Ausharren im Bombenhagel von Ost-Ghuta
22. März 2018In Ost-Ghuta waren vor Beginn der Militäroffensive des Regimes Mitte Februar rund 400.000 Menschen eingeschlossen. Seitdem haben Zehntausende die Rebellenhochburg verlassen. Doch viele Menschen schwanken zwischen Gehen und Bleiben und wägen die ihnen verbleibenden Optionen ab. So auch Tarik. Er lebt in Duma, der größten Stadt in der von den Rebellen zwar gehaltenen, aber von der syrischen Armee umstellten und eingeschlossen Enklave Ost-Ghuta. "In Duma leben, das fühlt sich an wie russisches Roulette spielen", sagt Tarik, der seinen wahren Namen nicht nennen möchte.
"Ich weiß nicht, auf welcher Bombe mein Name steht"
Tarik hat zwei Söhne unter drei Jahren. Für sie treibt er Tag für Tag Lebensmittel auf. Das unnachgiebige Bombardement hat aus alltäglicher Routine eine lebensbedrohliche Aufgabe gemacht. "Ich weiß nicht, auf welcher Bombe mein Name steht", sagt Tarik, während im Hintergrund deutlich Explosionen zu hören sind.
Seit einem Monat verfolge ich nun Tariks Geschichte. In Telefongesprächen, Text- und Sprachnachrichten berichtete er vom Leiden seiner Familie. Und von seiner Verzweiflung, das Allernötigste für sie herbeizuschaffen, während sie im Bombenhagel Schutz in einem unterirdischen Lager suchen. Und doch weigerte er sich zu gehen. "Unser Zuhause verlassen, das hieße, alles aufzugeben, was wir je aufgebaut haben", erzählt er.
"Besser unter den Rebellen sein"
Bis zum Ausbruch des Aufstands 2011 war Tarik erfolgreicher Geschäftsmann. Mit dem Import von Baustoffen aus der Türkei und China verdiente er zwischen 5.000 und 7.000 Euro im Monat. Die von der syrischen Regierung im Mai 2013 verhängte Blockade sperrte ihn buchstäblich in seiner eigenen Stadt ein. Nun arbeitet er als Bildungs-Berater für den Stadtrat, der von westlichen Staaten im Rahmen mehrerer Hilfsprogramme gegründet wurde. Damit bringt er es monatlich auf etwa 70 Dollar - wenn ihm das Gehalt denn komplett ausgezahlt wird.
Trotz dieser finanziellen Härten, trotz des täglichen Kampfs ums Überleben in der Allgegenwart des Todes: Tarik zieht es weiterhin vor, unter den Rebellen zu leben. "Die Rebellen sind besser als das Regime", sagt er. "Das Regime bringt jeden um. Und mit Sicherheit würde sie auch mich umbringen, sobald ich Duma verließe."
Die, die wie Tarik die Politik der Rebellen vorziehen, hegen tiefes Misstrauen gegenüber Präsident Assad. Ihnen ist klar, dass sie mit einer harschen Antwort von Assads Baath-Partei rechnen müssen, weil sie über Alternativen zu deren Herrschaft nachgedacht haben.
Und selbst wenn er nicht exekutiert wird, fürchtet Tarik so zu enden, wie seine Freunde aus Aleppo. Sie seien zur Flucht aus ihrer Stadt gezwungen worden und lebten nun unter großen Entbehrungen. 2016 wurden die Rebellen - samt ihrer Familien und Unterstützer - in Bussen von Aleppo nach Idlib gebracht. So war es in einem Evakuierung-Abkommen vereinbart worden. Dies sah auch einen Waffenstillstand vor. Doch die Assad-Trupppen bombardierten Idlib und hatten offenkundig vor, es zurückzuerobern.
In Damaskus, nahe der Frontlinie zwischen Regime und Aufständischen, erzählt Maher eine ganz andere Geschichte. Auch er möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Maher lebte in Jobar, einer Stadt in Ost-Ghuta und einem Vorort von Damaskus. Anfang 2012 packte Maher alles zusammen und zog in die Hauptstadt, um seine Familie davor zu bewahren, ein "Kollateralschaden" der Kämpfe zu werden.
"Wir flohen rechtzeitig. Nun aber kommen die Leute nicht mehr weg, weil die Rebellen sie nicht ziehen lassen", erzählte er mir, als ich Ende des vergangenen Jahres in Damaskus unterwegs war.
Die Zivilisten als Spielball?
Die Rebellengruppen untermauern ihre Forderungen nach einem politischen Wechsel mit Verweisen auf Assads Exzesse. Würden die Zivilisten die Rebellengebiete verlassen, befürchten die Aufständischen, dass ihre Rufe nach einem internationalen Eingreifen gänzlich auf taube Ohren stoßen. Auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge sieht darin einen Grund, warum sich so viele Flüchtlinge verstecken, anstatt nach Damaskus zu marschieren.
Tarik vermutet eine Strategie hinter den gleichzeitigen Luft- und Bodenoffensiven. Demnach stünde dahinter die Absicht des Regimes, die Menschen gewaltsam zu vertreiben und das ganze mit der Bezeichnung Not-Evakuierungen zu versehen. Widerstand zu leisten, darin sieht Tarik keine Option mehr. 80 Prozent von Ost-Gutha werden von der Regierung kontrolliert. Damit sei das Ergebnis der Kämpfe schon absehbar.
Kaum Hoffnung
Fast einen Monat, nachdem der UN-Sicherheitsrat mit Zustimmung Russlands für einen Waffenstillstand votierte, ist der Blutzoll erneut angestiegen. Und das Assad-Regime scheint abermals einen Sieg auf dem Schlachtfeld eingefahren zu haben.
"Ich denke nicht, dass den Aufständischen eine Chance auf Sieg bleibt", sagt Aron Lund, Syrien-Analyst der Century Foundation. "Was würde Siegen denn auch bedeuten? Die Kontrolle über ihre Enklave zu halten und so das Ganze zu wiederholen." Ohne die Aussicht auf Frieden im gesamten Syrien scheint Ost-Ghutas Schicksal besiegelt.
Tarik fordert weiterhin Tag für Tag sein Glück heraus. In der Hoffnung, den Fliegern zu entkommen, die Zerstörung über seine Stadt regnen lassen. Seine letzte Hoffnung ist eine internationale Intervention: "Wenn ihr mir nicht glaubt", sagt Tarik, "dann schickt Beobachter aus Deutschland, Norwegen, aus neutralen Ländern, und seht, was hier passiert."
Doch er glaubt nicht daran, dass Hilfe kommt. Und seine Entschlossenheit, so scheint es, sie schwindet: "Wenn die Armee nach Duma eindringt, werde ich fliehen müssen. Der Tod erscheint mir wahrscheinlicher als Frieden und Sicherheit." Das sagte Tarik an diesem Montag. Kurz darauf hastete er davon. Wieder ein Luftalarm. Es könnte das letzte Mal gewesen sein, dass ich von Tarik gehört habe.