Türkei: Kommunalwahlen als Lackmustest
30. März 2019Die ersten Wahlen während einer schweren Wirtschaftskrise
Recep Tayyip Erdogan und seine AKP sind vor bald 17 Jahren unter anderem an die Macht gekommen, weil viele türkische Wähler damals den etablierten Parteien einen Denkzettel verpassen wollten. Grund hierfür war eine schwere wirtschaftliche Krise, die das Land 2001 heimgesucht hatte. Erdogan stand damals für einen Aufbruch. Danach ging die AKP aus jeder Wahl siegreich hervor - meistens mit absoluter Mehrheit.
Doch die Kommunalwahlen am kommenden Sonntag könnten einen Wendepunkt sein. Denn im vergangenen Jahr nahmen die wirtschaftlichen Probleme der Türkei erneut spürbar zu. Nicht nur Anhänger der Opposition machen Erdogan dafür verantwortlich. Auch AKP-Anhänger sehen in der Politik des Staatspräsidenten einen wesentlichen Grund für die Misere. Denn es zeigte sich, dass "die fetten Jahre" für viele in der Bevölkerung ein jähes Ende fanden.
In nur einem Jahr verlor die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar ungefähr um 40 Prozent an Wert. Im selben Zeitraum verdoppelte sich zudem die Inflation. Sie liegt aktuell bei 20 Prozent. Das türkische Wirtschaftswachstum sinkt zudem kontinuierlich. Derzeit wird nur noch 2,6 Prozent ausgegangen. Zum Vergleich: 2017 hatte die Wirtschaft noch um 7,4 Prozent zugenommen. Auch die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei 11 Prozent. In konkreten Zahlen bedeutet es, dass etwa 3,5 Millionen Menschen ohne Beschäftigung sind. Das ist der höchste Wert seit fast 10 Jahren.
Anstatt sinnvolle volkswirtschaftliche Gegenmaßnahmen einzuleiten, behauptet die Regierung Erdogan, dass "westliche Mächte" für die Lage verantwortlich sind und die Türkei dadurch "wirtschaftlicher Gewalt" ausgesetzt sei. Auch wenn der Präsident vollmundig verkündet, die Krise werden nach den Wahlen ein Ende finden - viele Wirtschaftsexperten sehen das anders: Sie vertreten die Ansicht, dass die aktuellen Probleme nur die Spitze des Eisberges sind. Der Abwärtstrend könnte also noch zunehmen.
Kommunalwahlen, die sich wie Parlamentswahlen anfühlen
Kommunalwahlen sind bislang nie auf sonderlich großes Interesse bei den Türken gestoßen. An diesem Sonntag wird das voraussichtlich anders sein. Präsident Erdogan versucht, die Kommunalwahl zur Schicksalsfrage hochzustilisieren: "Wenn die AKP geht, dann zerbricht das Land!"
Gleichzeitig verteufelt er die Oppositionsparteien und wirft ihnen "Terrorismus" vor. Einzelner Mitglieder der prokurdischen HDP sind bereits als "Terror-Unterstützer" verurteilt. Ihnen wird Kollaboration mit der verbotenen PKK vorgeworfen. Dies ist für Erdogan ein Grund, die gesamte Opposition und deren Anhänger unter Generalverdacht zu stellen.
Das kommt bei vielen im Land allerdings nicht gut an. Die Stimmen gegen Erdogan werden lauter, sodass der Staatspräsident seine Äußerungen relativierte und nicht mehr auch noch die Oppositionsanhänger als "Terroristen” bezeichnete, sondern nur noch die Parteien selber. Was allerdings keinen großen Unterschied macht.
Die AKP könnte die Macht in den Großstädten verlieren
Die letzten Umfragen zeigen, dass die AKP in den Großstädten Istanbul und Ankara ihre Vorherrschaft an die Opposition abgeben könnte. Besonders einen eventuellen Verlust der Bosporus-Metropole Istanbul, wo einst Erdogans politische Laufbahn begann, deuten viele Politikwissenschaftler als symbolischen Untergang. Für wie wichtig Erdogan und die AKP die Bürgermeisterwahl in Istanbul halten, wird deutlich durch den prominenten Kandidaten, mit dem sie dort antreten: Es ist Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim.
Etwa neun Millionen Wahlberechtigte gibt es in Istanbul, die nach Angabe der Demoskopen unentschieden sind zwischen Yildirim und dem Gegenkandidaten Ekrem Imamoglu von der CHP. Sollte die CHP tatsächlich gewinnen, wäre das eine besonders große Schlappe für die erfolgsverwöhnte AKP.
Deutlicher ist der Trend in der türkischen Hauptstadt Ankara. In Umfragen lieferten sich dort die beiden Kandidaten der AKP und der CHP zunächst ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch in den vergangenen Tagen zeigte sich, dass der Herausforderer der CHP Mansur Yavaş in der Wählergunst vor dem amtierenden Bürgermeister Mehmet Özhaseki von der AKP liegt und der Abstand weiterhin konstant bleibt. Der mögliche Machtverlust in beiden, auch wirtschaftlich wichtigsten Städten der Türkei, hätte Signalwirkung für den Rest des Landes.
Erdogans Drohungen für die Periode nach den Kommunalwahlen
Knapp drei Wochen vor den Kommunalwahlen ein Ermittlungsverfahren gegen Yavaş wegen Amtsmissbrauchs anzustrengen, zeigt nach Ansicht von Kolumnisten, wie groß die Befürchtung Erdogan ist, das Ruder in der türkischen Hauptstadt abgeben zu müssen. Auch wenn es kaum Beweise gegen den Oppositionskandidaten gibt, versucht Erdogan auf Wahlveranstaltungen Yavaş zu diskreditieren und verunglimpft diesen als "Steuerhinterzieher" und "Schuldschein-Akrobaten".
Eine Taktik, die Erdogan bereits im Osten Anatoliens oftmals angewandt hat. Er warf demokratisch Gewählte Volksvertretern anderer Parteien "Terrorismus" vor, die Beschuldigten kamen vor Gericht, 40 von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt und ihre Kommunen unter Zwangsaufsicht gestellt. Auch Yavaş Weg könnte bei einem Wahlerfolg nicht ins Bürgermeisterbüro sondern ins Gefängnis führen.
Lackmustest für ein neues System
Nach der weitreichenden Änderung zum Präsidialsystem, sind nun erstmals wieder die türkischen Wähler gefragt. Im vergangenen Jahr war es das große Ziel Erdogans, unter allen Umständen die Präsidentenwahl zu gewinnen. Dieser Sieg wurde allerdings nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 5 Prozent erreicht.
Demoskopen gehen davon aus, dass die AKP bei den Kommunalwahlen herbe Verluste erleiden wird. Sie gelten als Lackmustest für den Präsidenten und dessen Politik. Um seine macht fürchten muss Erdogan dennoch vorerst nicht: Die nächste Präsidentenwahl ist erst in vier Jahren.