Virale Videos sind gefährlich - für Tiere
29. März 2016Es gibt da dieses eine virale Video, das fast jeder kennt. Darin sieht man ein kleines, flauschiges Äffchen mit riesigen Augen, das auf einem Bett liegt und die Arme nach oben streckt. Es scheint zu genießen, dass sein Besitzer es kitzelt. Und die Netzgemeinde glaubt genau das. Leider täuscht der Eindruck. Dem Äffchen, einem Slow Lori, auch Plumplori genannt , macht es überhaupt keinen Spaß, gekitzelt zu werden.
"Das ist eine Verteidigungsposition", erklärt Louise Musing von Netzwerk Traffic, das den Wildtierhandel überwacht. "Die Tiere haben eigentlich große Angst. Aber wenn man das nicht weiß, sieht es natürlich niedlich aus." Die Tiere heben ihre Arme, um eine Drüse am Arm zu erreichen, die einen Giftstoff enthält, so Musing. Mit dem Gift will sich das Äffchen gegen den Menschen verteidigen. "Das ist nichts anderes als Folter für sie."
Das Video, um das es hier geht, wurde bei YouTube sechs Millionen Mal gesehen. Und es reiht sich in eine Reihe anderer Videos mit anderen dieser Äffchen, darunter ein rehäugiges Exemplar, das eine Banane isst, ein anderes verspeist klebrigen Reis, ein weiteres spielt mit einem Cocktailschirmchen. Zusammen wurden sie Abermillionen Mal gesehen. Für die Tiere ist das alles andere als gut.
Natürlich gibt es Unterschiede bei den Lori-Arten, aber Slow Loris werden auf der IUCN-Liste der bedrohten Arten als gefährdet oder vom Aussterben bedroht gelistet. Der grenzüberschreitende Handel mit ihnen ist seit 2007 im Rahmen des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES) verboten. Dennoch steigt der Handel teilweise ungebremst an, getrieben durch ihre Online-Popularität.
"Das Ganze setzt sich seit 2009 wie ein Schneeballsystem fort", sagt Musing. "Und heute sind die Leute einfach daran gewöhnt, diese Arten in den Sozialen Netzen zu sehen." Sie führt eine ganze Reihe von #link:http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0022050:Studien# an, nach denen Menschen glauben, Tiere seien weniger gefährdet, wenn sie außerhalb ihres natürlichen Lebensraum gezeigt werden. Und diese Tiere sind dann auch gefragte Haustiere.
"Unsere Wahrnehmung der Slow Loris hat sich komplett gewandelt. Niemand hatte eine Ahnung davon, was das eigentlich für Tiere sind, und nun werden sie völlig aus dem Kontext gerissen. Niemand versteht mehr, dass es sich dabei um wilde Tiere handelt, die ganz und gar nicht als Haustier geeignet sind."
Schwache Äffchen
Slow Loris sind sogar ganz besonders anfällig für Stress. Im Zusammenhang mit ihnen gibt es den Vergleich mit Schnittblumen, sie halten nicht lange durch, wenn sie in Gefangenschaft leben müssen. Zumal ihre Zähne oft entfernt werden, um einem giftigen Biss vorzubeugen. Viele sterben schon beim Transport. Ein Beispiel: 1993 sollten 102 Zwergloris zum Zoo in Ho-Chi-Minh-Stadt gebracht werden. Den Transport überlebten, laut einer #link:http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0069215:Studie# unter dem Titel "Zu Tode gekitzelt", 80 Prozent der Tiere nicht.
Tiere, die es in ihr neues Zuhause schaffen, halten in der Regel allerdings auch nicht lange durch. Selbst die erfahrensten Tierhalter mit den besten Absichten könnten sich nicht annähernd gut genug um die Tiere kümmern, sagen Umweltschützer. Oft sind aber schlicht die Haltungsbedingungen schlecht, die Käfige zu klein oder die eigentlich nachtaktiven Tiere gezwungen, tagsüber aktiv zu sein. Außerdem ist die Ernährung oft falsch. Die Tiere fressen vor allem Nektar und Baumharz, und das gibt es nicht so einfach im Zoogeschäft.
"Sie bekommen meistens vor allem Pellets und Bananen. Ein bisschen Obst ist sicherlich in Ordnung, aber eben nur in geringen Mengen wegen des hohen Zuckeranteils", sagt Musing. Laut einer #link:http://static1.1.sqspcdn.com/static/f/1200343/26823826/1454074800957/2016Jan29_Article_2.pdf?token=KHvaLITXasjfbJ0BPzoPiF0N3wg%3D/:Studie#, die sie über den Slow-Lori-Handel in Japan durchgeführt hat, wo die Tiere sehr beliebt sind, leiden viele der Tiere dort an Diabetes und haben Herzprobleme.
Die anderen Betroffenen
Der Markt für exotische Tiere ist allerdings nicht auf den Handel mit Slow Loris beschränkt. Es ist nicht ganz einfach, den Wert des weltweiten Handels mit Wildtieren zu ermitteln. Schätzungen gehen aber von 30 bis 40 Milliarden Dollar (27 bis 36 Milliarden Euro) pro Jahr aus, die umgesetzt werden. Fischerei und Holzhandel werden nicht mit kalkuliert. Rund 22 Prozent davon entfallen auf die Nachfrage nach exotischen Tieren, sagt Tom Moorhouse, ein Biologe von der Wildlife Conservation Research Unit (WildCRU) an der Oxford University.
