Warum Putin und Lukaschenko eine Drohung an Polen richten
25. Juli 2023Wie reagiert Polen auf die Drohungen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko? Bei dem Treffen zwischen den beiden Präsidenten am 23. Juli in St. Petersburg erklärte der belarussische Präsident, dass die in seinem Land untergebrachten Söldner der Wagner-Gruppe Druck machten und nach Westen gehen wollten. "Lasst uns einen Ausflug nach Warschau und Rzeszow unternehmen", zitierte Lukaschenko die Söldner.
Worüber haben Putin und Lukaschenko gesprochen?
Das "Thema Polen" hatte Putin bereits am 21. Juli angesprochen. Auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrats legte er seine Sicht der polnischen Geschichte dar. Demnach wolle die polnische Führung "unter dem Schirm der NATO" direkt in den Konflikt in der Ukraine eingreifen und die westlichen Regionen des Nachbarlandes an sich reißen. Für Belarus hege Polen ähnliche "Träume", so Putin.
Während des Treffens mit Putin verdeutlichte Lukaschenko auf einer Karte "die Verlegung polnischer Truppen an die Grenze des russisch-belarussischen Unionsstaates". "Eine der Brigaden steht 40 Kilometer von Brest entfernt. Die zweite wird etwas mehr als 100 Kilometer von Grodno entfernt stehen. In Rzeszow wird ein Flugplatz aktiviert, wohin die Amerikaner und andere Ausrüstung liefern, die dann auf polnisches Territorium verlegt wird", sagte Lukaschenko Putin vor laufender Kamera.
Was hat all das zu bedeuten?
Der belarussische Politikexperte Valery Karbalevich glaubt, dass Putin und Lukaschenko vor allem über die Unterbringung von Wagner-Söldnern auf belarussischem Territorium gesprochen haben. Die Drohungen gegen Polen seien inszeniert. Lukaschenko habe damit deutlich machen wollen, dass Wagner-Söldner nach Polen stürmen wollten, aber er sie aufhalte. "Das war die wichtigste Szene, die der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte", so Karbalevich.
Ryhor Nizhnikau, Senior Research Fellow am Finnish Institute on International Affairs, hatte den Eindruck, dass bei dem Treffen "alles wie nach einem Drehbuch ablief". Weil Lukaschenko zwei Tage nach dem Aufstand von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschins wahrscheinlich "zu viel geplappert" habe, habe er wohl Schelte aus Moskau bekommen und sich daraufhin "innerhalb eines Rahmens" geäußert, "den ihm der Kreml gesetzt hat", so Nizhnikau.
Warum der verbale Angriff auf Polen?
Die Experten sind sich sicher, dass Polen aufgrund der Unterstützung für die Ukraine ein weiterer "kollektiver Feind Russlands" geworden ist: Nicht nur Militärausrüstung werde über Polen geliefert, das Land bestehe auch auf neuen Sanktionen gegen Russland und sei zudem ein starker Befürworter der Integration der Ukraine in die EU und die NATO.
"Polen grenzt an Belarus und die Ukraine. Wenn wir von einer Gefahr durch die Wagner-Söldner sprechen, dann wäre es komisch, sie auf die USA, Deutschland oder Frankreich zu beziehen. Sie sind weit weg. Was Litauen und Lettland angeht, so sind es kleine Länder, aber Polen ist ein ernster Gegner", erläutert Karbalevich.
Darüber hinaus versuche Putin auf diese Weise dem russischen Publikum zu zeigen, "wie geschickt er alle wieder einmal übertrumpft hat", fügt der Experte hinzu.
"Prigoschins Aufstand hat Putin schwer traumatisiert. Er stand als Schwächling vor der Öffentlichkeit da, der gezwungen war, mit einem Schwergewicht einen Waffenstillstand auszuhandeln. Danach war es für ihn wichtig, dieselben Mittel gegen seine Gegner einzusetzen. Die Wagner-Gruppe, die Russland Probleme bereitet hat, wurde nach Belarus verlegt, um Polen zu bedrohen. Putin ist sein Problem elegant losgeworden und hat es zugleich gegen seinen Feind eingesetzt", meint Karbalevich.
