Die Musik lebt weiter
26. Dezember 2016Leider geht der Tod auch an prominenten Künstlern nicht vorbei. Allerdings hat sich mit den Jahrzehnten das Genre, aus dem sie kommen, verändert und die Art und Weise, wie sie aus dem Leben scheiden.
In den 1980er Jahren sterben viele Musiker aus dem Jazz- Blues- und Klassikbereich in einem Alter, in dem der Tod nicht überraschend kommt. Bei den Pop-Ikonen, die in den 80ern das Zeitliche segnen, verhält es sich anders: Sie sterben auf unterschiedlichste Weise - und zumeist nicht eines natürlichen Todes. Die berühmtesten sind John Lennon, der 1980 ermordet wird, im gleichen Jahr AC/DC-Sänger Bon Scott (nach einer durchzechten Nacht tot im Auto aufgefunden), Joy Division-Sänger Ian Curtis, der sich mit 25 Jahren erhängt.
Ein Jahr später stirbt Reggae-Ikone Bob Marley an Krebs. Marvin Gaye wird 1984 von seinem Vater erschossen, Metallica-Bassist Cliff Burton kommt bei einem Unfall mit dem Tourbus ums Leben. Queen-Sänger Freddie Mercury erliegt 1991 seiner Aids-Krankheit. Kurt Cobain erschießt sich 1994, Falco hat 1998 einen tödlichen Autounfall im Kokainrausch.
Nachrufe als Indizien
Dass die prominenten Todesfälle in der letzten Zeit zunehmen, ist nicht zu leugnen. Das hat auch der für Nachrufe verantwortliche Redakteur der BBC, Nick Serpell, beobachtet. Serpell bereitet für den Sender die Nachrufe vor, für berühmte Persönlichkeiten, die der Tod in naher Zukunft ereilen könnte, aufgrund des Alters oder einer schweren Krankheit. Er musste feststellen, dass sein Ausstoß an Nekrologen in den letzten Jahren rapide angestiegen ist.
Für die jüngsten, häufigen Todesfälle in der Musikszene hat er eine Erklärung: Große Pop- und Rockstars gibt es erst seit guten 60 Jahren. Es sind 1940er, 50er, 60er Jahrgänge, die langsam in ein Alter kommen, in denen man - um es salopp zu sagen - anfälliger für den Tod ist. Und eben diese Jahrgänge waren auch besonders geburtenstark, sie werden auch "Baby Boomer-Jahrgänge" genannt. Die brachten im Verhältnis zur "normalen Bevölkerung" mehr Persönlichkeiten hervor, die später berühmt wurden. Und diese Persönlichkeiten im Alter von 50+ sterben uns jetzt weg.
Musiker haben eine kürzere Lebenserwartung
Hinzu kommt eine weitere Erkenntnis, die Dianna Theadora Kenny, Professorin für Musik und Psychologie an der Universität von Sydney gewonnen hat. Sie hat die Tode von mehr als 12.600 bekannten Musikern zwischen 1950 und 2014 untersucht (Alter, Geschlecht, Todesursache) und herausgefunden, dass die Lebenserwartung eines männlichen Rockstars, gemessen am restlichen Teil der US-Bevölkerung, um ganze 25 (!) Jahre geringer ist.
Ein Vierteljahrhundert also kostet es jemanden, der diese hochexplosive Mischung aus Glamour, Reichtum, Rebellion, Party, Druck und Kreativität mit den oft damit einhergehenden psychischen Problemen und betäubenden Substanzen lebt.
Warum der Club 27 nicht das ist, nach was er aussieht
Nachdem Kenny ihre Ergebnisse ausgewertet hat, konnte sie mit einem hartnäckigen Mythos aufräumen: Dem Club 27. Die kleine Gruppe von Musikern, die im Alter von nur 27 Jahren gestorben sind, der man nachsagt, es liege ein Fluch auf diesem Alter - alles reiner Zufall.
Der Mythos des Club 27 erklärt sich allein durch seine Mitglieder: Jedes einzelne ist eine Kultfigur. Jimi Hendrix, der Gitarrengott. Jim Morrison, der ungestüme Trotzkopf. Janis Joplin, die zugedröhnte Bluesröhre. Kurt Cobain, zwischen Wahnsinn und Genialität - und Amy Winehouse, das Soultalent der 2000er. Allesamt wurden von ihrer Generation verehrt - und wenn solche Idole sterben, werden ihnen Altäre errichtet. Bis heute.
Der wirklich relevante Club müsste Kennys Ergebnissen zufolge "Club 56" heißen. Denn das ist das Alter, in dem nach ihren Untersuchungen die meisten Rockmusiker abtreten. In dem von Kenny festgelegten Zeitraum starben 239 Musiker im Alter von 56 Jahren, aber nur 144 starben mit 27 Jahren.
Mit Lemmy, Bowie und Prince sind innerhalb von kurzer Zeit drei Musiker gestorben, die nicht nur diejenigen beeindruckt haben, die mit ihnen aufgewachsen sind. Sondern die mit ihren Ideen nachhaltig die Pop- und Rockmusik beeinflusst haben. Und deswegen kennen sie sehr viele Menschen rund um den Globus.
Kollektivtrauer im Netz
Den Rest besorgen die sozialen Netzwerke. Facebook hat 1,7 Milliarden Nutzer. Wenn ein bekannter Mensch stirbt, verbreitet sich die Nachricht im Netz wie ein Lauffeuer - und die Kommentare ebenso. Wenn die Komikerin Carolin Kebekus nach dem Tod von Prince etwas von einer "geilen Band, die sich Gott da oben gerade zusammenstellt" erzählt, haben den gleichen Gedanken schon zig andere Leute in anderen Sprachen gehabt und geteilt. Wenn Zeitungen wie der "Tagesspiegel" etwas von einem "Jahr, in dem die Musik stirbt" schreiben, klingt es herrlich dramatisch. Im Grunde ist eine solche Formulierung jedoch nur ein reißerischer Satz, der ausdrückt, was viele empfinden. Ist er erst mal im Umlauf, dann verbreitet er sich so lange, bis er zur vermeintlichen Tatsache wird.
Die Musik - und das tröstet - stirbt jedoch nicht mit dem, der sie erschaffen hat. Warum wohl spielen große Orchester noch Sinfonien von Mozart und Beethoven? Die Musik von Prince, Michael Jackson oder Kurt Cobain wird genau so wenig sterben. "Space Oddity" von David Bowie, "Bohemian Rhapsody" von Freddy Mercury oder "Hallelujah" von Leonard Cohen sind Jahrhundertsongs. Auch heute tummeln sich in der Popszene Musiker, die mit großem Talent ausgestattet sind; überall auf der Welt werden Kinder geboren, die vielleicht später einmal als Musikgenie gefeiert werden, weil sie Musik für die Ewigkeit geschrieben haben. 2016 war kein "böses, hinterhältiges Jahr für die Musik". Nur ein trauriges für die Fans.