Rechtsruck in Israel
9. Februar 2009Laut den neuesten Umfragen kurz vor den Knesset-Wahlen könnte die ultrarechte Beitenu-Partei, zu deutsch: "Unser Haus Israel", die drittstärkste im neuen israelischen Parlament werden. Gerade einmal 10 Jahre ist sie alt, ihren Aufstieg verdankt sie vor allem den russischen Stammwählern. Im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen 2009 hat der Partei-Vorsitzende Avigdor Liebermann vor allem auf nationalistisch-zionistische Äußerungen gesetzt.
Schnelle Integration…
Die "russischen Juden" – ein stark vereinfachender Terminus für alle jüdischen Immigranten aus der früheren UdSSR - machen mittlerweile mir rund einer Million Menschen knapp ein Fünftel der jüdischen Bevölkerung in Israel. Die Mehrheit kam im Zuge der großen Russischen Alijah, der russischen Einwanderungswelle nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gekommen. Allein die Anzahl machte sie schnell zum politischen Faktor, mit dem die israelischen Stammparteien von nun an rechnen mussten.
Aber sehr schnell wurde diese Gruppe auch politisch aktiv und hat mit Nachdruck ihre Interessen vertreten. Das sei in Israel die erste Gruppe gewesen, die nicht aus der Opposition heraus ihren politischen Einfluss entfaltet habe erklärt Lou Bohlen von der Ruhr-Universität Bochum: "Sie begannen Mitte der 1990er Jahre relativ schnell, sich politisch zu organisieren, zu etablieren und dann an der Regierung zu beteiligen", erzählt die Bohlen, die über das historisch-politische Bewusstsein der „russischen“ Einwanderer in Israel forscht.
Dieser Einfluss macht sich auch schon im israelischen Alltag bemerkbar: so haben die russischen Einwanderer bereits erreicht, dass mittlerweile auch nicht-jüdische Familienmitglieder auf jüdischen Friedhöfen begraben werden dürfen, wenn sie für den israelischen Staat gefallen oder durch einen Selbstmordanschlag umgekommen sind. Auch haben sie einige zionistische Tabus aufgebrochen und in vielen Bereichen Diskussionen angeregt, zum Beispiel über die Frage, wer in Israel als Jude gilt. Denn ein geschätztes Drittel der russischen Immigranten gilt gemäß dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, nicht als jüdisch.
... aber nur im notwendigen Maß
In Israel ist das Verhältnis zu der großen russischen Einwanderergruppe zwiegespalen: Einerseits sind sie willkommen, weil diese Einwanderung für Israel zahlreiche demographische und wirtschaftliche Vorteile bringt, denn mehr als die Hälfte von ihnen ist Akademiker. Andererseits sind viele der russischen Immigranten keine gläubigen Juden und ihre Identität in ihrem Herkunftsland tief verwurzelt. Das hält Lou Bohlen für ein entscheidendes Merkmal der russischen Einwanderungswelle.
Die russischen Immigranten seien zwar ganz bewusst nach Israel eingewandert, aber sie seien sich weiterhin sehr bewusst, woher sie kämen, erklärt die Expertin. "Da spielt auch das Selbstbewusstsein, ein erheblicher Stolz auf die russische Kultur, ihr Kulturgut, ihre Sprache und die russische Literatur eine Rolle", sagte sie. "Zu Hause sprechen sie russisch, sie bewegen sich in russischen Kreisen. Das heißt nicht, dass sie keinen Kontakt zu den anderen Israelis hätten. Aber das Prinzip ist so israelisch wie nötig, so russisch wie möglich.“
Russische Läden, wo man problemlos unkoscheres Schweinfleisch oder Schalentiere kaufen kann, Theateraufführungen auf Russisch oder spezielle Buchläden – eine Art russische Parallelwelt gehört heutzutage zu Israels Realität. Der scheinbare Widerspruch: Obwohl die russischen Einwanderer in ihrer Mehrheit nicht religiös oder in sowjetischer Tradition atheistisch eingestellt sind, wählen die meisten Israels rechte und religiöse Parteien.