Aber vor allem versuche Russland mit seinen Drohungen gegen Polen, die Unterstützung für die Ukraine zu verringern, glauben die Experten. "Im Herbst finden in Polen Parlamentswahlen statt. Sowohl Putin als auch Lukaschenko versuchen, sie zu beeinflussen, auch mit Drohungen, damit die Wähler in die 'richtige' Richtung schwenken, nämlich zu den Kräften, die im Wahlkampf sagen, dass die Rolle Polens im Krieg falsch sei und man von ihr abrücken müsse, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern", sagt der finnische Experte Nizhnikau.
Nur eine PR-Aktion?
Karbalevich sieht in Lukaschenkos und Putins Treffen eine PR-Aktion. "Dies ist eher eine Informations-Attacke und Erpressung und weniger eine echte Gefahr, weil die Wagner-Söldner noch weit von der polnischen Grenze entfernt sind. Laut westlichen Geheimdiensten gibt es nur etwa 3500 von ihnen in Belarus. Es gibt aber Pläne, bis zu 10.000 dorthin zu verlegen. Das wäre immer noch keine gefährliche Anzahl", so der Experte.
Darüber hinaus bezweifelt Karbalevich, dass Prigoschin und seine Söldner heute jedem Befehl Putins folgen würden. Die Ereignisse im Juni hätten gezeigt, dass es sich um eine unabhängige Struktur handele, "die sich nur dann auf irgendwelche Abenteuer einlässt, wenn es für sie von Vorteil ist".
Nizhnikau glaubt, dass die Drohung der Wagner-Söldner, Polen anzugreifen, nur dann funktionieren würde, wenn sie nicht real umgesetzt werde. "Wenn Wagner-Söldner heute plötzlich Polen angriffen, würde von ihnen wohl nichts mehr übrig bleiben", meint der Experte.
Sollte die Drohung jedoch wahr werden, dann wären die Folgen unvorhersehbar, da es ein Angriff auf ein NATO-Land wäre. In der Geschichte der Nordatlantischen Allianz wurde Artikel 5 des Vertrags, wonach ein Angriff auf ein NATO-Mitglied ein Angriff auf alle ist, nur einmal angewandt, nämlich nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001.
"Wenn ich Lukaschenko wäre, würde ich aufpassen, und keine Wagner-Söldner nach Polen schicken, da sich der Kreml sofort von ihnen lossagen würde. Die Antwort würde Belarus abkriegen. Es könnte eine militärische Intervention in Belarus geben. Ich glaube nicht, dass Lukaschenko, wenn er von einem Blatt Papier abliest und Putin listig ein Lächeln unterdrückt, ernsthaft glaubt, dass dies passieren könnte. Sollte es aber dazu kommen, würde Lukaschenko das erste Opfer dieses Abenteuers sein", so Nizhnikau.
Versteckte Botschaft an Putin
Polen hat unterdessen den russischen Botschafter ins Außenministerium bestellt und den russischen Behörden vorgeworfen, feindselige Propaganda zu betreiben. "Polen beabsichtigt auf keinen Fall, die Ukraine oder Belarus zu erobern", erklärt Kamil Klysinski vom Zentrum für Oststudien in Warschau. Warschau bereite sich nur auf die Verteidigung vor, so der Experte. Er ist sich sicher, dass die Wagner-Söldner keine Kontrollpunkte an der polnisch-belarussischen Grenze angreifen würden, weil ihnen dazu schwere Waffen und Ausrüstung fehlten.
Dennoch berge die Präsenz der Söldner in Belarus gewisse Risiken für Polen, meint Klysinski und fügt hinzu: "In erster Linie sind das aber Risiken für Lukaschenko, und er weiß das." Hinter dem von Lukaschenko angedrohten "Ausflug" der Wagner-Söldner nach Polen verberge sich eine Bitte an Putin, er möge mit dieser Gruppe in Belarus etwas tun. "Ich glaube nicht, dass Lukaschenko mit ihrer Präsenz in Belarus glücklich ist. Lukaschenko will alles kontrollieren, besonders im Sicherheitsbereich. Und die erfahrenen Söldner sind schwer zu kontrollieren", erläutert Klysinski.
Sowohl Lukaschenko als auch Putin wüssten das. Der Experte glaubt, dass genau dies das Hauptthema des Gesprächs war: "Es ist sehr schwierig, die Wagner-Söldner mit ihren Fähigkeiten, mit ihrer, gelinde gesagt, spezifischen Lebensweise an Ort und Stelle zu halten. Die größte Herausforderung ist: Wie wird Belarus die Wagner-Söldner wieder los?"
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk