschland - etwa bei Tesla in Grünheide bei Berlin oder dem schwedischen Unternehmen Northvolt, das eigentlich in Heide (Schleswig-Holstein) eine Fabrik errichten und nun wohl zunächst in den USA investieren will.
Alarm also für den Standort Deutschland? "In der Tat ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Wertschöpfung in Deutschland seit 2016 rückläufig. Wir kommen allerdings auch von einem hohen Niveau. Eine flächendeckende Deindustrialisierung sehe ich allerdings nicht", sagt Wettbewerbsexperte Dohse.
Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sind bereits bei US-Präsident Joe Biden vorstellig geworden und haben vor Wettbewerbsverzerrungen für europäische Unternehmen gegenüber der US-Konkurrenz durch die üppigen US-Subventionen gewarnt.
Bereits kurz danach wurde bekanntgegeben, dass auch Brüssel mit einem grünen Industrieprogramm kontern und den EU-Staaten künftig mehr Freiheiten für eigene Subventionen geben will.
Gefahr einer Subventionsspirale
Ökonomen halten diese Konfrontation für gefährlich. "Ich denke nicht, dass wir in das Rennen um Subventionen einsteigen sollten", sagt IfW-Forscher Dohse. "Letztendlich geht es um das Geld der Steuerzahler. Man muss sich gut überlegen, ob sich das längerfristig für die Gesellschaft auszahlt."
Es sei zwar höchst unerfreulich, wenn innovative Unternehmen etwa im Bereich der 'Green Technologies', die mit deutschen beziehungsweisen europäischen Steuergeldern hochgepäppelt worden seien, durch Subventionen in die USA gelockt würden. "Weitere Steuergelder hinterherzuwerfen ist aber nicht die Lösung." Man könne allerdings darüber nachdenken, einzelne Förderprogramme des Bundes für junge Unternehmen an eine gewisse Standorttreue zu knüpfen, meint Dohse.
Standort Deutschland: Lob und Tadel von US-Unternehmen
Wenn also viele deutsche Unternehmen verstärkt in den USA investieren, um von den IRA-Subventionen zu profitieren, wie bewerten dann umgekehrt international tätige US-Unternehmen den Standort D?
"Europas größte Volkswirtschaft bleibt für viele US-Firmen ein wichtiger und attraktiver Standort", sagt Simone Menne, Präsidentin der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland (AmCham Germany), auf Anfrage der DW. "Die vielen sehr gut ausgebildeten Fachkräfte, dichte Infrastrukturnetze, erstklassige Fach- und Hochschulen, eine große politische Stabilität, die starke Präsenz im EU-Markt und andere Faktoren sind wichtige Argumente für Investitionen in Deutschland."
Allerdings klingt das alljährliche Transatlantic Business Barometer, dessen aktuelle Ausgabe am 16.März veröffentlicht wurde, weniger optimistisch. Laut dieser Umfrage der AmCham Germany unter US-Unternehmen in Deutschland verschlechtert sich die Standort-Bewertung 2023 das dritte Jahr in Folge.
Gaben in der Business Barometer-Umfrage im Vorjahr 59 Prozent der hier tätigen US-Unternehmen dem Standort ein "gut oder sehr gut", sind es 2023 nur noch 34 Prozent. Gelobt werden zwar die Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (94 Prozent), der Zuliefernetzwerke (68 Prozent) und die Forschung und Entwicklung (68 Prozent). Dass der Standort Deutschland sich aber in den nächsten drei bis vier Jahren verbessern wird, erwarten lediglich 38 Prozent der US-Unternehmen, 2022 waren es noch 43 Prozent.
Hohe Energiepreise schrecken ab
Tatsache ist aber auch, dass viele der befragten US-Unternehmen in Deutschland 2022 einen Anstieg beim Umsatz (68 Prozent), bei den Beschäftigten (42 Prozent) sowie bei den Investitionen (42 Prozent) verbuchen konnten. Für das Jahr 2023 erwarten 53 Prozent der Befragten steigende Umsätze und ebenso viele geben an, sie ihre Aktivitäten in den kommenden drei bis vier Jahren ausbauen zu wollen.
In Deutschland sehen sie Nachteile bei den Kosten für Arbeit, bei der digitalen Infrastruktur und im Fachkräftemangel. Am stärksten aber kritisieren sie die auch im internationalen Vergleich hohen Energiepreise - auch schon vor Beginn des von Russland angezettelten Kriegs in der Ukraine. "Sie spielen eine wichtige Rolle bei Standortentscheidungen, gerade von energieintensiven Unternehmen", sagt AmCham-Präsidentin Menne. Der Standort müsse daher umso stärker mit anderen Fakten überzeugen und gerade bei Fachkräftesicherung, Bürokratieabbau und breiter Digitalisierung besser werden. "Das hilft nicht nur, um Investitionen aus den USA anzuziehen", glaubt Menne.
IfW-Ökonom Dohse verweist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung von Apple: Der US-Technologieriese will demnächst sein Chip-Design-Zentrum in München mit einer weiteren Milliarde Euro ausbauen. "Wenn Deutschland klug in Forschung, Bildung und Infrastruktur investiert, statt Steuergelder für Subventionen zu verschwenden", so Dohse, "wird der Standort auch in Zukunft für ausländische Investoren attraktiv sein".