Was jeder Deutsche über die Bahn weiß
20. Februar 2019Meine kleine Heimatstadt in Kanada verfügt über einen beeindruckenden Bahnhof, nur wurde der Personenverkehr infolge der 1990 erfolgten Kürzungen bei der Bahn leider eingestellt. Vermutlich verliebe ich mich wegen der Nostalgie in jedes Land, in dem die Menschen selbst ihre kleinsten Dörfer mit der Bahn erreichen können.
Nächtelang saß ich in Zügen, Seite an Seite mit verschwitzten und betrunkenen Mitreisenden. Endlose Stunden vergingen mitten im Nirgendwo in so heruntergekommenen Zügen, dass sich die Mäuse, die um meine Füße rannten, wie zu Hause fühlten.
Im Vergleich dazu sind deutsche Züge einwandfrei und effektiv. Auf langen Strecken schlägt ein ICE jedes Auto auf der Autobahn. Und ich erinnere mich gern an das Jahr, in dem ich im Regionalzug von Zuhause zur Arbeit und zurück gependelt bin.
Ein Thema, das alle eint
Doch wenn es ein Thema gibt, das alle Deutschen eint, dann ist es der Ärger über die Deutsche Bahn, die wichtigste Eisenbahngesellschaft des Landes: teure Tickets, unerwartete Streiks, Baustellen, an denen Züge umgeleitet werden, und die Tatsache, dass sie nicht immer pünktlich sind - Ärgernisse, die jeder aus eigener Erfahrung kennt.
Der Ärger ist begründet: Denn das deutsche Eisenbahnsystem muss wirklich dringend modernisiert werden, ist aber chronisch unterfinanziert. Während die Schweiz 2017 pro Einwohner 362 Euro ins Schienennetz investierte, gab Deutschland nur 69 Euro pro Kopf aus. Dem Verkehrsbündnis "Allianz pro Schiene" zufolge lag Deutschland noch hinter Österreich (187 Euro), Schweden (183 Euro) und Großbritannien (165 Euro).
Der richtige Zeitpunkt für ein gekochtes Ei
Wer regelmäßig mit der Bahn reist, gerät früher oder später in unerwünschte Situationen, erlebt stressige Verspätungen oder lästige Sitznachbarn. Man denkt an den Tag zurück, als man ohne Sitzplatz in einem überfüllten Wochenendzug gefangen war, der ständig auf freier Strecke hielt - ohne jede Erklärung des Zugführers.
Die Klimaanlage funktionierte nicht, ausgerechnet am heißesten Tag des Jahres, und ein Fahrgast war der Ansicht, dass genau jetzt der richtige Moment gekommen war, sein mit Thunfisch, Zwiebel und gekochtem Ei belegtes Brot auszupacken. Gegenüber bereitete sich eine Gruppe Hooligans durch Alkoholzufuhr auf ein Fußballspiel vor, während irgendwo weiter hinten ein Kind schrie wie am Spieß.
Das war der Tag, an dem man so sehr mit der Frage beschäftigt war, ob es für den Anschlusszug reichen würde, dass man beim Aussteigen sein Notebook liegen ließ. Natürlich fällt allen Deutschen so eine Geschichte ein, sobald das Gespräch auf das Thema Zugreisen fällt.
Sollten Sie diese Abenteuer noch nicht selbst erlebt haben, nun aber neugierig sein, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Buchen Sie ein Ticket, nehmen Sie Platz und lassen Sie einfach mal beiläufig fallen, dass Sie das deutsche Eisenbahnsystem für das beste der Welt halten. Beste Unterhaltung ist Ihnen dann garantiert.
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