Supergift Polonium
4. Dezember 2013Französische Forensiker schlossen am 3. Dezember 2013 eine Polonium-Vergiftung des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat aus. Damit untermauerten sie frühere russische Laborergebnisse, widersprechen aber einem Schweizer Gutachten. Das hatte Anfang November eine Vergiftung nicht kategorisch ausgeschlossen. Möglicherweise wird es in dem Fall nie endgültig Einigkeit unter den Forschern geben, denn der Nachweis von Polonium ist schon nach relativ kurzer Zeit kaum mehr möglich.
Klar war hingegen der Fall des ehemaligen Agenten des sowjetischen Geheimdienstes (KGB) Alexander Litwinenko. Er war sicher 2006 mit Polonium vergiftet worden. Seine tödliche Strahlenkrankheit verlief sehr schnell: Nur 23 Tage vergingen zwischen seiner Einlieferung ins Krankenhaus und seinem Tod.
Dass Polonium als Auslöser der Krankheit zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, war vor allem den politischen Umständen zu verdanken: Er war ein ausgewiesener Putin-Gegner, der immer wieder Informationen über die mutmaßliche Verwicklung des Kreml in kriminelle Machenschaften an die Öffentlichkeit gab. Folglich lag eine Vergiftung für die Ermittler nahe. Sie suchten also gezielt nach dem Element.
Anders im Fall des 2004 verstorbenen palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat. Dem Verdacht einer Poloniumvergiftung ging der arabische Fernsehsender Al-Dschasira erstmals Ende 2011 nach. Er ließ persönliche Gegenstände, die die Witwe des Opfers zur Verfügung gestellt hatte, durch das Forensische Institut der Universität Lausanne in der Schweiz untersuchen.
Da die Laborergebnisse auffällig waren, wurde der Leichnam am 27. November 2012 wieder ausgegraben und Proben durch drei voneinander unabhängige Institute untersucht: Vladimir Uiba, Leiter der russischen Bundesbehörde für Medizin und Biologie erklärte im Oktober, sein Institut sei nicht fündig geworden. Das Forensische Institut in Lausanne fand hingegen Anfang November erhöhte Polonium-Werte. Jetzt bezogen französische Forensiker den Standpunkt, dass die erhöhten Werte wahrscheinlich auf natürliche Radioaktivität im Erdreich des Grabes zurückzuführen seien.
Eindeutige Ergebnisse nur kurz nach dem Tode
Die widersprüchlichen Ergebnisse spiegeln das Dilemma der Wissenschaftler beim Nachweis des schnell flüchtigen radioaktiven Elements wider: Polonium kommt in verschiedenen Formen vor. Als wahrscheinlichstes Gift gilt das sogenannte Polonium 210 - genau danach haben die Institute auch gesucht. Polonium 210 hat jedoch eine Halbwertszeit von nur 138 Tagen. In dieser dieser Zeit nimmt die Strahlung und auch die Menge des Stoffes um die Hälfte ab.
Allgemein gilt, dass viele Stoffe schon nach zehn Halbwertszeiten praktisch nicht mehr nachweisbar sind, weil dann nur noch ein Zehntausendstel davon vorhanden ist. Zwischen dem Tod Arafats und seiner Ausgrabung lagen jedoch acht Jahre, also 21 Halbwertszeiten. Folglich dürfte nur noch etwa ein Millionstel der ursprünglichen Polonium-Atome vorhanden gewesen sein.
Weiterhin wird der eindeutige Nachweis auch dadurch erschwert, dass Polonium über Umwege als Zerfallsprodukt anderer natürlich vorkommender Radionuklide entsteht. So kann man es zum Beispiel in Spuren in Kellern oder Schächten finden, in denen radioaktive Gesteine vorkommen. Das heißt, dass irgendwann während des Zerfallsprozesses das mutmaßliche Gift und die natürlich vorkommende Konzentration des Stoffes in etwa gleich stark sind.
Selten, aber handtaschentauglich
Sein Zerfallsprozess macht Polonium scheinbar zum Gift für ein perfektes Verbrechen: Denn es ist nachträglich kaum nachweisbar: Auch liegt der Verdacht einer Poloniumvergiftung selten nahe - denn den Stoff herzustellen ist nicht einfach und geht nur im industriellen Maßstab. Nicht jeder Mörder kommt also einfach an das Element heran.
Möchte jemand eine tödliche Dosis von 100 Nanogramm gewinnen, müsste er dafür mehrere hundert Kilogramm uranhaltiges Gestein aufwendig verarbeiten. Einfacher geht es in einem Kernreaktor: Beschießt man hier das gering strahlende Element Bismut mit Neutronen, entsteht Polonium.
Das heißt aber auch, dass in der Regel nur Nuklearstaaten Zugang zu dem Gift haben. Die Prozesse in kerntechnischen Anlagen werden zudem in der Regel so streng kontrolliert, dass nicht irgendein Kerntechniker den Stoff nebenher in der Kaffeepause produzieren oder mitgehen lassen könnte.
Die Verabreichung des Giftes birgt zwar Gefahren, durch vorsichtigen Umgang mit dem Stoff lassen sich diese allerdings für den Täter meistern: Polonium ist ein sehr starker Alpha-Strahler. Diese ionisierende Strahlung lässt sich gut abschirmen - schon ein Blatt Papier reicht aus, um sich äußerlich davor zu schützen.
Gut gegen Krebs - verheerend für gesunde Stammzellen
Hochgefährlich wird Polonium erst dann, wenn sie in den Körper gelangen. Die strahlenden Teilchen schädigen Körperzellen massiv. Am gefährlichsten ist die Strahlung für die Stammzellen, denn diese teilen sich in der Regel häufig und ermöglichen es dem Körper, sich zu regenerieren. Die Alphastrahlung kann die Stammzellen jedoch an der Zellteilung hindern - ein Phänomen, das sich Mediziner auch zunutze machen, um kranke Tumorstammzellen zu bekämpfen. Allerdings benutzen sie dafür kein Polonium.
Wird Polonium über die Nahrung aufgenommen, kommt es zuerst zur Zerstörung der Magen- und Darmschleimhäute. Die Folgen sind Erbrechen, Appetitlosigkeit und Übelkeit. Dann wird das Element durch das Blut aufgenommen. Hier kommt es zu einer Zerstörung weißer Blutkörperchen und Blutarmut. Die Folge: Einer Schwächung des Immunsystems. Schwindel, Kopfschmerzen und Ausfälle des Nervensystems sind die Folge. Am Ende stirbt das Opfer durch Infektionskrankheiten und ein Organversagen.