Vögel, darunter Papageien, sind laut CITES die meistgehandelten Tiere, gefolgt von Reptilien und Säugetieren. Aber Reptilien- und Säugetierarten sind eher in der freien Wildbahn bedroht. Allerdings geben Umweltschützer zu bedenken, ist es schwer, konkrete Zahlen zu ermitteln, weil das Geschäft nun einmal im Untergrund stattfindet. Zucht in Gefangenschaft ist eine weitere Möglichkeit, die Nachfrage zu befriedigen. Eine Alternative ist diese Methode allerdings nicht wirklich, weil auch sie frische Exemplare aus der freien Wildbahn braucht, um das Zuchtprogramm variabel zu halten, heißt es in einer #link:http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/cobi.12240/suppinfo:Studie zum weltweiten Handel# mit exotischen Tierarten.
Das Fangen in der Wildnis geht kaum ohne Kollateralschäden ab. Um Vögel in der freien Natur fangen zu können, bringen Händler manchmal klebriges Harz auf Bäume auf, das Federn und Gliedmaßen beschädigen kann. In anderen Fällen wurden die Flügel mit einem Clip versehen, um die Tiere am Wegfliegen zu hindern. Bei Menschenaffen fallen Elterntiere den Wilderern zum Opfer, die es auf die Jungen abgesehen haben.
"Es ist einfacher, sie zu zähmen, wenn man sie fängt, bevor sie sechs Monate alt sind", sagt Noga Shanee von der Organisation Neotropical Primate Conservation in Peru. Auch das Land hat mit einem florierenden Handel mit exotischen Tieren zu kämpfen. "Sie bringen also die Mutter um. Dann kommen die Affen oft zu kleinen Kindern, die sich um die Tiere für einige Wochen kümmern. Solange bis die Affen verstanden haben, dass sie zu Menschen gehören. Am Ende werden die Affen den Kindern wieder weggenommen. Das ist tragisch, auch für das Kind."
Abgesehen davon, dass durch den Handel der Schutz der Arten schwierig ist, entsteht daraus ein viel grundsätzlicheres Problem. Die Tiere werden zusammengepfercht transportiert. Dadurch ist die Sterberate ziemlich hoch. Für jeden Affen, der bei einem Kunden lebendig ankommt, sterben 10, sagt Shanee. Andere sterben, weil sie falsch versorgt werden oder weil sie schnell wieder ausgesetzt werden.
Killer Selfies
Neben der Nachfrage nach fremdartigen Haustieren hat Social Media auch ein anderes Bedürfnis geweckt: Wilde Tiere müssen als Motive herhalten, Menschen wollen möglichst nah an sie heran, um spektakuläre Bilder posten zu können.
"Es liegt in der Natur des Menschen, mit Tieren in Kontakt sein zu wollen", sagt Moorhouse. "Die Leute wollen das Tier auf ihrem Selfie dabei haben, sie wollen es anfassen."
Gut für die Tiere ist das natürlich nicht. Erst kürzlich gingen Bilder um die Welt in denen eine Frau zu sehen war, die einen Schwan aus einem See holte, um ein Foto zu machen. In Florida wiederum wurde ein Mann dabei gefilmt, wie er einen Hai am Schwanz für ein Foto aus dem Wasser zog. Eine andere virale Geschichte drehte sich um Menschen, die sich mit einem Delfin fotografiert hatten. Das Tier soll dabei gestorben sein. Allerdings gibt es auch Augenzeugen, die sagen, der Defin wäre bereits tot angespült worden, bevor Selfies gemacht wurden.
Das gleiche Bedürfnis könnte auch in Wildparks oder anderen Touristen-Attraktionen erfüllt werden. Optimal ist das sicher nicht, aber zumindest hätte der Park die Kontrolle über das Geschehen. Theoretisch, denn nicht in allen Einrichtungen ist das gegeben.
Während es in einigen tatsächlich möglich ist, beispielsweise "Gorillas in freier Natur zu sehen und es tatsächlich um Arterhaltung und Tierschutz geht, ist die Situation in der überwiegenden Mehrheit dieser Einrichtungen ziemlich schlecht", sagt Moorhouse.
Touristen bewerten Parks auf Webseiten wie etwa TripAdvisor trotzdem in der Regel positiv, egal, wie artgerecht die Tiere da präsentiert werden. Den #link:http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0138939:Bewertern# geht es nicht um Fragen des Tierschutzes. Was dabei herauskommt, ist ein sich selbst erhaltendes System.
"Wir reden hier über Hunderttausende Tiere, von denen der Großteil leidet, weil er unter artuntypischen Bedingungen leben muss. Und dazu gezwungen ist, sich mit Touristen abzugeben", sagt Moorhouse. "Millionen Touristen zahlen für so etwas."
Bildung ist der wichtigste Schlüssel, um diesen Bedarf zu begrenzen und damit auch das Angebot einzuschränken. "Die Menschen sind sehr wohl in der Lage, ihre Meinungen zu ändern und zu verstehen, was da Schreckliches passiert. Wir können stattdessen einen sehr positiven Einfluss haben, wenn wir ihnen den richtigen Umgang klar machen", sagt Musing.