Das Erbe der Geschichte
Bei diesem Spagat spiele die kollektive Geschichtserfahrung mit, die die „Russen“ in ihre neue Heimat bringen, meint Lou Bohlen. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutet für manche, die Geschichte habe gezeigt, dass die Sowjetunion, die Kommunisten „Unrecht hatten“. Dass diese gesamte Aufarbeitung dazu führte, dass alles, was mit sozialistisch oder sozialdemokratisch im Namen politisch antrat, für diese Russen aufgrund ihrer Erfahrung oder ihrer behaupteten Erfahrung nicht mehr wählbar schien. Die Geschichte ist aber auch im Spiel, denn nichtsdestotrotz legt die ältere Generation großen Wert darauf, den ehemals sowjetischen Nationalfeiertag den Siegestag am 9. Mai zu feiern.“
Ein weiterer wichtiger Faktor ist das ausgeprägte Sicherheitsdenken. Jedoch basiert es bei den russischen Juden nicht auf der religiösen Sorge um den Staat Israel, sondern ebenfalls auf der anderen Erfahrung aus der Sowjetunion: „Diese Menschen kommen erfahrungsmäßig aus einem Großreich, wenn man so will, aus der Sowjetunion, Post-Sowjetunion. Jetzt sind sie plötzlich in einem Land, was innerhalb von wenigen Stunden durchreisbar ist. Hier ist das Bewusstsein: wenn wir in so einem kleinen Land leben, dann sind wir ungeheuer bedroht. Wir müssen uns verteidigen, wir müssen uns schützen und wenn wir nicht hochrüsten, dann sind wir verloren. Mit dieser Haltung bewegen sie sich im rechten Spektrum der politischen Landschaft Israels.“
Gerade in Sicherheit- und Verteidigungsfragen gegenüber den umliegenden arabischen Staaten seien die russischen Einwandere leicht anzusprechen, meint Lou Bohlen. Und hier holt sie die ultrarechte Beitenu-Partei ab. Im jüngsten Wahlkampf kündigte ihr Chef Avigdor Lieberman bereits an, israelische Städte mit hoher arabischer Bevölkerung zerschlagen zu wollen. Auch sämtliche jüdische Siedlungen will er behalten.
Lieberman hat von Gaza-Krieg profitiert
Solche Forderungen kommen bei Israels Russen an, erzählt Alla Dvorkin, selbst Immigrantin aus Russland. Sie glaubt, dass das etwas mir der ehemaligen Sowjetunion und dem Erbe der verschwundenen Heimat zu tun hat. Ihrer Meinung nach sind viele ihrer Landsleute mit der Vorstellung von einem starken Staat, der die Völker zusammenhalten kann, aufgewachsen: "Deswegen unterstützen sie Lieberman, in dessen Wahlprogramm Macht und Gewalt eine große Rolle spielen", erklärt sie.
Alla Dvorkin distanziert sich ausdrücklich davon. Doch bei vielen ihrer Landsleute hat Lieberman mit seinem explizit anti-arabischen Wahlkampf Erfolg. Diese nationalistische Position gegenüber den Palästinensern erklärt sich Alla Dvorkin unter anderem mit einer Art "Kulturarroganz": "Der Chauvinismus und Hass gegenüber den Arabern, die in Liebermans Aussagen so offensichtlich sind, imponieren den Einwanderern aus der Ex-Sowjetunion deswegen, weil bei vielen Menschen eine Art Abneigung gegenüber alles Orientalische existiert", sagt sie, schränkt aber ein: "Das ist meine persönliche Theorie."
Im Vorfeld der Wahlen schien sie sich jedoch zu bestätigen: Liebermanns Beitenu-Partei hat Umfragen zufolge ordentlich zugelegt kann möglicherweise die Zahl ihrer Mandate von bislang elf auf bis zu 19 erhöhen. Die 1999 gegründete Partei würde damit erstmals drittstärkste Kraft im Parlament werden.