Was macht eigentlich David Cameron?
20. Oktober 2018Boris Johnson, Michael Gove, David Davis. Sogar für den unbedarften Beobachter müssen diese Namen mit dem heillosen Durcheinander verbunden sein, das Großbritannien und vielleicht auch die Conservative Party zu zerreißen droht.
Und auch, wenn man sich wirklich um Neutralität bemüht, muss man doch zugeben: Sie verdienen die Prügel, die sie gerade einstecken müssen. Nur: Wir würden Johnsons jüngste Mätzchen gar nicht diskutieren (zumindest nicht in diesem Kontext), wenn nicht ein gewisser David Cameron vor zwei Jahren die Parteipolitik über sein Land gestellt hätte.
Da drängt sich die Frage auf, was der ehemalige Premierminister und Urheber des Brexit-Desasters denn heute so macht. "Er arbeitet an seinen Memoiren, so viel ich weiß", sagt Kevin Theakston, Professor für Politikwissenschaft an der University of Leeds, der DW. "Und ich dachte, er wollte eigentlich schon fertig sein. Aber Cameron hält die Memoiren zurück, sie sollen wohl erst herauskommen, wenn der Brexit abgeschlossen ist und sich der Staub ein wenig gelegt hat."
Das unselige Referendum
Nur um das noch einmal kurz zu rekapitulieren: Cameron machte 2015 das schicksalhafte Versprechen, ein Referendum über einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs abzuhalten, falls die Tories die Wahl gewinnen würden. Im Grunde genommen sollte das die Hardliner in seiner Partei befrieden - die waren besorgt, dass die UK Independence Party (UKIP) von Nigel Farage ihnen Wähler abjagen und somit der Labour-Party einen Sieg bescheren würde. Um das zu vermeiden und EU-kritische Wähler von sich zu überzeugen, wollten die Tories von Cameron also die Zusage für eine solche Abstimmung.
Und Cameron - in dem festen Glauben, dass die Wähler letzten Endes für einen Verbleib in der EU stimmen würden - gab sie ihnen. Nur ist der Plan, wie wir heute wissen, leider nicht aufgegangen. "Er fühlt sich immer noch gedemütigt, wenn er daran zurückdenkt, selbst zum Referendum aufgerufen, es dann aber verloren zu haben", vermutet Theakston. "Und er fürchtet sich davor, als derjenige in die Geschichte einzugehen, der Großbritannien quasi aus Versehen aus der EU herauskatapultiert und damit die Zukunft des Landes negativ beeinflusst hat. Und das alles aus parteipolitischem Kalkül und einer Risikobereitschaft heraus, die nach hinten losgegangen ist."
"Politisch komplett irrelevant"
Während Cameron auf seinen Memoiren sitzt, tut er, was man eben als früherer Regierungschef so tut: Reden halten, sich ehrenamtlich engagieren, etwa beim National Citizen Service, einem Entwicklungsprogramm für Jugendliche, das 2010 als Teil von Camerons "Big Society"-Initiative ins Leben gerufen wurde. Cameron hat zudem eine Führungsrolle bei einem umgerechnet 866 Millionen Euro schweren britisch-chinesischen Investmentfonds inne, mit dem Straßen, Häfen und Eisenbahnnetze zwischen China und seinen Handelspartnern ausgebaut werden sollen. Diese Tätigkeit Camerons könnte der derzeitigen Premierministerin Theresa May zugute kommen, die sich damit abmüht, Handelsabkommen für die Zeit nach dem Brexit einzutüten.
Wo wir gerade bei May sind: Gab es eigentlich jemals tiefgehendere Gespräche zwischen ihr und ihrem Vorgänger? "Ich glaube nicht, dass sie ernsthaft miteinander über den Brexit oder die daraus resultierende Strategie der Regierung gesprochen haben. Das Verhältnis zwischen May und Cameron war von 2010 bis 2016, als sie noch Innenministerin war, recht frostig", so Theakston, "Darüber, dass Cameron nun politisch komplett irrelevant ist, dürfte Theresa May nicht unfroh sein."
Während die Eiszeit zwischen May und Cameron andauert, scheint der ehemalige Premier mit einem anderen seiner Erzfeinde wieder zu reden: Boris Johnson, mit dem er damals sehr öffentlich über den Brexit gestritten hatte. Sie wurden bei einem gemeinsamen Abendessen gesehen und haben sich auch vor dem Chequers-Gipfel im Juli zu Gesprächen getroffen - bei letzterem präsentierte May ihren Ministern ihr neues umstrittenes Konzept unter anderem im Bereich der Zölle. Einer anonymen Quelle zufolge sollen sich Johnson und Cameron einig gewesen sein, dass Mays Pläne "die schlimmsten aller Zeiten" seien.
Das muss jedoch nicht heißen, dass sie im Geheimen Mays Sturz planen, wie Theakston erklärt: "Wenn Cameron und Johnson zusammen Tennis spielen oder was auch immer, sehe ich darin noch kein politisches Bündnis. Johnson könnte sich das selbst zwar einreden, aber ich denke nicht, dass Cameron darin mehr als einen sozialen Kontakt sieht."
Vielleicht zur NATO?
Nach allem, was man hört, ist David Cameron ernsthaft unterbeschäftigt. Das belastet ihn bestimmt, er selbst sagte letztens, er habe noch "eine große Aufgabe" vor sich. Was das sein soll? Keine Ahnung.
"Schwer zu sagen, was Cameron damit meint", findet auch Theakston. "Es gab die Spekulation, dass es um eine Tätigkeit als Generalsekretär bei der NATO gehen könnte. Aber Cameron wäre für die anderen europäischen Kräfte wohl kaum tragbar. Warum sollten sie in einer solchen Position ausgerechnet die Person akzeptieren, die für das derzeitige Chaos in den britisch-europäischen Beziehungen verantwortlich ist?"
Das Vermächtnis des Brexit-Architekten ist für Cameron ein Klotz am Bein. Alle paar Jahre führt Theakston eine Umfrage unter Wissenschaftlern durch. Er lässt sie ehemalige Premierminister des Vereinten Königreichs auf einer Skala von 0 (schrecklich) bis 10 (sehr gut) bewerten.
"In der Erhebung direkt nach dem Brexit-Referendum und Camerons Rücktritt kürten ihn die hundert teilnehmenden Wissenschaftler zum drittschlechtesten Premierminister nach 1945 - damit schneidet er sogar schlechter ab als sein Vorgänger Gordon Brown", erläutert Theakston. "Und als Grund für die schlechte Bewertung Camerons nannten die Umfrageteilnehmer fast ausnahmslos das Brexit-Desaster und seine Folgen."